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#metoo

Alev Bahadir

Der Hashtag #metoo sorgte in vergangener Zeit für ein großes mediales Interesse, aber auch für eine erneut entflammente Diskussion um sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch. Auslöser dieser Debatte waren jeweils ein Artikel in der Tageszeitung „The New York Times“ und des Magazins „The New Yorker“.

Diese prangerten die systematische und organisierte sexuelle Belästigung von Schauspielerinnen und Mitarbeiterin der Filmindustrie in Hollywood durch den einflussreichen Produzenten Harvey Weinstein an. Weinstein galt bis vor kurzem als einer der mächtigsten Männer Hollywoods. Er gründete gemeinsam mit seinem Bruder Produktionsfirmen „Miramax“ und „The Weinstein Company“ und war an zahlreichen erfolgreichen Filmen beteiligt. Nach außen gab sich Weinstein als Mann von Welt, unterstützte Politiker der Demokratischen Partei in den USA, hatte deshalb hervorragende Beziehungen zu Top-Regierungsmitgliedern, beteiligte sich sogar am „Women’s march“ gegen Donald Trump und dessen sexistische Äußerungen. Doch die Anfang Oktober erschienen Artikel zeichnen ein ganz anderes Bild von Weinstein. Mehrere interviewte Frauen berichten darin von sexueller Belästigung und sogar Vergewaltigung, davon wie Weinstein sie unter dem Vorwand über ihre Karrieren sprechen zu wollen ins Hotelzimmer einlud und sie dann aufforderte, ihn zu „massieren“ oder ihm beim Duschen zuzusehen, ihnen unter die Bluse oder an den Po fasste oder sogar zum Oralsex zwang.

Ein offenes Geheimnis

Mit dem Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Weinstein wurde eine Welle in der sogenannten „Traumfabrik“ losgetreten. Zahlreiche weitere Frauen, unter ihnen Angelina Jolie oder Gwyneth Paltrow, meldeten, dass sie ebenfalls von Weinstein sexuell belästigt wurden. Den Berichten zufolge vergriff sich Weinstein bereits seit Jahrzehnten an Frauen. Wie also konnte das so lange geschehen, ohne dass eine der Frauen das wirklich publik machte. Lauren O’Connor, eine Angestellte von Weinstein, beschrieb ihre Lage in einem internen Memo, mit dem sie sich über sexuelle Belästigung beschwerte, wie folgt: „Ich bin eine 28-jährige Frau, die versucht, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und eine Karriere aufzubauen. Harvey Weinstein ist ein 64-jähriger, weltberühmter Mann und das ist seine Firma. Das Mächtegleichgewicht ist: Ich: 0, Harvey Weinstein: 10“.

Natürlich stimmt das für eine Angestellte, jedoch nicht für weltberühmte Schauspielerinnen, oder doch? Fakt ist, dass Weinsteins Übergriffe schon seit Jahren wohl bekannt waren, doch Konsequenzen gab es keine. Es wurde einfach darüber hinweggesehen, ignoriert. Zu mächtig und einflussreich war Weinstein. Als ein junges Model Anzeige gegen ihn erstattete, wurde sie medial in den Dreck gezogen, die Anklage nicht weiterverfolgt. Eine junge Frau, die Schauspielerin werden wollte und von Weinstein zu Oralsex gezwungen wurde, beschrieb ihre Lage, wie folgt: „Ich habe einfach irgendwie aufgegeben. Das ist der schrecklichste Teil daran und das ist auch der Grund dafür, dass er das eine so lange Zeit so vielen Frauen antun konnte: die Menschen geben auf und bekommen das Gefühl, dass es ihr eigener Fehler ist“.

Sexualisierte Gewalt ist ein Problem von Frauen, unabhängig von ihrer sozialen Schicht oder finanziellen Lage. Die Gefühle sind die gleichen, wie bei allen anderen Frauen auch: Scham und Angst. Besonders wenn ein Machtgefälle zwischen Täter und Opfer vorliegt, ist das umso problematischer. Zu groß war die Angst, den Mann anzuzeigen, der ihre Karrieren hätte beenden können, der mit Menschen, wie Hillary Clinton oder Barack Obama befreundet ist. Deshalb ist es umso wichtiger, diese Problematik offen anzusprechen – das hätte vielen jungen Frauen einiges an Leid erspart.


