Written by 13:00 HABERLER

Rechte Einstellungen auf Rekordhoch, insbesondere unter jungen Menschen

Ein Interview mit Amelie Nickel, Mitautorin der Mitte-Studie

Dilan Baran

Amelie Nickel / Foto: Privat

Die Mitte-Studie erscheint alle zwei Jahre, ist zuletzt im September 2023 erschienen und stellt rechtsextreme Einstellungen der Befragten fest. Wer ist die Mitte? Oder warum Mittestudie. Ihr habt rechtsextreme Einstellungen festgestellt. Wie grenzen sich rechtsextreme Einstellungen von rechts ab?

In unserer Studie meinen wir nicht nur die politische Mitte, sondern den Teil, von dem eigentlich theoretisch eine stabilisierende Kraft für die Demokratie ausgehen sollte. Es geht also auch nicht darum rechtsextreme Gruppen und Strukturen zu untersuchen und die Einstellungen deren Mitglieder, sondern inwieweit es rechtextreme Einstellungen gibt, die in die Breite der Gesellschaft vorgedrungen sind. Zu rechtsextrem gehört die Ideologie der Ungleichwertigkeit und die Gewaltbereitschaft, also die Billigung von Gewalt zur Durchsetzung dieser Ideologie. Man wird aber nicht rechtsextrem kategorisiert, wenn man einer Aussage zustimmt, sondern wenn man konstant über mehrere Dimensionen über bestimmten Aussagen zustimmt. Z.B. Die Deutschen sind von Natur aus anderen Völkern überlegen. Eine andere Dimension ist die Verharmlosung des Nationalsozialismus und ein rassistisches, menschenfeindliches Weltbild.

Rechtsextreme Einstellungen sind demnach von 1,7 auf 8,3 % gestiegen. Gibt es Thesen warum? Kann man vielleicht sogar allgemeine Korrelationen herstellen, die man von den historischen Ergebnissen der zweijährigen Studie ableiten kann?

Der Anstieg ist wahnsinnig deutlich. Seit es die Studie gibt, lag dieser Anteil immer so bei 1-2 Prozent.

Erklärungen dafür bietet die Befragung jetzt an sich nicht, zumal sie auch ‚nur‘ eine Querschnittsstudie und keine Längsschnittstudie ist, also nicht immer die gleichen Personen wieder befragt werden. Ein Indiz bieten uns die rechten Akteure, die während der Coronaproteste starke Ausbreitung auch in bürgerlichen Milieus fanden und so in Teilen schon auch zu einer Normalisierung rechter Positionen geführt hat. Zudem kommt es in Krisenzeiten auch immer zu mehr entsicherten Existenzen und die führen zu mehr autoritären Bestrebungen und rechten Ideologien. Besonders neoliberal orientierte Personen, haben wir festgestellt, die in der Krise absteigen und entsichert werden, sind besonders anfällig. Wir haben außerdem das erste Mal den Anstieg vor allem bei jungen Menschen festgestellt. Das war bisher immer umgekehrt.

Die Überschrift der Studienergebnisse wurden „Die distanzierte Mitte genannt“ die sich von der Demokratie entfremdet fühlen. Ist das nur ein Gefühl oder kann das nicht auch eine Realität wiederspiegeln? Die Regierungsparteien praktizieren gerade nicht unbedingt, was sie im Wahlkampf versprochen haben.

Ja, auf jeden Fall. Man kann das auch als Paralleleffekte sehen bestimmt. Also zum einen gehen die Wähler auf Distanz zur Demokratie, aber gleichzeitig entfernen sich die Regierungsparteien auch von ihren Wahlversprechen. Allerdings bezieht sich die Distanz zur Demokratie nicht nur auf Parteien und das politische System, sondern umfassender zu demokratischen Institutionen, z.B. Wissenschaft oder Medien.

Was drücken die großen Demonstrationen der letzten Wochen für Demokratie und gegen Rechts für dich aus. Trägt das zur Polarisierung bei oder kann das auch helfen wieder mehr zusammenzufinden?

Ich sehe da mehr verbindende Elemente. Gerade in den ostdeutschen Städten z.B. gab es sonst die PEGIDA Demos und sonst war nicht viel Gegenstimme, deshalb kann ich mir schon vorstellen, dass das für viele Menschen wichtig ist, solche Gegenstimmen auch zu sehen und auf die Straße gehen zu können und zu sehen, dass man nicht alleine ist. Selbstwirksamkeit und Zusammengehörigkeitsgefühle werden gestärkt und haben positive Effekte, denke ich. Zudem denke ich nicht, dass es die Polarisierung in irgendeiner Weise weiter bestärkt, denn im Prinzip kann nichts polarisiert werden, was schon polarisiert ist. Und die großen Demos können ja auch politischen Druck ausüben. Die Regierungsparteien haben das zunächst als Zuspruch für ihre eigene Politik verstanden, aber das ist doch schon sehr irritierend. Ich verstehe die Bewegung als Protest gegen den Rechtsruck innerhalb aller Parteien. Von daher denke ich, es braucht die großen Bewegungen, die das an die entscheidenden Politiker herantragen, aber es braucht dann natürlich auch eine ernsthafte Annahme dessen und nicht einfach ein Aufsatteln auf die Bewegung.

Was braucht es dann dafür, dass die Bewegung auch tatsächlich einen Kurswechsel bewirken kann?

Also zunächst einmal denke ich wirklich, dass die Demonstrationen einen wichtigen Effekt auf die Menschen in der Bevölkerung haben, die mit großer Sorge und bisher auch Hilflosigkeit auf den Aufstieg der Rechten geschaut haben und das habe ich viel rausgehört bei allen Gesprächen, die ich über die Mitte-Studie in den letzten Monaten so mitbekommen habe. Und der Rest ist dann eben auch wirklich die Verantwortung der Parteien, dass sie die Politik machen, für die sie gewählt wurden. Dass sie Krisen abwenden und sozial ökologisch gerechte Weichen stellen.

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