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„Wir werden weiterstreiken“

Erneut ist die Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) in eine neue Tarifauseinandersetzung in der Metall – und Elektroindustrie eingegangen. Mehrere Tage führten über 375000 Arbeiter und Angestellte bundesweit in fast 2000 Werken der Branche (Stand: 15. Januar) Warnstreiks durch, um ihren Forderungen mehr Kraft zu verleihen. Während Arbeitgeberverband und die Gewerkschaft sich um ihre jeweiligen Forderungen streiten, bereiten sich die Kolleginnen und Kollegen jedoch auf unbefristete Streiks vor.

Die IG Metall fordert neben einer sechs prozentigen Gehaltserhöhung auch eine für bis zu 24 Monaten individuell verkürzbare Arbeitszeit auf 28 Stunden. Damit soll den Kolleginnen und Kollegen vor allem die Möglichkeit gegeben werden, sich um pflegebedürftige Familienangehörige und Kinder zu kümmern. Eine Arbeitszeitverkürzung lehnten die Arbeitgeber jedoch generell ab, zuerst mit der Begründung, dass dadurch Kundenaufträge nicht mehr zu erfüllen wären und dann damit, dass diese Forderung diskriminierend gegenüber den Teilzeitarbeitern sei.

Wir haben einige auserwählte Vertreterinnen und Vertreter in München, Nürnberg, Hamburg und Geislingen über ihre Aktionen und Ansichten befragt.

„Geld ist nicht alles – Wir wollen auch Familie und Erholung!“

Traditionell trat in München die Elektrofirma RF360, früher TDK und Epcos, als erstes Werk den Warnstreik in der Spätschicht an. Canan Şanlı ist Betriebsrätin bei RF 360, wo eine hohe Anzahl an Arbeitern in Schichtsystemen arbeiten, die für die Metall – und Elektroindustrie nicht unüblich sind. Die Beschäftigten akzeptieren diese Schichtsysteme meist aus der Notwendigkeit heraus, dass man dadurch mehr Geld verdienen kann, weil man Zuschüsse für Feiertage und Sonderzeiten bekommt. Doch darunter leiden meist die privaten Bedürfnisse und das Leben der Arbeiter und ihrer Angehörigen. Wir haben mit Canan Şanlı über die Tarifauseinandersetzung und die Forderungen der Belegschaft gesprochen. Das Interview führte Sinan Cokdegerli.

Wie läuft die Tarifauseinandersetzung bei euch im Betrieb, wie kommt die Tarifrunde bei der Belegschaft an?

Die Tarifrunde hat zunächst stockend aber auch sehr anstrengend angefangen, aber wird immer besser. Je länger dieser Arbeitskampf läuft, desto überzeugter werden die Belegschaften, werden aktiver und stehen enger zur Gewerkschaft und zum Betriebsrat. Wir sind sehr positiv überrascht, welches Feedback wir bisher bekommen haben.

Was denkst du über die Forderungen der IG Metall, sei es bei der Lohnforderung, der Arbeitszeitforderung und der Forderung der Jugend?

Die Forderungen finde ich alle gerechtfertigt. Die Arbeit sollte man seinem Leben anpassen können, statt das Leben an die Arbeit anpassen zu müssen. Die Forderung von 6 % für die Belegschaft, aber auch die Jugend-spezifischen Forderung z.B. bezüglich der Freistellung vor Prüfungen, ist alles gerechtfertigt. Die Jugend muss die Chance haben sich bilden und die Ausbildung erfolgreich beenden zu können. Die Voraussetzung einer guten Arbeit in allen Betrieben ist eine höhere Qualifizierung. Diese bieten sie uns jedoch keineswegs, dadurch dass wir uns die ganze Zeit in den Werken aufhalten müssen.

An der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung will die Gewerkschaft unbedingt festhalten. Wieso ist gerade diese Forderung der Belegschaften und insbesondere für dich wichtig?

Für mich und die gesamte Belegschaft ist das eine sehr wichtige Forderung. Wie schon gesagt, sind wir immer dazu gezwungen, unser Privatleben der Arbeit anzupassen. Jedoch müsste das genau andersherum sein. Wir müssen auch schauen, dass wir in unserem Leben vorankommen. Jeder, der Schichtarbeit macht, weiß: Unsere Familien kommen immer kürzer als die Arbeit. Soziale Kontakte und Bedürfnisse leiden stark, Erholung ist oft unmöglich.

In unserer Firma z.B. arbeiten wir in Kontischicht, das bedeutet wir arbeiten sieben Tage durch, haben dann drei Tage frei und arbeiten dann wieder sieben Tage durchgehend. Es ist egal ob Feiertag oder Wochenende. In diesem Schichtmodell arbeiten wir dann auch noch in den Früh-, Spät- und Nachtschichten. Da sind wir stark gezwungen, ziemlich kurz zu treten, was alle Verpflichtungen und Bedürfnisse außerhalb der Arbeit betrifft. Es heißt zwar, wir werden dementsprechend entlohnt, aber Geld ist nicht alles. Wir brauchen auch Zeit für unsere Familien.