Ich auch!

Es ist ganz normal zu hinterfragen, dass die erneute Debatte um sexualisierte Gewalt ausgerechnet von Hollywood ausgeht, doch geht es erst Mal darum, dass sie überhaupt geführt wird. Die Schauspielerin Alyssa Milano forderte nun ihre Follower auf Twitter dazu, mit dem Hashtag „metoo (ichauch) zu zeigen, dass auch sie bereits sexuelle Belästigung erfahren haben. Die Reaktionen sind erschreckend. Auf allen sozialen Plattformen findet sich der Hashtag wieder und zeigt nochmal die grausame Wahrheit: so gut wie jede Frau hat anscheinend in ihrem Leben irgendeine Form von sexueller Belästigung erfahren. Das passiert sowohl „normalen“ Frauen, als auch jenen, die in der Öffentlichkeit stehen. Es meldeten sich sogar Politikerinnen zu Wort. Bei Fototerminen gäbe es „schon den einen oder anderen, der bei der Umarmung oder wenn man eng beieinander steht, seine Hand mal länger auf der Taille lässt oder fester zugreift.“ so Katarina Barley (SPD), Ex-Bundesfamilienministerin und geschäftsführende Bundesarbeitsministerin.


Umdenken!

Nun ist das nicht die erste Diskussion um sexualisierte Gewalt an Frauen und wird auch bestimmt nicht die letzte sein. Die #metoo-Kampagne zeigt nur erneut, wieviele Frauen, unabhängig ihres Berufs und Status davon betroffen sind. Doch scheint es sich hierbei noch immer um ein Tabuthema zu handeln. Schließlich brauchte es erst einen medialen Aufschwung, damit das Thema erneut in den Fokus kommt. Es scheint sich auch kaum etwas zu verändern. Die Hemmschwelle, einen sexuellen Übergriff überhaupt anzuzeigen, scheint noch zu groß. Deshalb muss das Thema stets behandelt werden, um zu zeigen, dass es nicht die Schuld des Opfers ist. Doch umso wichtiger ist ein Umdenken in den Köpfen. So beschreibt Christian Gesellmann in einem Artikel für „Krautreporter“ und das „Zeit Magazin“, wie ihn der Hashtag dazu bewog, seine eigene Einstellung zu sexueller Belästigung und einem respektvollen Umgang mit Frauen zu überdenken. Doch viele Kommentare unter dem Artikel zeigen die weitverbreitete Einstellung: „Die ganze Weinstein Geschichte ist ein bisschen dumpf – der Typ hat Schauspielanwärterinnen nahegelegt, sich für ihren Erfolg zu prostituieren. Das ist (a) strafbar, zumindest in den USA, (b) komplett geschmacklos, und (c) kann man wohl kaum behaupten, dass Männer sich oft derartig verhalten. Wo sind denn bitte all die Weinsteins?“, so ein Kommentar. Plötzlich werden aus Opfern Prostituierte. Und all die Reaktionen zeigen deutlich, dass es immer noch zu viele Weinsteins gibt. Anschließend wird sexualisierte und häusliche Gewalt gegen Frauen relativiert: „Daraus sollte man eben nicht ableiten, dass sexuelle Gewalt ein Problem sei, dass in erster Linie Frauen betrifft. Sexuelle bzw. häusliche Gewalt gegen Männer ist heutzutage ein Tabuthema. Als Frau erfährt man heute breite Unterstützung, i.d.R. von Familie, Freunden, der Blogoshpäre, und dem Staat. Als Mann wird man als Opfer nur ausgelacht, und staatliche Unterstützung gibt es schon mal gar nicht. Gleichberechtigung sieht anders aus“. Es mag sein, dass Gewalt gegen Männer heruntergespielt wird, doch ist das eine Verzerrung der Wirklichkeit. Jede vierte Frau erlebt häusliche Gewalt, jede siebte wird in ihrem Leben vergewaltigt. Gewalt geht von einem Stärkeren gegen einen Schwächeren aus und in dieser Gesellschaft sind Männer noch immer die „Stärkeren“. Solange sexualisierte Gewalt und der Umgang mit Frauen nicht ständig diskutiert werden – sowohl in den Medien, als auch am häuslichen Esstisch – wird es noch zu viele Weinsteins und zu viele geben, die laut schreien ME TOO.

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