Written by 14:28 HABERLER

Türkischer Wahlkampf in Deutschland

Der türkische Wahlkampf ist in vollem Gange. Nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland. Auftritte von Politikern, Eröffnungen von Autobahnen oder von Gebäuden gehören in der Türkei immer dazu, wie auch unmittelbare Repressionen gegen die Opposition. Politische Betätigungsverbote gegen seine ärgsten Konkurrenten, Einfrieren von Konten bzw. von staatlichen Wahlkampfzuschüssen für die HDP, Verhaftungen von kritischen Journalisten, Schließverfahren gegen Zeitungen und Fernsehsender, sogar politische Säuberungsaktionen gegen abtrünnige Kader beim kleinen Koalitionspartner MHP gehören zum Repertoire des AKP-Wahlkampfes.

Hier in Deutschland sind 1,44 Millionen türkische Staatsbürger aufgefordert, bei der vorgezogenen Wahl am 14. Mai den türkischen Präsidenten mitzubestimmen. Ein Wählerpotential, für das es sich zu kämpfen lohnt. Eigens dafür werden in Konsulaten und gemieteten Sälen Wahlurnen aufgestellt. Bei den letzten Wahlen 2018 waren es 13 an der Zahl, dieses Jahr werden es vermutlich mehr. In Deutschland wählen überdurchschnittlich viele der Wahlgänger Erdoğan und seine AKP. Gründe dafür können auf der einen Seite die konservativen Werte der ersten und zweiten Gastarbeitergeneration sein, die vor über 60 Jahren mitgenommen wurden und von der Mehrheitsgesellschaft nicht aufgebrochen wurden, aufgrund der falschen bzw. fast komplett fehlenden Integrationspolitik, bis vor wenigen Jahren. Und auf der anderen Seite weil Erdoğan und seine AKP die Diskriminierungserfahrungen der Türkeistämmigen im Arbeits-, Bildungs- und sozioökonomischen Bereich sehr gut für sich auszunutzen und nationale und religiöse Gefühle zu aktivieren wissen, u.a. mit ihren Lobbyorganisationen in Deutschland. Das Stimmpotenzial möchte die AKP dieses Jahr auch voll ausschöpfen, denn jede Stimme ist für sie wichtig. Umfrageergebnisse in der Türkei sprechen gerade nicht für ihn.

Hassrede im Verein der Grauen Wölfe

Ein türkischer AKP-Abgeordneter, der sich im Wahlkampfmodus in Deutschland befand, zog die Kritik und Aufmerksamkeit der deutschen Öffentlichkeit auf sich, als seine Rede über Social Media öffentlich verbreitet wurde. In der Neusser „Yunus-Emre-Moschee“, der dem ultranationalistischen MHP-Auslandsdachverband „Türkische Föderation“ gehört, hatte Mustafa Açıkgöz unter anderem gesagt, dass man den „Terroristen der PKK und FETÖ“ kein Lebensrecht in der Türkei gewähren werde und das auch für Deutschland gelten solle. Die Kurden seien „gottlos“ und die FETÖ würde versuchen, den Islam zu „verchristlichen“. „So Gott will, werden wir sie überall auf der Welt aus ihren Löchern holen, in denen sie sich verstecken und sie vernichten“, drohte der türkische Parlamentarier und erntete dafür Beifall, als er das Publikum anstachelte, genau dafür zu sorgen und Verantwortung zu übernehmen. Doch die Rede schlug Wellen. Außenministerin Baerbock bestellte den türkischen Botschafter ins Auswärtige Amt und erklärte danach: „Hetze und Hassreden haben in Deutschland nichts verloren. Dabei haben wir unmissverständlich in Erinnerung gerufen, dass ausländische Wahlkampfveranstaltungen vorher von uns genehmigt werden müssen“. Inzwischen ist der Abgeordnete wieder in der Türkei. Das Auswärtige Amt stellte im Anschluss klar, dass türkische Abgeordnete ohne Genehmigung keine Wahlkampfauftritte mehr in Deutschland absolvieren dürfen. Ob das geprüft wird, steht zur Zeit in den Sternen geschrieben.

Agrarminister: Machenschaften ins Leere laufen lassen

Denn kurz drauf kam der türkische Agrarminister Vahit Kirişci nach Berlin für eine Veranstaltung der UID, Union Internationaler Demokraten, der Lobbyorganisation des türkischen Staates in Europa. Unter dem Titel „Das Jahrhundert der Türkei“, dem Wahlkampfmotto der AKP, sprach er: „Wir haben die Machenschaften gegen die Türkei ins Leere laufen lassen. Es ist eine historische Pflicht für uns, den gesegneten Marsch unserer Nation mit dem ‚Jahrhundert der Türkei‘ zu krönen. So Gott will, wird unser Volk am 14. Mai 2023 gegen diese Machenschaften erneut sagen: ‚Genug!‘ Das Wort gehört der Nation,“ so Kirişci.

Kritik kam von der Bundestagsabgeordneten und stellvertretenden Vorsitzenden der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe, Gökay Akbulut (Linke). „Während in der Türkei große Teile der Opposition im Gefängnis sitzen, rühren AKP-Vertreter hier ungeniert die Werbetrommel für Erdoğan, wie jetzt zuletzt der türkische Agrarminister Vahit Kirişci in Berlin.“ Von der Außenministerin erwarte sie, ihren Ankündigungen endlich Taten folgen lassen. „Dann darf es nicht nur dabei bleiben, Konsequenzen zu prüfen – dann müssen endlich auch Konsequenzen folgen. Türkischen Regierungsvertretern müssen hier klare Grenzen gesetzt werden“, so Akbulut.

Der Politikwissenschaftler Burak Çopur forderte gegenüber Neues Leben auch endlich Taten statt vieler Worte. „Ich würde sagen, der Worte sind genug gewechselt, lasst uns endlich Taten sehen und eine Tat wäre der fraktionsübergreifende Prüfantrag zum Verbot der Grauen Wölfe aus dem Jahre 2020.“ Es gebe belastbare Hinweise darauf, dass diese extremistische Organisation durchaus auch gewalttätig sei und auch nicht davor zurückschrecke, Menschen umzubringen oder einzuschüchtern. „Nicht umsonst hat Horst Seehofer als ehemaliger Bundesinnenminister die Osmanen Germania, die der organisierten Kriminalität und auch der AKP und der MHP nahesteht, hier in Deutschland aufgelöst“ so Çopur weiter.

Da aber ein Verbot nicht ausreiche und deren Ideologie dadurch nicht im Wald verschwinde, fordert Çopur: „präventive Maßnahmen, um Menschen vor dieser menschenverachtenden Ideologie fernzuhalten. Wir müssen investieren in die politische Bildung, in die Jugend- und Sozialarbeit, wir müssen investieren in den Schulbereich, in die Bildung und wir müssen es verhindern, dass Erdoğan bei seinem Besuch in den nächsten Wochen in Deutschland eine Bühne bekommt, um hier Wahlpropaganda für einen Unrechtsstaat zu betreiben“, so Çopur weiter.

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