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Nur für einen kranken Staat heißt die Medizin: Soldat

Doǧuş Birdal

Sie ist das Sorgenkind der Bundesregierung, das Thema Nummer Eins in den Nachrichten und das große Projekt der von Olaf Scholz ausgerufenen Zeitenwende: Die Bundeswehr.

Während die Bevölkerung mit der steigenden Inflation und der stetig wachsenden Armut zu kämpfen hat, scheint es von Seiten der Politik und Medienlandschaft fast so, als wären diese Probleme schon längst gelöst und man müsse sich auf die viel größere Gefahr, den Feind von „außen“, konzentrieren. Das dabei gezeichnete Bild scheint mehr als düster. Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine ist jetzt ein Jahr vergangen und die Kriegsgefahr steigt. Auch die entspannenden und deeskalierenden Worte der Außenministerin Baerbock – „Wir führen einen Krieg gegen Russland!“ – scheinen dazu ihren Beitrag geleistet zu haben. Jedoch sei der Zustand der Bundeswehr „desaströs“. Selbst die beschlossenen 100-Milliarden-Euro Sondervermögen seien nicht genug, um die Truppe „verteidigungsfähig“ zu machen. Deshalb will Verteidigungsminister Pistorius beim jährlichen Budget um mindestens 10 Milliarden Euro nachhelfen, um auch das Zwei-Prozent-Ziel der NATO zu erreichen und die Bundeswehr wieder „einsatzfähig“ zu machen. Einwände von der Opposition dazu gibt es, meist jedoch nur in eine Richtung. „Die Bundeswehr hat ungeheure Defizite und die Zeitenwende hat bei ihr bislang noch gar nicht begonnen“ und die Truppe habe „ein Jahr verloren“, beklagte CDU-Außenexperte Roderich Kiesewetter. Von den 100-Milliarden-Euro Sondervermögen seien laut Pistorius „nur“ 30 Milliarden Euro bis jetzt vertraglich gebunden. Bis Ende März sollen erste Verträge für die Nachbestellung der an die Ukraine abgegebenen Panzerhaubitzen unterschrieben werden.

Dass mit der von Pistorius geforderten Erhöhung des Wehretats von 10 Milliarden Euro, die aktuelle Forderung nach 200 Euro mehr Geld der fast 300.000 Azubis im öffentlichen Dienst für mehr als 15 Jahre bezahlt werden könnten, scheint dabei weder die Opposition noch die Medien zu interessieren. Zu stark scheint die Kriegspropaganda in die Gesellschaft eingedrungen, zu laut scheint der Ruf nach innerer und äußerer Sicherheit geworden zu sein. Doch so sehr, wie sich Politiker und Medien dem „neue Stellenwert der Bundeswehr“ bewusst zu sein scheinen, so sehr zeigen uns die jüngsten Entwicklungen, dass der Ruf nach „Sicherheit“ ihr eigener Ruf ist, den sie versuchen der Gesellschaft und der Jugend durch permanente Wiederholung ins Ohr zu flüstern. Denn immer mehr junge Soldatinnen und Soldaten verweigern den Kriegsdienst, immer weniger junge Menschen interessieren sich für die Bundeswehr, trotz der jahrelangen Kampagnen in Schulen, Unis und Medien. Die Zahl der Bewerber bei der Bundeswehr ist „tendenziell rückläufig“, teilt eine BW-Sprecherin in Köln, Mitte Februar, dem RND mit, während die Zahl der Anträge auf Kriegsdienstverweigerung sich mehr als verdreifacht haben. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums blieben 27.000 Stellen in der Bundeswehr vergangenes Jahr unbesetzt. Nach den jüngsten offiziellen Zahlen zur Truppenstärke liegt die Bundeswehr mit 183.277 aktiven Soldatinnen und Soldaten unter der Zielvorgabe von 203.000. Die Zahlen zeigen deutlich, dass die Jugend ihr Leben weder in die Hände von verantwortungslosen Kriegspropagandisten, wie Baerbock, legen noch in einem sinnlosen Krieg, der nicht ihr Krieg ist, verheizt werden will.

Deshalb wird der Ruf nach einer Wehrpflicht von denjenigen, die die Bundeswehr nicht nur aufgrund des Ukraine-Krieges, sondern auch für künftige militärische Auseinandersetzungen wieder „einsatzfähig“ machen wollen, immer lauter. Verteidigungsminister Pistorius bezeichnete die Aussetzung der Wehrpflicht 2011 als „Fehler“, weil sie wichtig gewesen sei, um in der Gesellschaft einen „stärkeren Bezug zur Bundeswehr“ zu haben. Auch der Reservistenverband der Bundeswehr hält die Wiedereinführung der Wehrpflicht für unumgänglich. „Wir sind der Meinung, dass Deutschland ohne eine Wehrpflicht, in welcher Form auch immer, nicht verteidigungsfähig ist“, sagte der Präsident des Reservistenverbands, Patrick Sensburg. Was vor kurzem noch eine Forderung AfD war, hat sich durch den Nachwuchsmangel der Bundeswehr bis an die Spitze der Sozialdemokratie gekämpft.

Deutschland soll ein „global Player“ werden und seine Interessen zur Not auch kriegerisch durchsetzen können. Entweder wird das der Jugend durch Kampagnen „schmackhaft“ gemacht, oder sie wird am Ende dazu gezwungen. Dass Deutschland nach den 100-Milliarden-Euro Sondervermögen und der Durchsetzung des Zwei-Prozent-Ziels der Nato und durch die Beziehungen zu den Nato-Staaten sehr wohl „verteidigungsfähig“ ist, wissen sowohl Boris Pistorius und Patrick Sensburg, als auch die AfD. Sie ist höchstens noch nicht „angriffsfähig“, denn dafür braucht sie noch uns, die Jugend.

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