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Sexualisierte Gewalt hat system

2017 erschütterte der Hashtag #metoo die Kulturindustrie, Politik und Öffentlichkeit. In direktem Zusammenhang stand die Bewegung, in der sich immer mehr Frauen zu Wort meldeten und ihre erlebte sexualisierte Gewalt äußerten, mit dem Skandal um den Filmproduzenten Harvey Weinstein. Weinstein, der mittlerweile zu einer Haftstrafe von 39 Jahren verurteilt wurde, wurde von über 100 Frauen der sexuellen Belästigung, von sechs der Vergewaltigung beschuldigt. Die meisten waren entweder Schauspielerinnen oder Angestellte in Weinsteins Produktionsfirma. Dabei war Weinstein der erste in einer langen Kette, es folgten bekannte Namen, wie Kevin Spacey, Bill Cosby und viele weitere reihten sich ein.

MACHTMISSBRAUCH

Die Geschichten, die die Schauspieler:innen oder auch normale Frauen (und auch teilweise Männer erzählten) waren immer wieder von einem gleichen Muster geprägt. Die sexualisierte Gewalt geschah nicht selten dort, wo ein Machtgefälle vorhanden war. Das heißt allen voran durch jemanden, der mit Leichtigkeit z.B. die berufliche Zukunft mit einem Schlag hätte zerstören können, wenn man sich gewehrt oder den Missbrauch öffentlich gemacht hatte. Deshalb entschieden sich viele Frauen dazu, zu schweigen, bis die Bewegung ihnen genug Mut und Selbstvertrauen gab, mit ihren Geschichten in die Öffentlichkeit zu gehen. Dass die Geschichten und die Erfahrungen von Frauen, die sexualisierte Gewalt von Männern in einer Machtposition erlebt haben, immer ähnlich sind, liegt nicht daran, dass sie sich abgesprochen hätten – wie sollte sowas auch gehen? – sondern daran, dass diese Gewalt System hat. Das Patriarchat als Gesellschaftsordnung befördert Frauen in eine untergeordnete und unterdrückte Position und andersrum Männer in eine der Frauen übergeordnete Position. Sexualisierte Gewalt ist (mit) der brutalste und schlimmste Ausdruck des Patriarchats. Fast jede 7. Frau in Deutschland erlebt mindestens einmal in ihrem Leben sexualisierte Gewalt. Dies zeigt einmal mehr, dass es ein strukturelles Problem und keine Anhäufung von Einzelfällen ist. Wenn diese Gewalt durch den eigenen Chef oder eine Person des öffentlichen Lebens passiert, kommen viele weitere Faktoren hinzu. Existenzängste: was passiert wenn ich gekündigt werde? Wann finde ich mit so einer Anschuldigung nochmal einen neuen Job, was ist wenn ich keinen finde? Die ebenso benachteiligte Rolle der Frauen auf dem Arbeitsmarkt, dass jede 3. Frau in atypischen Beschäftigungsverhältnissen arbeitet und ökonomisch nicht unabhängig ist, wirkt sich auf ihr Handeln nach einem sexuellen Missbrauch aus. Ebenso die Angst, dass ihr nicht geglaubt werden könnte.

DER FALL RAMMSTEIN

Dass #metoo nichts ist, das nur irgendwo anders passiert, ist nichts neues. Auch in Deutschland gibt es sehr bekannte Fälle, so u.a. der ehemalige BILD-Chefredakteur Julian Reichelt oder der Deutschrapper Samra. Nun wurden wiederholt Beschuldigungen gegen Till Lindemann, Sänger der deutschen Rockband Rammstein geäußert. Warum der Fall umso beängstigender ist, ist, weil er die Maschinerie des Missbrauchs, den Lindemann mit Unterstützung begangen hat, deutlich macht.

Die Einzelheiten zur Art des Missbrauchs, der mutmaßlich durch Lindemann begangen wurde, können zur Genüge in allen Medien nachgelesen werden und werden hier nicht erneut erwähnt. Hervorzuheben ist dennoch, dass den Frauen K.O.-Tropfen, Alkohol und illegale Drogen, wie Kokain, zugeführt seien sollen. Ebenso wurden die Frauen gezielt von einer Casting-Redakteurin für die „Row Zero“ angeworben. Die Tatsache, dass Lindemann seine Drecksarbeit durch eine Frau erledigen lies, die sich sympathisch den jungen Frauen gegenüber verhielt und ihnen ein Gefühl von Sicherheit vermittelte, ist genauso bezeichnend für das System hinter dem Missbrauch, wie die Tatsache, dass diese Frau fast noch mehr Shitstorm abbekommt, als Lindemann selbst. Involviert war wohl auch Security-Leute, die den Frauen im Vorfeld die Handys abnahmen. So waren bei Aftershow-Partys auch mehrere Prominente anwesend, an denen die Frauen in einer Reihe vorbei in einen separaten Raum geführt wurden, was dachten sie wohl, was dort passiert?

Schaut man einmal richtig hin, ist dieses Bild keinesfalls überraschend. In einem Gedichtband äußerte sich Lindemann bereits über die „Phantasie“ eine Frau zu betäuben und zu vergewaltigen. Im Angesicht der Vorwürfe wohl doch keine bloße Phantasie. Für den Verlag Kiepenheuer & Witsch bis vor ein paar Tagen kein Problem, schließlich trenne man zwischen dem „lyrischen Ich“ und der realen Person. So lange bis ein drei Jahre alter Porno von Lindemann auf dem Bildschirm des Verlags erschien, bei dem er nicht nur Frauen erniedrigte, sondern auch eins seiner beim Verlag erschienen Bücher in Szene setzte. So viel zu „lyrischem Ich“.

WEITER KÄMPFEN

Der Fall Rammstein wird sicherlich nicht so schnell aus den Medien verschwinden. Ob er rechtliche Konsequenzen gegen Lindemann haben wird, bleibt abzuwarten. Die Band hat die Vorwürfe abgestritten, das letzte Konzert war trotzdem voll. Lindemann oder andere Männer in Machtpositionen können zu oft ungestraft Gewalt über zu viele Frauen ausüben. Doch nur, wenn hinter die Kulisse der „öffentlichen“ Figur geschaut wird und das System, das dahinter steckt, bekämpft wird, kann sich etwas verändern. Sowohl das Patriarchat, das die Unterdrückung der Frau in allen Lebensbereichen aufrecht erhält, als auch der Kapitalismus, in dem sich einige wenige auf Kosten von uns Vielen bereichern und der den Körper der Frau zusätzlich zur Ware objektivieren wird, sorgen für die Beibehaltung des Status-Quo. Diesen können wir nur verändern, wenn wir, und nicht nur wir Frauen, gemeinsam gegen sexualisierte Gewalt und Ausbeutung kämpfen.

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