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Was die Kommunalwahlen für die AKP bedeuten

Die Kommunalwahlen in der Türkei vom 31. März 2024 sind ein Zeichen dafür, dass die 2002 begonnene Ära der politischen Vorherrschaft der AKP sich dem Ende neigt. Natürlich soll man die Hosenbeine nicht hochkrempeln, bevor man den See sieht, aber die AKP und ihr kleiner Koalitionspartner die MHP haben seit langem wieder eine Wahlschlappe erlebt, so dass die Tod gesagte Hoffnung wieder mit erhobenem Haupt stolziert. Das sich abzeichnende Bild wird die türkische Politik, ihre Hauptakteure, Institutionen und sogar politischen und gesellschaftlichen Allianzen nachhaltig verändern. Denn die „Verlierer“ haben nicht nur „Gemeinden“ verloren, sondern wie sich zeigt, die unantastbare Gefolgschaft der Mehrheit des Volkes. Der Palast und seine Sprecher bemühen sich bereits jetzt, den 31. März nur auf eine Kommunalwahl zu reduzieren. Aber sie werden es nicht verhindern können, dass sich ihre Macht mittelfristig auflöst.

Es geht bergab seit 2015

Seit den Wahlen vom 7. Juni 2015 konnten wir bei jedem Gang zur Wahlurne eine extreme politische Polarisierung und ein Showdown auf nationaler Ebene beobachten. Das ist eine Vorliebe von Präsident Erdoğan und seiner Führungselite. Jede Wahl-Entscheidung wurde in ein Vertrauensvotum für Erdoğan und das in seiner Person verkörperte Regime umgewandelt. Diese Strategie hat sich bisher, aus Sicht der AKP, mehr oder weniger positiv auf die Wahlergebnisse ausgewirkt. Doch seit dem „Referendum von 2017“ bröckelte die Gefolgschaft in der Bevölkerung und in der Partei. Denn seit 2015 ist Erdoğan und seine AKP auf einen Koalitionspartner angewiesen, waren sie doch bis dahin unantastbar. Verluste in Istanbul und anderen Metropolen konnten sie zumindest bis zum 31. März 2024 eine Zeit lang mit den in Anatolien konzentrierten Stimmen kompensieren. Die zunehmende Armut und Einkommensungleichheit, die sich mit der hohen Inflation und den niedrigen Löhnen verschärft hat, hat das Vertrauen in Erdoğan stark erschüttert und die Massenbindung der AKP auf nationaler Ebene aufgerieben. Letztes Jahr hatte das Erdbeben im Februar der AKP noch Luft verschafft, doch dieses Jahr war kein Strohhalm da, an den man sich klammern konnte.

Zeichen stehen auf vorgezogene Wahlen

Der nächste Schritt für die Regierung und ihre Verbündeten wird darin bestehen, den Prozess zu managen, der sich wahrscheinlich zu einem großen Teil gegen ihren Willen entwickeln wird, wenn die verlorenen Kommunen von AKP-Gefolgsleuten bereinigt wird. Es ist wahrscheinlich, dass sich Teile der Regierung, insbesondere der politische Juniorpartner des Regimes, in interne Debatten und Auseinandersetzungen verrennen werden und damit eine Angriffsfläche bieten. Die Auflagen für eine weitere Amtszeit von Erdoğan werden angesichts dieses Bildes hinfällig sein und sogar wahrscheinlich, dass die nächsten Wahlen lange vor 2028 durchgeführt werden könnten.

Ganz allgemein ausgedrückt geht eine Ordnung, die seit 2002 mit verschiedenen Schwankungen andauerte, langsam zu Ende. Die Menschen in der Türkei, insbesondere die Werktätigen in den Metropolen und anatolischen Städten, haben ein Ergebnis herbeigeführt, das trotz der massiven Propaganda aller staatlichen Kräfte den Kurs ändern wird. Was folgen wird, hängt von der Stärke und Widerstandsfähigkeit der direkten Kämpfe ab, die das Verhältnis zwischen der „neuen Ära“ und den „neuen Akteuren“ sowie den allgemeinen Interessen der Gesellschaft und der Werktätigen bestimmen werden. Denn einige wenige Kommunen hat die AKP nicht an die Bekannten Oppositionsparteien CHP oder der kurdischen DEM-Partei verloren, sondern an die ultranationalistische IYIP und der islamistischen Neuen Refah Partei, aus deren Vorgängerpartei Erdogans AKP entstanden war. Somit können wir festhalten, dass für die Werktätigen der Türkei eine neue Ära begonnen hat.

AKP hat feste Wurzeln

Doch sollte man sich nicht zu früh freuen, denn die AKP ist eine besondere Partei. Die ANAP, von der die AKP die Herrschaft 2002 übernahm, ist heute in der Bedeutungslosigkeit verschwunden und hätte nach solchen Inflationsraten keine Chance, an der Macht zu bleiben, geschweige denn, rund 35 Prozent der Stimmen zu erhalten. Die Einzigartigkeit der AKP besteht darin, dass sie nicht nur eine politische Partei ist, sondern auch eine Art „soziale Kümmerpartei“, die ihre „Massen“ umfasst, in ihr tägliches Leben eindringt, mit diesem Beziehungsnetz die Lücken im System stopft und 11 Millionen Mitglieder hat. (Ganz zu schweigen von ihren Verbindungen zur Mafia und zum organisierten Verbrechen). Neben ihren lokalen Organisationen ist sie über ihre Gemeinden und islamistischen Sekten in das gesellschaftliche Leben eingebunden, mit Chats, Treffen, Iftars, religiösen Basaren, Kampagnen und verschiedenen sozialen und kulturellen Aktivitäten. Dies sind die Dynamiken, die sich einem schnellen Auflösen der Partei entgegenstellen werden. Die Grenzen eben dieser Dynamik schrumpfen jedoch mit dem neuen sozioökonomischen Hintergrund. Die Umwälzung des politischen Bildes, die Erschütterung der bestehenden Hegemonie und die Form der „lahmen Ente“, die die AKP angenommen hat, sorgen dafür, dass 80 Prozent der jungen Menschen sie nicht wählen. Denn sie wollen ihre Freiheit. Das ist noch keine demokratische Dynamik, aber sie ist eine Möglichkeit für die politische Linke und die Arbeiterbewegung. Eine Gesellschaftsordnung, in der junge Menschen auf Befehl eines Hodschas sitzen oder aufstehen, ist nicht mehr möglich. Unter diesen neuen Bedingungen, in denen Arbeitslosigkeit, Prekariat, urbane Armut und Ausbeutung vorherrschen und die Idee der Freiheit wieder auf der Tagesordnung steht, ist ein politisches Programm notwendig, dass sich der sozialen Probleme annimmt. Nur wenn die sozio-kulturelle Grundlage der AKP angegriffen wird, wird sie ihren Platz in der Bedeutungslosigkeit der Geschichte einnehmen.

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