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Repression an den Hochschulen – Über 3.000 Forschende fordern Rücktritt von Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger

Yekta Dogan

Nirgendwo ist die Solidarität mit dem palästinensischen Volk so groß wie in den Hochschulen. Angefangen haben die Hochschulproteste in den USA, sind dann aber in kurzer Zeit nach Europa übergeschwappt. Mittlerweile gibt es in zahlreichen Universitäten und Hochschulen Europas Protestcamps und Aktionen. Auch in den deutschen Hochschulen wächst die Solidarität trotz Repressionen und Verleumdungen.

Nachdem rund 150 Studierende im vergangenen Monat Teile des Gebäudes und des Geländes der FU Berlin besetzt hatten, lösten 200 Polizeibeamte das Protestcamp gewaltvoll auf. Nach der gewaltsamen Räumung unterzeichneten 150 Lehrbeauftragte der FU einen offenen Brief, in dem sie die Räumung des Palästina-Solidaritätscamps kritisierten. „Unabhängig davon, ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps einverstanden sind, stellen wir uns vor unsere Studierenden und verteidigen ihr Recht auf friedlichen Protest, dass auch die Besetzung von Uni-Gelände einschließt“, so die Lehrenden. „Wir fordern die Berliner Universitätsleitungen auf, von Polizeieinsätzen gegen ihre eigenen Studierenden ebenso wie von weiterer strafrechtlicher Verfolgung abzusehen. Der Dialog mit den Studierenden und der Schutz der Hochschulen als Räume der kritischen Öffentlichkeit sollte oberste Priorität haben – beides ist mit Polizeieinsätzen auf dem Campus unvereinbar. Nur durch Auseinandersetzung und Debatte werden wir als Lehrende und Universitäten unserem Auftrag gerecht“, hieß es weiterhin.

Kurz darauf, am 08.05.2024, warf Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger in den Sozialen Medien den Unterzeichnern vor, dass sie nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stünden und ließ – wie die Panorama-Redaktion am 11. Juni 2024 bekannt machte – am 13.5. dienst- und strafrechtliche Sanktionen gegen Beamte und Angestellte der Länder sowie die Option des Widerrufs von Förderungen durch Mitarbeiter im BMBF prüfen. Tausende Lehrende aus ganz Deutschland antworteten jetzt mit einer offenen Stellungnahme und formulierten drei Gründe dafür, warum Bettina Stark-Watzinger als Ministerin für Bildung und Forschung untragbar sei:

„1) Die Prüfung dienstrechtlicher Sanktionen obliegt den Ländern als Dienstherren von Professor*innen.

2) Das Strafrecht gehört nicht zum Zuständigkeitsbereich des Ministeriums.

3) Die avisierte Rücknahme von Förderbescheiden widerspricht allen Prinzipien der grundgesetzlich garantierten Wissenschaftsfreiheit.“, so die Stellungnahme.

Der Entzug von Fördermitteln aufgrund von politischen Äußerungen sei grundgesetzwidrig, die interne Anordnung, eine derartige politische Sanktionierung dennoch zu prüfen, sei ein Zeichen verfassungsrechtlicher Unkenntnis und politischen Machtmissbrauchs; sie verdeutliche einen zunehmenden Bruch zwischen Entscheidungstragenden im Bundesministerium für Bildung und Forschung und denjenigen, die das Wissenschaftssystem durch ihre Forschung und Lehre tragen.

Solche repressiven Überprüfungen von Wissenschaftlern, die ihre kritische Haltung zu politischen Entscheidungen öffentlich machen, seien aus autoritären Regimen bekannt und würden dem Wissenschaftsstandort Deutschland schaden, so das Statement. „Es gehört zu den Prinzipien der Wissenschaftsförderung in Deutschland (inkl. der Projektförderung durch das BMBF selbst), dass bei der Begutachtung und Bewilligung von Projektanträgen allein nach wissenschaftlichen Kriterien vorgegangen wird. Ungeachtet der Befürwortung oder kritischen Distanz zum Vorgehen der Lehrenden an Berliner Hochschulen: Politisch eine Überprüfung der Empfänger:innen von Forschungsgeldern auch nur anzustoßen, verrät eine Auffassung von Wissenschaft und Wissenschaftsförderung, die mit der Leitung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung nicht vereinbar ist“, heißt es abschließend im Statement. Über 3000 Lehrende aus ganz Deutschland haben das Statement bisher unterzeichnet.

Nachdem Panorama die Recherche Mitte Juni öffentlich gemacht hatte, versetzte Bildungsministerin Stark-Watzinger ihre Staatssekretärin Sabine Döring in den einstweiligen Ruhestand. In einer Erklärung des Ministeriums vom 16. Juni hieß es, dass Döring den Prüfauftrag veranlasst habe. Bildungsministerin Stark-Watzinger habe von dem veranlassten Vorgang erst durch die Panorama-Recherche erfahren. Dies bleibt allerdings schwer zu glauben, wenn man sich Stark-Watzingers Äußerungen zu dem offenen Brief und den Palästinasolidarischen Studierenden anschaut.

Fakt ist, dass mehr als ein halbes Jahr nach Beginn des Krieges die Meinungsfreiheit, Wissenschaftsfreiheit und Versammlungsfreiheit für die Regierung nur leere Worte bleibe, wenn die deutsche Staatsräson und die bedingungslose Unterstützung Israels in Frage gestellt wird. Umso wichtiger und bedeutender ist deshalb der Widerstand der Lehrenden und Studierenden.

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