Der 25. November ist der Tag gegen Gewalt an Frauen. Millionen Frauen gehen jährlich an diesem Tag auf die Straßen. Auch in Deutschland haben sich Tausende an den Protesten beteiligt. Gründe dafür gibt es nach wie vor genug.
Alev Bahadır
Unmittelbar vor dem 25. November stellte das Bundeskriminalamt seinen jährlichen Lagebericht zu erfassten Gewalttaten gegen Frauen 2024 vor. Das Bild zeigt deutlich: Gewalt gegen Frauen nimmt zu. 53.451 (+2,1 % im Vergleich zu 2023) Frauen erlebten sexualisierte Gewalt und zeigten diese auch an. 187.128 Frauen (+3,5 %) wurden im „Deliktsfeld Häusliche Gewalt“ erfasst. Außerdem macht der Bericht deutlich, dass die Zahl der Straftaten mit „frauenfeindlichem Motiv“, so Beleidigungen, aber auch Gewaltdelikte und eine versuchte Tötung um 73,3 % auf 558 Taten gestiegen sei. Bei der Zahl der Frauenmorde im Kontext von Partnerschaftsgewalt gebe es 308 Fälle, 32 weniger als im Vorjahr. Auch das Hilfetelefon für Frauen verzeichnete 2024 einen erhöhten Beratungsbedarf. 61.000 Beratungen haben stattgefunden, das bedeutet, dass tagtäglich alle 10 Minuten eine Frau Hilfe bei der Hotline sucht.
Auch wenn die Zahlen nur „erfasste“ Taten belegen, also eine große Zahl von Gewalttaten, die nicht angezeigt werden, im Dunkeln bleibt, sprechen sie eine deutliche Sprache: Frauen erleben immer mehr Gewalt. Dass die Zahl der Frauenmorde durch den Partner laut dem Bericht zurückgegangen ist, ist keinesfalls ein Indiz dafür, dass Frauen „wenigstens“ seltener ermordet werden, vielmehr zeigt es eine Lücke in der Erfassung von Taten. Bis heute werden Femizide nicht statistisch und behördlich erfasst. Nehmen die Behörden z.B. einen Frauenmord nicht als „partnerschaftliche Gewalttat“ auf, kann sie in den oben genannten Zahlen herausfallen. Doch das Gesamtbild bleibt. Jede dritte Frau in Deutschland erlebt mindestens einmal in ihrem Leben sexualisierte und / oder körperliche Gewalt, jede vierte davon von ihrem eigenen Partner.
Wessen Problem?
Wie hinlänglich bekannt ist, ist Gewalt gegen Frauen ein gesellschaftliches Problem, deshalb bleibt es nicht bei einer bestimmten Gruppe, sondern betrifft Frauen jeder Herkunft, Religion oder Schicht. Nichtsdestotrotz spielen bestimmte Faktoren in die Tatsache hinein, dass Gewalt gegen Frauen andauert und zunimmt.
Jede sechste Person in Deutschland arbeitete 2024 im Niedriglohnsektor. Das bedeutet, dass sie weniger als 13,79 € brutto die Stunde verdiente. Deutschland ist eines der führenden Länder mit Niedriglohnquote in Europa. Frauen sind besonders oft im Niedriglohnsektor vertreten. Sie arbeiten in Jobs, die ohnehin schlecht bezahlt werden, so im Verkauf, der Pflege, beim Friseur etc. Dadurch dass Frauen bis heute noch meist alleinig für die Carearbeit in der Familie zuständig sind, sind sie öfter in Teilzeit oder Minijobs. 19 % der Frauen arbeiten im Niedriglohnsektor, also verdient jede fünfte Frau weniger als 13,79 % die Stunde – vor Steuer. Frauen sind zunehmend auch mehr von Armut betroffen. Im Jahr 2024 waren 16,2 % der Frauen von Armut gefährdet. Das bedeutet ihr Einkommen beträgt weniger als 60 % des mittleren Einkommens. Nicht nur liegt die Zahl höher als bei Männern (14,7 %), sondern nimmt jährlich zu.
