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Rassismus und Ökonomisierung gehen Hand in Hand

Dilan Baran

Amelie Nickel, 1991 in Schweinfurt (Bayern) ist akademische Tutorin am Hamburger Zentrum für universitäres Lehren und Lernen (HUL) der Universität Hamburg und freiberuflich am Institut für angewandte Datenanalyse (IfaD) tätig.

Sie studierte im Bachelorstudium der Soziologie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg (Bachelorarbeit: „Ethnische Ungleichheiten beim Übertritt in die Ausbildung“) und im Masterstudium der Soziologie an der Universität Hamburg mit den Schwerpunkten: Quantitative Forschungsmethoden, ethnische und soziale Ungleichheiten, Fremdenfeindlichkeit und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.

Für ihre Masterarbeit „Eine Mehrebenenanalyse zum Zusammenhang fremdenfeindlicher Einstellungen und ökonomistischer Wertorientierungen aus Perspektive der institutionellen Anomietheorie“ bei Frau Prof. Dr. Stefanie Kley wurde sie mit dem Janpeter-Kob Preis des Alumni-Vereins Hamburger Soziologinnen und Soziologen e.V. für die beste Abschlussarbeit in Soziologie 2019 und dem zweiten Platz des Studienpreises der Dr. Walter Kapaun Stiftung für das Jahr 2020 ausgezeichnet.

Wir haben mit Amelie über ihre Arbeit und Ergebnisse gesprochen.

In deiner Masterarbeit geht es um den Zusammenhang fremdenfeindlicher Einstellungen mit ökonomischen Wertorientierungen. Wie bist du auf das Thema gekommen?

Mich treibt es schon lange um, mit welchen rassistischen Anfeindungen und Ausgrenzungen bestimmte Personen bzw. Gruppen von Personen hier in Deutschland konfrontiert sind. Und es macht mir Angst, dass das immer häufiger auch in Gewalt umschlägt. Das ist ja etwas, was sich überall und schon lange beobachten lässt. Auch der enorme Aufschwung rechtspopulistischer Parteien in den letzten Jahren spricht da für sich und zeigt, wie weit Rassismus in die sogenannte Mitte der Gesellschaft bzw. auch in ihre Institutionen reicht. Die Frage, warum das so ist, beschäftigt mich eigentlich schon immer, privat und auch in meinem Studium.

Als ich für meine Arbeit recherchiert habe, bin ich auf wissenschaftliche Studien gestoßen, die Rassismus (und auch noch andere Formen von Abwertungen gegenüber bestimmten Personengruppen) mit der Ökonomisierung unserer Gesellschaft zusammenbringen. Das hat für mich total Sinn gemacht. Gerade die Diskussion um Einwanderung ist ja schon immer geprägt von wirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Kalkulationen. Da werden Migrantinnen und Migranten ausschließlich nach ihrer ökonomischen Verwertbarkeit bewertet.

Was genau bedeutet „Ökonomisierung der Gesellschaft“?

Eine Ökonomisierung der Gesellschaft meint, dass letztlich alle Teile unseres Lebens von der Ökonomie durchdrungen werden. Das lässt sich für die Bereiche der Politik, der Bildung oder auch dem Gesundheitswesen beobachten, aber eben auch für eigentlich primär soziale Bereiche, wie der Familie, Freundschaften oder sogar Liebesbeziehungen.

Das hat meines Erachtens unsere Gesellschaft und unsere Wertvorstellungen grundlegend verändert und geprägt. Ökonomische Werte, wie das Streben nach Macht und Erfolg oder eine starke Leistungsorientierung bestimmen uns immer mehr und verdrängen Werte wie Solidarität oder Gemeinschaftssinn.

Darunter leiden vor allem die Personen, bzw. Personengruppen, denen unterstellt wird, für die Gesellschaft keinen wirtschaftlichen Nutzen zu haben oder der Wirtschaft zu schaden, das sind z. B. alte Menschen, Menschen mit Behinderung, Obdachlose aber auch Migrantinnen und Migranten. Ich glaube aber letztlich leiden wir alle in so einem von der Ökonomie dominierten System, nur sind bestimmte Personen eben unmittelbar und existenziell davon betroffen.

Und wie hast du den Zusammenhang untersucht?

Ich habe speziell untersucht, ob ökonomische Einstellungen, also ein vermehrtes Streben nach Macht und Erfolg bei gleichzeitig gering ausgeprägten solidarischen Werten, mit einer Abwertung von Migrantinnen und Migranten zusammenhängen bzw. mit einer generellen negativen Einstellung gegenüber Zuwanderung. Dazu habe ich Daten aus 27 europäischen Ländern untersucht, die im Rahmen einer europäischen Bevölkerungsumfrage für das Jahr 2012 erhoben worden sind.

Man kann an der Stelle zu Recht einwenden, dass bei der Abwertung von Migrantinnen und Migranten natürlich noch andere als ökonomische Faktoren eine Rolle spielen können. Das lässt sich jedoch leider statistisch in meiner Arbeit nicht eindeutig zuordnen.

Das Streben nach Macht und Erfolg sind also ökonomisierte Werte?

Ja, theoretisch geht meine Annahme auf die Wertetheorie von Shalom Schwartz zurück. Er identifiziert zehn fundamentale Wertetypen, die jeweils bestimmte Ziele repräsentieren. Die Wertetypen Macht und Erfolg stehen für das Ziel, den eigenen Status aufzuwerten. Ökonomisierte Werte definiere ich in meiner Arbeit aber nicht nur durch das Streben nach Macht und Erfolg, sondern gleichzeitig auch durch das Fehlen gemeinschaftlicher und solidarischer Werte.

Zu welchem Ergebnis bist du gekommen?

Es hat sich gezeigt, dass Personen, die vermehrt ökonomische Werte teilen auch vermehrt fremdenfeindlich eingestellt sind. Es hat sich auch gezeigt, dass Personen, die in einem Land leben, in dem die gesellschaftlichen Institutionen mehr und mehr von der Ökonomie durchdrungen sind, auch vermehrt zu ökonomischen Werten und demnach häufiger zu rassistischen Einstellungen neigen.

Welche Länder sind das?

Vor allem in osteuropäischen Ländern, wie dem europäischen Teil Russlands, der Ukraine, der Slowakei, der Tschechischen Republik aber auch Litauen. Hier konnte ich feststellen, dass die gesellschaftlichen Institutionen stark von der Ökonomie dominiert werden und somit auch die Menschen häufiger ökonomisierte Werte aufweisen. Eine mögliche Ursache könnte der Systemwechsel in den 1990er Jahren sein.

Die osteuropäischen Länder haben in enorm kurzer Zeit einen radikalen Wandel vom sozialistischen zu einem kapitalistischen Wirtschaftssystem durchlebt. Das hat zum einen wirtschaftlichen Aufschwung bedeutet. Zum anderen aber auch zur Folge gehabt, dass sozialstaatliche Leistungen zurückgefahren wurden und dem ökonomischen Sektor weichen mussten.

Eine ablehnende Haltung gegenüber Migration ist in diesen Ländern auch dementsprechend vermehrt nachzuweisen. Mit einer Ausnahme: Die Bevölkerung in Zypern weist unter den von mir untersuchten Ländern das stärkste Ausmaß fremdenfeindlicher Einstellungen auf. Obwohl dieses Land bezüglich der Ausprägung ökonomisierter Werte und der Dominanz der Ökonomie lediglich im mittleren Bereich liegt. Hier scheinen noch andere Faktoren eine Rolle zu spielen. Danach erst folgen die osteuropäischen Staaten Russland, Slowakei und die Tschechische Republik.

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