Wenn ich sage „Geld ist nicht alles“, heißt das aber auch nicht, dass wir die Zuschüsse, die wir in diesem Schichtmodell bekommen, nicht dringend bräuchten. Deswegen müssen bei einer Arbeitszeitverkürzung auch die Zuschüsse stimmen. Wenn wir nur noch 28 Stunden arbeiten, müssen auch die Zuschüsse und die finanzielle Lage trotzdem stimmen. Das muss in diesen Tarifverhandlungen geregelt werden.

Die Arbeitgeberseite möchte ja nicht nur eure Forderungen nicht annehmen, sondern auch eure bisher erkämpften Rechte wegnehmen. Sie fordern im Gegenzug eine 40 Stunden–Woche, wollen euch die Zuschüsse streichen und nur eine Lohnerhöhung von 2%. Was hältst du von diesen Forderungen der Arbeitgeber?

Was unser Recht ist und was wir uns bereits erkämpft haben, behalten wir auch und dafür kämpfen wir auch. Das können die sich abschminken. Wir sind diejenigen, die das Werk voranbringen und am Leben halten. Wir erschaffen hier alle Werte und ohne uns gäbe es das Ganze hier nicht. Das sollten sich die Arbeitgeber mal klarmachen.


„Die Belegschaft ist bereit, bis zum Schluss zu kämpfen!“

Dominik Reinthaler, Jugend-Vertrauenkörper-Leiter und Jugendvertreter bei der MAN Truck and Bus AG in München

Meiner Meinung nach sind die Fronten ziemlich verhärtet. Die Arbeitgeber wollen nicht von ihren Positionen abkommen und haben sogar respektlose Gegenangebote gemacht. Im Prinzip wollen sie uns 2% geben, aber alle Schichtzuschläge streichen, was uns im Endeffekt eher mehr Geld kostet, als einbringt. Das heißt, wir würden eine absolute Minus-Runde machen und da geht natürlich keiner von der IG Metall darauf ein. Das Angebot von der VBM (Verband der Bayerischen Metall – und Elektroindustrie) verschärft die Fronten noch mehr. Aber die IG Metall ist natürlich bereit ,für ihre Forderungen zu kämpfen. Wir hatten in unserer Firma MAN Truck and Bus AG auch einen Warnstreik, an der sich ungefähr 3.000 Kolleginnen und Kollegen beteiligt haben. Da sieht man schon, wir stehen zusammen und stehen auch für die Forderungen.


Warnstreik bei WMF

Karin Geiger, Betriebsrätin WMF

An dem Warnstreik bei WMF in Geislingen beteiligten sich rund 600 Kolleginnen und Kollegen, die Früh- und Spätschicht trat für rund 3 Stunden, die Normalschicht für 5 Stunden in den Streik.

Alle Beschäftigten der Früh-, Spät- und Normalschicht wurden morgens an den Toren aufgerufen, an diesem Tag um 11 Uhr bzw. 19 Uhr die Arbeit niederzulegen und an einer Kundgebung auf dem Werksgelände teilzunehmen. Dort wurden die Teilnehmer dann vom 1. Bevollmächtigten der

IG Metall Göppingen-Geislingen, Martin Purschke, über das momentane Angebot der Arbeitgeber von 2 % Entgelterhöhung bei gleichzeitiger Ausweitung der Wochenarbeitszeit auf bis zu 40 Stunden und mehr informiert. Diese Nachricht wurde sogleich mit Pfiffen und Buh-Rufen quittiert.

Purschke bekräftigte unter wiederholtem Beifall der Kolleginnen und Kollegen noch einmal die Forderung der IG Metall nach 6 % mehr Lohn und der individuellen Möglichkeit zu Reduzierung der Wochenarbeitszeit auf bis zu 28 Stunden. Von der boomenden Konjunktur dürften nicht nur einseitig die Konzerne durch Gewinnmaximierung profitieren! Der Profit wird durch die Leistungen der Beschäftigten erwirtschaftet und deshalb haben die Kolleginnen und Kollegen auch Anspruch auf einen fairen Anteil. Außerdem darf die Arbeit nicht das ganze Leben bestimmen, es muss auch noch Raum für Familie und Freizeit bleiben und die Möglichkeit, die Arbeitszeit entsprechend anzupassen.

Der nächste Warnstreik ist bereits geplant, dieser wird am 24. Januar gemeinsam mit weiteren Firmen aus dem Raum Geislingen stattfinden.

Dann wird ein Demozug auf der Hauptverkehrsachse B10 mit anschließender Kundgebung veranstaltet, die Metallerinnen und Metaller werden sich auch hier lautstark Gehör für ihre Forderungen verschaffen.