Ja, Gewalt gegen Frauen betrifft Frauen aller Schichten, doch ist die Befreiung daraus umso schwieriger, wenn die ökonomischen Verhältnisse der Frauen schlecht sind. Bis heute ist in 56,7 % der Haushalte nach wie vor der Mann die Haupteinkommensperson – im Vergleich andersrum sind es nur 10,3 %. Gleichberechtigte Einkommen haben nur etwa 33 % der Haushalte. Frauen, die Gewalt durch ihren Partner erleben, aber zusätzlich noch finanziell von ihm abhängig und alleine aufgrund von Niedriglohn und geringerem Einkommen seltener finanziell unabhängig sein können, werden zusätzlich Hürden auferlegt, sich aus einer gewalttätigen Beziehung zu befreien. Diese Situation wird mit der sich verschärfenden ökonomischen Ungleichheit durch Rezession, Inflation, den Ausbau des Niedriglohnsektors und der Einschnitte in soziale Rechte (z.B. Bürgergeld) nur noch intensiviert. Deshalb ist patriarchale Gewalt unwiderruflich verknüpft mit ökonomischen Bedingungen in diesem System. Wenn Männer ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, um zu überleben, müssen Frauen das zu einem noch niedrigeren Preis und erleben zeitgleich Gewalt und Mord.
Und die Töchter?
Um Gewalt gegen Frauen etwas entgegenzusetzen, muss es als Auswirkung des Patriarchats einerseits, aber auch des Kapitalismus andererseits, erkannt werden und die Bedingungen verändert werden. Daran hat die Bundesregierung jedoch kein Interesse. Innenminister Dobrindt betonte bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des BKA-Berichts, dass 37 % der Täter Nicht-Deutsche seien. Das bedeutet zwar im Umkehrschluss, dass 63 % und somit 2/3 der Gewalttäter Deutsche sind, doch folgt Dobrindt hiermit dem Beispiel seines Bundeskanzlers. Merz hatte erklärt, dass Migranten im Stadtbild eine Gefahr für die „Töchter“ seien. Somit wird mal wieder ein gesellschaftliches Problem auf eine Minderheit geschoben. Natürlich aber, das machte Merz später klar, betreffe es nur die Migranten, die nicht arbeiten würden. Wer also nicht im Niedriglohnsektor ausgebeutet wird, stellt eine unwillkommene Gefahr für Frauen dar. Ob Merz wohl auch an die „Töchter“ gedacht hat, als er z.B. 1997 gegen das Gesetz stimmte, das Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe stellt? Oder stellt er den Schutz der Frauen in den Vordergrund, wenn die Bundesregierung bei Frauenverbänden und Hilfsangeboten für Frauen kürzt? Fest steht, dass Frauen immer wieder instrumentalisiert werden, wenn es grade passt, und unser Schutz aber keine echte Rolle für Merz und Co. spielt. Deshalb können wir nur gemeinsam etwas an den Verhältnissen verändern.
Digitale Gewalt
In Deutschland waren 2024 18.224 Frauen (+ 6%) Opfer von digitaler Gewalt. Cyber Mobbing, Stalking, Revenge Porn oder sexuelle Belästigung sind Alltag von vielen Frauen im Netz. Dabei bleiben Täter oft anonym und bewegen sich in rechtsfreien Räumen. Auch „echte“ physische Gewalt kann im digitalen Raum fortgeführt werden, z.B. durch Drohungen und Einschüchterungen. Auch in sozialen Medien muss gezielt gegen Gewalt an Frauen vorgegangen werden.
Roses Revolution
Ein nach wie vor bestehendes Tabuthema: Gewalt während der Geburt. Um Frauen keine Angst vor der Geburt zu machen, wird gewaltsamer Umgang mit ihnen in der Öffentlichkeit kaum thematisiert. Dieser reicht über gewaltsame Behandlungen ohne Absprache (z.B. Muttermund-Dehnung) bis zur Verweigerung eines Kaiserschnitts. Am 25. November legen Frauen deshalb auch rosafarbene Rosen vor Kliniken nieder, in denen sie Gewalt erfahren haben.

