Written by 13:00 HABERLER

„Wir sind bereit für weitere Aktionen“

Sidar Carman

Erster Warnstreik beim Pharmagroßhändler Alliance Healthcare AG in Stuttgart

In der aktuellen Tarifauseinandersetzung für die 120.000 Beschäftigten des baden-württembergischen Großhandels fand im Vorfeld der 3. Verhandlungsrunde am 12. Juni eine Reihe von Warnstreiks statt. ver.di fordert Tariferhöhungen um 5,6 %; die Ausbildungsvergütungen sollen um 80 € erhöht werden. Das Angebot der Arbeitgeber: In der von ihnen gewünschten zweijährigen Laufzeit sollen die Gehälter rückwirkend ab 1. April 2017 um 1,3% und ab 1. April 2018 um weitere 1,3% steigen. Hingegen sprudeln die Unternehmensgewinne nach wie vor kräftig. So lag der Gewinn nach Steuern in der Branche bei 22,9 Mrd. Euro.

Brav weiter arbeiten für weniger Geld? Nicht mit uns!

Wir sind bei Alliance Healthcare Deutschland AG, einem der größten Pharmagroßhändler in Deutschland mit über 20 Niederlassungen. Eine davon befindet sich in Stuttgart-Weilimdorf. Täglich kommen hier Dutzende Paletten Medikamente und Gesundheitsprodukte an, die wiederum an regionale Apotheken geliefert werden. Der Zeitdruck ist enorm, die Auftragsabwicklung zwischen den Apotheken und dem Pharmaunternehmen ist streng getaktet. Das Zauberwort lautet auch hier „Just-in-Time-Lieferung“. Wenn in einer Apotheke eine Bestellung eingeht, landet diese z.B. bei Alliance Healtcare AG und alle Rädchen werden sodann in Gang gesetzt werden. Von vielen Frauen – entweder in Vollzeit seit mehr als 25 Jahren oder zunehmend in (befristeter) Teilzeit. Die Ausfuhr erfolgt von Werkverträglern. Man erkennt sie nicht auf dem ersten Blick, denn sie fahren in Autos mit dem Firmenlogo. Die männlichen Arbeiter findet man eher in der Warenannahme.

Die Branche ist geprägt von stetigem Abbau von Arbeitsplätzen, die damit verbundene Arbeitsverdichtung sowie die Verabschiedung bzw. Bankrotterklärung in Sachen Ausbildung. Eine Reihe von Problemen, die an den Beschäftigten nicht spurlos vorbeiging und sich am Standort Stuttgart erstmals in einem Tagesstreik äußerte.

Befristete mit Tränen in den Augen

Beim ganztägigen Streik hieß es das erste Mal für die Beschäftigten, die Arbeit ruhen zu lassen und am Streikposten vor dem Betrieb zu stehen. Die Aufregung und Freude war allgegenwärtig. „Ich wusste es“ hören wir oft, als die Kollegen uns auf der Zufahrt zum Betrieb sehen. Sie bleiben stehen und lachen. Ein Bild, das sich bis in die Spätschicht zeigt. Doch auch die Realität von befristeter Teilzeit. Es sind bewegende Momente, als zwei junge Frauen weinen und ja, verzweifelt sind. Sie haben Angst, große Angst. Sie wollen streiken, befürchten jedoch, dass sie dafür vom Arbeitgeber bestraft werden und keine Verlängerung erhalten. Die Kollegen sprechen ihnen Mut zu. Mit Tränen in den Augen gehen sie rein, die Angst ist zu groß. Streik – nein, das ist keine einfache Sache. Die streikenden Kollegen winken ihnen zu. „Wegen uns sollen sie keine Angst haben, sie sind und bleiben unsere Kollegen. Wir verstehen sie.“

Der Zusammenhalt ist groß und standhaft. Die Mehrheit der Arbeiterinnen feiert ihren ersten Tagesstreik. Betriebsräte aus anderen Standorten übersenden ihre Grußbotschaften. Wir kommen ins Gespräch. „Seit der Übernahme hat sich vieles ins Negative entwickelt. Wir sind weniger Leute, wir haben mehr Arbeit und bekommen dafür das gleiche Geld. Ich habe 2.000 Artikel zu bewirtschaften und ich stehe morgens 1-2 Stunden komplett alleine in meiner Abteilung. Wenn ich umkippen würde, würde mich erst nach Paar Stunden jemand finden.“, so eine Arbeiterin, die seit 1994 im Unternehmen arbeitet. Eine andere Arbeiterin ergänzt „Das ist eine Automatenhalle, das war früher unsere Tiefgarage und die rennen sich da unten die Hacken wund.“

Eine dritte Arbeiterin erzählt weiter: „Bei uns wurden gezielt Stellen nicht ersetzt. Frauen, die in Mutterschutz gehen und dann wieder zurückkommen, vielleicht noch ihre Stunden reduzieren, werden als Allround-Kraft eingesetzt.“

Brav weiterarbeiten? Nicht mit uns!

Und ihr Streik zeigt Wirkung. Leitende Angestellte aus Frankfurt und nahen gelegenen Standorten fahren unter tosendem Pfeifkonzert der Streikenden ein. „Sie kommen, um zu arbeiten“ – ruft eine Arbeiterin, alle lachen und applaudieren ihren Erfolg. Beim Stuttgarter Pharmagroßhändler haben die Kolleginnen erstmals konkret erfahren, das Streikrecht umzusetzen. Sie haben gesehen, zu was sie imstande sind und sein können. Sie haben Mut und Selbstbewusstsein geschöpft. Ja, mit ihrem Streik demonstrierten sie ihre Bereitschaft für ihre Forderung rauszugehen, sie feierten ihre entdeckte Stärke aus ihrem Zusammenhalt.

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