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Türkei: Nicht Schicksal, sondern Mord

300 Meter in der Tiefe geschieht es, erneut. Am Ende soll die Explosion, die nun mittlerweile 41 Menschen in den Tod riss, ein Schicksalsschlag gewesen sein. Das behauptet zumindest der türkische Präsident Erdoǧan bei einem Presseauftritt in Bartın, wo Familien und Kumpel noch immer auf der Suche nach Menschen sind, die beim Einsturz der Kohlegrube verschollen wurden. Denn laut dem türkischen Präsidenten sind 1359 tote Arbeiter:innen in neun Monaten nun einmal Teil des Lebens.

Wer in der Türkei in Gruben arbeitet, weiß spätestens seit der Katastrophe von Soma, wo 301 Kumpel starben, dass der Tod an jeder Ecke auf einen wartet. Das liegt jedoch nicht in erster Linie am Schicksal, wie es Recep T. Erdoǧan und seine Parteikolleg:innen behaupten, sondern an den miserablen Arbeitsschutzvorkehrungen in den Gruben. Vor acht Jahren musste das die Belegschaft der Soma Kömür İşletmeleri A.Ş. am eigenen Leib erfahren, als eine Explosion zur bisher größten Grubenkatastrophe in der Geschichte der Türkei führte. Damals sagten die Beschäftigten, dass sie bereits drei Wochen vor der Katastrophe Unregelmäßigkeiten beanstandeten, welche jedoch aus Profitgier ignoriert oder weggeredet worden waren.

Denn in der Türkei gilt, wie vieler Orts auch, dass der Profit stimmen muss und das um jeden Preis. Bei einem Interview mit der Tageszeitung Evrensel erklärt Ercüment Akdeniz, Parteivorsitzender der Partei der Arbeit (EMEP), am Ort der Katastrophe letzte Woche, dass sogenannte Arbeitsunfälle mit Todesfolge seit der Machtergreifung der AKP zum Alltag gehören. Arbeitsmorde werden die angeblichen Unfälle in der Türkei genannt, denn sie sind meist direkte Folge von bewusst ignorierten Arbeitsschutzbestimmungen und der reinen Profitgier von Konzernen.

Die ISIG – Health and Safety Labour Watch meldete in den ersten neun Monaten des Jahres 2022 1359 Arbeitsmorde. In den letzten 20 Jahren, also seitdem die AKP an der Macht ist, starben 20.000 Menschen in Folge von diesen Arbeitsmorden. Im Vergleich dazu sterben in Deutschland, bei etwa vergleichbar vielen Einwohnern, 400 Menschen im Jahr, Zahl sinkend. Eine der Gründe für diese Situation ist, dass Konzernen in der Türkei nahezu keine Strafen drohen, wenn es zu solchen Ereignissen kommt. Wenn wir erneut die Grubenkatastrophe von Soma betrachten sind es nicht die Grubenbetreiber, sondern die Anwälte der Opfer, die derzeit in Haft sitzen, weil sie die Missstände zu deutlich und zu laut angeprangert haben. Zudem drohen den Konzernen auch keine Strafen bei Missachtung von Warnungen. Bereits 2019 wurde bemängelt, dass in der Grube Gas austritt und das zu einer Explosion führen könnte. Doch auch das führte nicht zu einer Verbesserung in der Grube. Wie bei Soma werden nun, statt den Verantwortlichen, Journalist:innen und Zeitungen, die über das Unglück berichten, angezeigt.

Während 2014 jedoch Zehntausende auf die Straßen gingen um international Solidarität mit den Arbeitenden in der Türkei zu zeigen, sind die Reaktionen dieses Mal sehr verhalten. Die IG BCE, die hiesige Gewerkschaft, die für den Bereich Bergbau zuständig ist, begnügte sich lediglich mit einer Beileidsbekundung. Wesentlich bewegt haben wird das den türkischen Schicksalspräsidenten Erdoǧan nicht.

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