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„Schwarzer Tag für die internationale Gerichtsbarkeit“

Dilan Baran

Ein Gespräch mit dem Völkerrechtler Prof. Dr. Norman Paech über die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs IGH zu Israels Militäreinsatz in Gaza und die (De-)Legitimität von Israelkritik. Die Ausgangslage: Südafrika wirft Israel Völkermord im Gazastreifen vor. Vor dem Internationalen Gerichtshof läuft ein langwieriges Verfahren, das wahrscheinlich Jahre dauern kann, vor kurzem aber wurde über einen Eilantrag entschieden. 

Der IGH gab den Eilanträgen Südafrikas nur teilweise statt, denn den geforderten sofortigen Stopp des Militäreinsatzes ordnete er nicht an. Er verpflichtet Israel allerdings dazu erforderliche Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass im Rahmen des Gaza-Krieges ein Völkermord an den Palästinensern stattfindet. Wie passt das zusammen?

Das ist in der Tat auf den ersten Blick widersprüchlich. Auf den zweiten Blick muss man sich folgendes vorstellen. Das Verfahren vor dem IGH ist auf der Basis einer deutlichen normativen Grundlage, nämlich der Völkermordkonvention von 1948, die sowohl Südafrika als auch Israel damals unterzeichnet haben, gestellt worden. Die Verletzung dieser Konvention war erst die Bedingung diesen Fall vor Gericht zu bringen. Das andere ist allerdings, dass diese Angelegenheit hoch politisch ist, denn in diesem ersten Fall geht es erst einmal nicht darum, ob es sich um einen Völkermord handelt. Über diese zweite Frage wird man in der Tat jahrelang, es gibt Vorbilder dafür, verfahren. In der kürzlichen Entscheidung sollte es darum gehen, schnell einen Zustand herzustellen, in der so ein Völkermord verhindert wird. Südafrika hat dafür sehr dringlich einen sofortigen Waffenstillstand gefordert. Zwei Tage vor der Entscheidung am 15. Januar hatte auch noch der Generalsekretär der UNO gesagt es bedürfe eines sofortigen Waffenstillstandes. In diesem Fall haben sich 15 Richter und 2 Richterinnen geeinigt, das nicht zu tun.

Im Fall des Ukraine Krieges ist das Urteil anders ausgefallen. Vor einem Jahr klagte die Ukraine Russland des Völkermordes an und forderte ebenfalls einen unmittelbaren Stopp. Nach dreiwöchiger Beratung fällten die Richter das Urteil, die Angriffe müssten sofort gestoppt werden. Im Fall der Anklage Südafrikas gegen Israel äußerten die Juristen zwar berechtigte Anklagepunkte in Bezug auf alle Punkte der Konvention, aber ein Stopp der Angriffe wurde nicht verlautbart. Es wurde entschieden, dass nach einem Monat Bericht darüber abgelegt werden müsse, wie all diese Punkte verhindert werden sollen. Aber im Prinzip wurde damit nur noch einmal die Völkermordkonvention verlesen, an die sich Israel formal ohnehin halten muss. Man kann sagen, der Berg kreiste und gebar eine Maus. Tragisch für die Palästinenser in Gaza, denn jetzt geht der Krieg weiter.

Die Einschätzungen in der Presse gehen weit auseinander. Beide Seiten wähnen sich im Recht.

Das sind natürlich politische Statements von Israel, Südafrika und auch dem Außenminister der palestine authority. In der Realität muss man schon sehr nüchtern und klar sehen, dass hinter den Worten dieser Entscheidung steht, nichts für die Beendigung dieser Katastrophe getan zu haben. Ein schwarzer Tag für die internationale Gerichtsbarkeit. Deutschland und die USA werden daraus machen, dass sie weiter Waffen und Panzer liefern können.

Welche Einflussmöglichkeiten hat das Völkerrecht eigentlich, wenn es laufend übergangen wird?

Zunächst einmal muss man sagen, dass wir diese Gerichtsbarkeit haben, dass wir auf diese Weise auch eine internationale Öffentlichkeit haben, dass auf dieser Ebene beobachtet und debattiert wird. Das ist schon mal ein großer Vorteil. Die Aufforderung des Gerichts die Völkerrechtskonvention einzuhalten, würde auch die Möglichkeit für die USA und Deutschland bieten, ernsthaften Druck auf Israel auszuüben, indem man z.B. die Waffenlieferungen stoppt, aber das ist eine Frage der Staaten, ihrer politischen Kultur. Das Völkerrecht hat sehr deutliche Grundlagen zum Handeln.

In Deutschland kam es ja direkt nach Ausbruch des Krieges sehr schnell zu Diffamierung von Israelkritik und auch zur Kriminalisierung des Protestes. Es wurden Demonstrationen und Kundgebungen vollständig verboten. Es kam zu Verhaftungen und Polizeigewalt. Künstler*innen wurden von Veranstaltungen ausgeladen usw. Kann die Zuständigkeit des Gerichts für diesen Fall nicht auch eine Legitimierung sprich eine Umkehr in dieser Prägung der Debatte bedeuten, schließlich hätte das Gericht die Zuständigkeit auch ablehnen können, wenn es keine plausiblen Gründe gegeben hätte.

Zu hoffen wäre es, allerdings bin ich skeptisch, denn wir müssen sehen, je brutaler die israelische Regierung gegen die Palästinenser in der Vergangenheit vorgegangen ist, je brutaler sich auch die Siedler in den besetzten Gebieten gegen die palästinensische Bevölkerung verhalten hat, desto schärfer wurde hier immer der Vorwurf gegen Kritiker, antisemitisch zu sein. Die bekannte IHRA Definition ist so weit gefasst, dass auch Israelkritik hineingezogen wird in den Vorwurf des Antisemitismus. In der soziologischen Diskussion war immer antisemitisch, was Juden als Juden kritisiert, hier werden aber die Juden nicht als Juden, sondern hier werden nur die Regierung und die Siedler adressiert. Diese Differenzierung ist aufgegeben worden. Wir haben ja auch Antisemitismusbeauftragte, die ihren Job darin sehen, alles was hier kritisch hervorgebracht wird unter den Begriff des Antisemitismus zu delegitimieren. Das ist eine Entwicklung, die spezifisch deutsch ist, die auch aus anderen Ländern vollkommen rätselvoll beobachtet wird, aber um aus dieser Erzählung auszubrechen, muss mehr passieren als dieses Urteil. Da muss die ganze Sache in Palästina sich radikal verändern.

Auf jeden Fall muss die Kritik an dieser Politik Israels weiter voranschreiten. Das ist gar keine Frage. Z.B. wurde in Berlin der Ausspruch „from the river to the sea“ verboten, weil er antisemitisch sei. Dass der Slogan schon vor Jahrzehnten im Grundsatzprogramm der Partei Netanyahus festgeschrieben worden ist, ist in der öffentlichen Debatte vollkommen unter den Tisch gefallen. Er selber hat kurz vor dem Krieg in der Generalversammlung der UNO ein Bild hochgehalten, in dem das zudem bildlich dargestellt worden ist. Die Ausweitung des israelischen Staatsgebiets auf „from the river to the sea‘ ist ein erklärtes Ziel der Regierung, für das sie die Palästinenser vertreiben wollen. Dem Ziel sind sie vor dem aktuellen Krieg gefolgt und dem folgen sie gerade auf sehr brutale, vernichtende Weise. Also zweifelsfrei nichts, dem man zustimmen kann, sondern weiter kritisch kommentieren muss, auch wenn in Deutschland diese kritischen Stimmen dann wieder versucht werden zu delegitimieren.

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