Written by 11:06 TÜRKEI

Weg frei für Finnlands NATO-Beitritt – Fluch oder Segen?

Das türkische Parlament stimmte nach monatelanger Hinhaltetaktik als letztes NATO-Mitgliedsland dem Antrag Finnlands zu, Mitglied der NATO zu werden. Die erwartete Entscheidung des türkischen Parlaments zog sich bis in die Nacht hinein. Erst kurz vor Mitternacht stimmten alle da noch anwesenden Abgeordneten sowohl der Regierungsparteien wie der Opposition für die finnische Mitgliedschaft in der NATO. Somit bleibt nur noch der Antrag Schwedens auf Aufnahme in das NATO-Kriegsbündnis als Verhandlungsmasse übrig und wird im türkischen Wahlkampf für die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 14. Mai sicherlich noch eine wichtige Rolle spielen.

Regierung und bürgerliche Opposition einstimmig

Die Fraktionen der regierenden AKP Erdoǧans und seines ultranationalistischen Koalitionspartners MHP sowie der bürgerlichen Oppositionspartei CHP mit Erdoǧans Kontrahenten Kılıçdaroǧlu und der MHP-Splitterpartei İYİ Parti stimmten geschlossen mit „Ja“ für die Aufnahme. Die kurdisch-linke HDP, zweitgrößte Oppositionspartei im türkischen Parlament, zog es vor, nicht mit „Nein“ zu stimmen, sondern entzog sich der Abstimmung durch keine Abgabe von Stimmen. Die kleineren im Parlament vertretenen Parteien TİP, BBP, Deva-Partei, Demokratische Partei und Zafer-Partei verließen den Plenarsaal während der Abstimmung und nahmen somit nicht an der Sitzung teil. Somit wurde die Entscheidung über den Beitritt Finnlands zur NATO mit den Stimmen aller an der Abstimmung beteiligten Parteien und Abgeordneten mit keiner einzigen Gegenstimme angenommen. Die Türkei hat nun offiziell das Ratifizierungsprotokoll in Washington hinterlegt, wo die NATO ihre Dokumente aufbewahrt und somit konnte NATO-Generalsekretär Stoltenberg Finnland offiziell einladen, 31. Mitglied des Militärbündnisses zu werden. Beim NATO-Außenministertreffen in Brüssel soll dann vor dem Hauptquartier feierlich die Fahne Finnlands gehisst werden.
Die bürgerliche Opposition hatte sich schon früher zu der Aufnahme Finnlands (und auch Schwedens) positiv geäußert. Ist es doch auch kein Wunder, denn die CHP, die Partei des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk, gilt als staatstragende Partei und war schon immer für eine militärisch starke Türkei, die in der Weltpolitik mitspielen wolle. Darin sind sich Regierung und Opposition immer einig gewesen.

HDP und TİP stimmten nicht mit „Nein“
Doch was verwunderte: Die beiden im Parlament vertretenen Parteien HDP und TİP, die sich mit weiteren Kräften und Parteien in dem linken „Bündnis für Arbeit und Freiheit“ zusammengeschlossen haben, haben entgegen ihrer Programme, nicht gegen die Erweiterungspolitik der NATO gestimmt. Die Grün-Links-Partei (YesilSol), auf deren Liste die HDP bei den Wahlen am 14. Mai antreten wird, hatte einen Tag vor der Abstimmung in ihrem Wahlmanifest angekündigt, dass sie die Erweiterungspolitik der NATO ablehnt. Obwohl sie während der Abstimmung im Saal anwesend waren, haben die HDP-Abgeordneten nicht an der Abstimmung teilgenommen. Es wurden also weder Nein-Stimmen noch Enthaltungen abgegeben. Bemerkenswert war auch, dass die „Arbeiterpartei der Türkei“ (TİP), die sich bei verschiedenen Gelegenheiten verbal gegen die komplette NATO und ihre Erweiterung ausgesprochen hatte, nicht an der Abstimmung teilnahm.
Der HDP-Sprecher des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten, Hişyar Özsoy, begründete das Wahlverhalten mit „legitimen Sicherheitsbedenken Finnlands“. Er erklärte, dass seine Partei noch nie mit „Ja“ zu einem Militärabkommen gestimmt habe. „Wir sagen immer ‚Nein‘. Das ist das erste Mal, dass wir so was bei einem Militärabkommen tun. Wir haben bisher gegen alle Abkommen gestimmt, aber dieses Mal haben wir uns entschieden, nicht an der Abstimmung teilzunehmen, weil wir die Sicherheitsbedenken Finnlands für legitim halten, daher wollten wir auch nicht ‚Nein‘ sagen.“

NATO ist ein Kriegsbündnis

Doch ist das Durchwinken eines neuen Mitglieds für ein Kriegsbündnis der richtige Weg? Dazu muss man die Frage nach der Funktion und der Legitimität der NATO stellen. Die NATO wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet und war in erster Linie als Bollwerk gegen den Sozialismus und die Volksdemokratien gedacht, die damals ein Sechstel der geografischen Landfläche der Welt abdeckten. Gleichzeitig intervenierte sie in allen Ländern, indem sie geheime Konterguerilla-Organisationen aufstellte, Armeen ausbildete, Putsche inszenierte, Regierungen ernannte und absetzte und so den Umlauf des imperialistischen Kapitals und die ungehinderte Verwirklichung der politischen Ziele der USA erleichterte.

Massenmorde, bewaffnete Interventionen, Putsche, Ermordung von Gewerkschaftern, Politikern und Intellektuellen, Unterdrückung der internen Opposition durch Gladio und ähnliche Organisationen überall in der Welt sind nur einige der Methoden der NATO, die bei der ständigen Anpassung der Welt eingesetzt wurden und werden.

Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts führte die NATO verdeckte und offene Operationen gegen viele Staaten und Völker durch, die sich gegen den Kolonialismus wehrten, um ihre politische Unabhängigkeit zu erlangen. Staaten und Regierungen wurden und werden gestürzt, wenn es den NATO-Staaten in die Planung passte. Es war die NATO, die islamistisch-dschihadistische Organisationen, wie die Hamas, Taliban und Al-Qaida förderte und sie gegen die (links-)revolutionäre Opposition oder die Sowjet-Union aufhetzte. Dieser Aufbau des Dschihadismus ist eines der Instrumente, mit denen die USA ihren Einfluss in der Welt ausweiteten. Viele Feinde ihrer heutigen Demokratien schufen die NATO-Partner in der Vergangenheit selber und lenkten sie gegen ihre Feinde.
Die NATO ist das Damoklesschwert über den Völkern und Werktätigen der Welt. Sie ist der Garant der kapitalistischen Weltordnung. Heute verfolgt sie mit ihrer angestrebten Erweiterung um Finnland und Schweden oder der Ukraine dasselbe Ziel, wie am Anfang ihrer Gründungszeit: Wirtschaftliche oder militärische Abtrünnige der eigenen Linie anzupassen! Auf ihrem Gipfel vor zwei Jahren erneuerte die NATO ihre Strategie, indem sie China und Russland zu ihren Feinden erklärte. In diesem Zusammenhang hat sie versucht, alle Mitgliedsstaaten in ihrer Peripherie zu vereinen, was ihr aber nach bescheinigtem „Hirntod“ erst durch den völkerrechtswidrigen, russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine vor einem Jahr gelang.

Somit sollte man sich nicht um das neue Mitglied im Kriegsbündnis freuen, sondern die Polarisierung der Welt, die diese Mitgliedschaft verschärft, als einen weiteren Schritt Richtung „großer Knall“ verstehen.

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