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Menschen haben auch Würde, wenn sie in Armut leben

Inan Middelhoff ist stellvertretender Leiter des Bürgerhauses MüZe in Köln-Mülheim. Der Träger der MüZe ist interKultur e.V. Jeden Montag ist die Tafel in der MüZe, für deren Organisation Inan zuständig ist. 10 – 15 ehrenamtliche Mitarbeiter helfen einmal die Woche bei der Tafel aus.

YÜCEL ÖZDEMİR / KÖLN

Aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten und der Armut in Deutschland hat die Zahl der Menschen, die in finanzielle Engpässe kommen, deutlich zugenommen. Ist die Zahl der Menschen, die in die Tafel in Müllheim kommen, wo die meisten Zuwanderer in Köln leben, gestiegen? Wie viele Menschen kommen und erhalten Hilfe?

Im Januar 2021 haben wir, nachdem der Verein die Trägerschaft für die MüZe übernommen hat, wieder mit der Tafel begonnen. Damals hatten wir ungefähr 90 Anmeldungen. Das ist dann rasant gestiegen, auf ca. 120. Mit dem Krieg und der Ankunft der Geflüchteten aus der Ukraine im letzten halben Jahr sind wir bei 140 bis 160 Anmeldungen. Durchschnittlich kommen 100 bis 120 jede Woche.

Wer sind diese Menschen?

Es sind Menschen, die in Mülheim leben. Sie müssen einen Nachweis über die Bedürftigkeit erbringen. Also wenn sie einen Köln-Pass haben oder den Nachweis, dass sie vom Jobcenter Geld erhalten, dann können sie zu uns kommen. Die größte Gruppe ist, aufgrund des prozentualen Anteils in diesem Stadtviertel, mit 92 % mit Migrationserfahrung. Das heißt wir haben Menschen, die leben hier schon Jahrzehnten. Dann sind da Menschen, die seit 2015 aus dem Irak und Syrien da sind und jetzt sind sehr viele Geflüchtete aus der Ukraine zu uns gekommen. Die bekommen bei der Registrierung am Hauptbahnhof einen Zettel in die Hand gedrückt, auf dem steht, dass es bei uns Lebensmittel gibt. Was jetzt noch passiert, ist, dass aufgrund der aktuellen Krisensituation, der Inflation, viele Rentner, die noch nie bei uns waren, kommen. Viele trauen sich nicht direkt zu uns zu kommen und nach Lebensmitteln zu fragen. Da ist noch ein großes Schamgefühl, sie halten sich aber in der Nähe des Hauses auf und schauen immer wieder. Wir sind da sehr aufmerksam und holen die Leute am Haus ab und fragen, was wir für sie tun können und sagen, was wir für Angebote wir haben. Aber eigentlich geht es darum, dass sie bei der Tafel aufgenommen werden wollen. Was nicht mehr vertretbar ist, ist, dass diese ganze Armut, die eigentlich von der Politik aufgefangen werden müsste, einfach so auf die Tafel, also die Zivilgesellschaft, abgeschoben wird. Die Tafel kann nicht mehr Material liefern.

Kannst du uns ein bisschen mehr über die Tafel erzählen?

Die Tafel ist aus einem Zusammenschluss von Menschen entstanden, die eigentlich wollten, dass Lebensmittel nicht weggeworfen werden. Daraus sind Vergabestellen entstanden. Aber es war eigentlich nie Sinn und Zweck, dass man plötzlich Deutschlandweit Lebensmittelausgabestellen hat. Wir haben jetzt bundesweit etwa 900 solcher Stellen und etwa 2 Mio. Menschen, die bei der Tafel gemeldet sind. In Köln ist es so aufgebaut, dass es ein zentrales Lager gibt. Da arbeiten Beschäftigte, aber auch viele Ehrenamtler. Dann gibt es die Discounter, Rewe etc., von denen die Lebensmittel mit einem Wagen aufgesammelt werden. Diese werden an verschiedenen Tagen an der Vergabestellen nach Bedarf geliefert. Wir bekommen montags die Lieferung. Morgens früh kommen die bedürftigen Menschen und geben ihre Taschen ab, mittags liefert uns die Tafel an. Die Ehrenamtlichen sind dann da und wir sortieren die Ware komplett nochmal durch. Menschen haben auch Würde, wenn sie in Armut leben. Wir können nicht alles, was ankommt weitergeben, weil da auch kaputte Ware dabei ist, z.B. verdorbenes Obst und Gemüse. Wir befüllen die Taschen. Wir wissen in welcher Familie wieviele Kinder leben und teilen die Lebensmittel dementsprechend auf. Wir müssen natürlich auch andere Sachen, wie die Religion oder Ernährungsweisen, berücksichtigen. Abends holen die Menschen ihre Taschen wieder ab.

Liefern die Discounter grade weniger Lebensmittel, als zuvor oder sogar mehr, weil es mehr Bedürftige gibt? Wie geht ihr damit um, wenn ihr mehr Bedürftige aber weniger Ware habt?

Ich habe vor kurzem mit der Leitung der Tafel in Köln darüber gesprochen, dass wir mehr Bedürftige haben. Und sie sagte zu mir, dass wir einen Stopp bei den Anmeldungen machen müssen, weil sie uns nicht mehr liefern können. Sie bekommen auch nicht mehr. Aufgrund der Krise haben ja auch Rewe oder andere Discounter ihre Einkaufspolitik so verändert, dass sie nicht mehr so viel Ware übrig haben. Die sparen und das geht auf Kosten der Armen. Denn wenn die Tafel weniger bekommt, kann sie das nicht weitergeben, obwohl mehr Menschen kommen. Das ist ein Problem und wird ein noch größeres Problem werden. Wenn wir weniger Waren haben, besprechen wir uns und füllen die Taschen erstmal nur zur Hälfte und schauen dann, was übrig bleibt und das wird dann auf die Haushalte mit vielen Personen verteilt. Anders ist das nicht zu machen.

Sind darunter auch Kinder?

Das ist leider so. Es gibt Menschen, die haben kranke Eltern oder Schwiegereltern zuhause, sind Alleinerziehend oder arbeiten im Schichtdienst. Dann kommen oft auch Kinder. Am Anfang war es für mich gewöhnungsbedürftig, dass ein 10-jähriges Kind, auch mit Schamgefühl, zu uns kommt. Wir versuchen als Team da Normalität und ein freundschaftliches Verhältnis reinzubringen. Wir nehmen von den Personen, die zu uns kommen, jeden Montag einen Euro. Das hat was mit Augenhöhe und Respekt zu tun, denn dann zahlen sie dafür letztendlich. Sie bekommen nichts geschenkt, sondern sie kaufen es. Damit sie sich nicht fühlen, als wären sie Bittsteller. Viele Tafeln machen das. Sie müssen das natürlich nicht zahlen, wenn sie nicht können. Es geht nicht um die Einnahme.

Du kennst die Menschen, wie fühlen sie sich, wenn sie zu euch kommen und Lebensmittel abholen? Und wie kann man mit dem Problem umgehen?

Die Menschen, die heute bei uns ehrenamtlich arbeiten, standen vorher in der Reihe für Lebensmittel. Es geht uns darum, Menschen zu empowern. Es sind vor allem Frauen unterschiedlicher Nationalitäten, die bei uns ehrenamtlich sind, die wir einfach gefragt haben, ob sie nicht helfen wollen. Und das wollten sie. Wenn man die Leute mit ihrer Muttersprache anspricht oder sich mit dem interkulturellen Kontext auseinandersetzt, z.B. die Feiertage usw. kennt, dann kommen sie auch mit den Problemen zu uns und wir unterhalten uns und das merken die Menschen auch. Das gibt eine andere Nähe.

Die Politik hätte sich dem Thema Armut schon längst annehmen und da radikale Schritte gehen müssen. Wer sich seit Jahren um Euro Beträge bei Hartz-IV streitet, aber in einer Nacht 16 Milliarden für die Rettung einer Bank oder 100 Milliarden für das Militär ausgibt, kann nicht damit kommen, dass kein Geld da sei. Die Menschen akzeptieren diese Politik nicht mehr. Wenn demokratische Parteien sich dem nicht annehmen und diese Probleme lösen, werden rechte Parteien diese Menschen abholen. Vor allem die Parteien SPD und Grüne, die seit Jahren diese Themen auf ihre Plakate schreiben, müssen jetzt liefern. Die Politik fällt Entscheidungen und erwartet von denen, die ohnehin am ärmsten sind, mit absurden Vorschlägen das mitzutragen. Das ist unverschämt. Die Menschen die unter der Armutsgrenze leben, leben bereits mit Scham. Es gibt Gelder, die müssen nur richtig verteilt werden.

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