Forderungen sind absolut gerechtfertigt“

Sebastian Wichert, Vorsitzender der IG Metall Jugend Nürnberg und Betriebsrat bei Leistritz

Wir sind heute hier auf dem Warnstreik zusammen mit einigen tausend Leuten, um gemeinsam für unsere Forderungen einzustehen. Ich sage, unsere Entgeltforderung nach 6 % mehr ist absolut gerechtfertigt. Die haben wir den Arbeitgebern gegenüber bei den Verhandlungen auch gut begründet. Die Arbeitgeber haben uns ein Gegenangebot von ca. 2 % für zwei Jahre gemacht. Allerdings auch noch bei einer Erhöhung der Arbeitszeit auf 40 Stunden. Das ist für uns natürlich absolut inakzeptabel. Wir als Jugend sind heute auch hier mit vielen Auszubildenden, weil wir fordern, dass alle Auszubildenden vor den Prüfungen freigestellt werden, um sich nochmal sammeln, konzentrieren oder entspannen zu können, um dann bei den Prüfungen voll durchzustarten.


„Solidarität auch mit den streikenden Kollegen in der Türkei“

Ina Morgenroth (Geschäftsführerin der IG Metall Region Hamburg) :

Wie man auch hier sehen kann, zeigen die Arbeitgeber in jedem Teil der Welt dieselbe Haltung. In Deutschland werden die Bosse von Tag zu Tag reicher. Die Löhne der Arbeiter bleiben gleich oder steigen nur minimal, und dass auch nur wenn wir dafür kämpfen. Wir wissen, dass auch die Metallarbeiter in der Türkei die gleichen Probleme erleben. Unsere Forderungen und der Kampf sowie der unserer Arbeiterfreunde in der Türkei ist eine gemeinsame Sache. Auf unserer Streikkundgebung vor dem Mercedes Werk in Hamburg-Harburg übermitteln wir unsere solidarischen Grüße. Wenn wir gemeinsam kämpfen, können wir es schaffen. Wir müssen die internationale Solidarität zwischen den Gewerkschaften stärken.

Jörg Milla (Betriebsratsvorsitzender bei STILL), Detlef Feye (STILL IG Metall Vertrauenskörperleitung)

Wir, der Betriebsrat und die Vertrauenskörperleitung bei STILL, wünschen den Metallarbeitern in der Türkei viel Erfolg bei ihrem berechtigten Streik. Das Streikrecht ist ein Grundrecht. Wir unterstützen die Metallarbeiter in der Türkei, die trotz des Ausnahmezustandes für ihr Recht auf menschliche Lebensbedingungen und gegen die Arbeitnehmer kämpfen. Wir sind solidarisch mit ihnen und senden unsere Unterstützung und Grüße aus Hamburg.


„Leiharbeiter lassen sich nicht als Streikbrecher einsetzen“

Ahmet Çetin (Mitglied des Betriebsrates bei Mercedes in Hamburg-Hamburg):

In unserer Fabrik sind inklusive der Leiharbeiter über 3.000 Arbeiter beschäftigt. 70 % der Arbeiter haben sich am Streik beteiligt. Ich kann sagen, dass die Einheit der Arbeiter im Vergleich zu den letzten Tarifkämpfen besser geworden ist. Dieses Mal haben die Leiharbeiter den Streik unterstützt, in dem sie ihr Recht, einen Tag die Arbeit nicht anzunehmen, genutzt haben und nach Hause gegangen sind. Das ist ein wichtiges Beispiel. Insbesondere für die Zukunft, denn es war eine Antwort an die Arbeitgeber, die versuchen, die Leiharbeiter als Streikbrecher einzusetzen. Als Arbeiter sind wir uns bewusst, dass uns nichts geschenkt wird, wenn wir nicht dafür kämpfen. Dass ist überall auf der Welt so. Ich kann den Kampf unserer Brüder, der Metallarbeiter in der Türkei, leider nur über die sozialen Medien verfolgen. Ich hoffe, dass sie mit Erfolg aus ihrem Kampf herausgehen. Sie sollen wissen, dass das Kapital überall auf der Welt dieselbe Position einnimmt und dass wenn wir Arbeiter eine gemeinsame Haltung einnehmen und kämpfen, wir gewinnen werden. Sie sind nicht alleine.


„Die Streiks werden weitergehen“

Abdullah Comart (Mitglied des Betriebsrats bei STILL und Vorsitzender der AG Migration in der IG Metall Hamburg):

Wir als Metallarbeiter wollen unser Recht haben. Die Regierung sagt, dass Deutschland von Tag zu Tag reicher wird. Diesen Reichtum produzieren wir Arbeiter und wir möchten mindestens unseren Anteil daran haben, aber nicht einmal diesen wollen sie uns geben. Nur durch Kampf erhalten wir etwas. Auch dieses Mal wird es so sein. Die Bosse der Metallindustrie sollen wissen, dass wir dieses Mal entschlossener denn je sind. Unter den Arbeitern gibt es eine Einheit und Solidarität an der Basis, die massiv Druck gibt. Unsere Gewerkschaftsführer werden sich nicht so leicht wie früher einigen. Am 24. Januar wird in Hamburg ein 24-Stunden Streik stattfinden. Ich rufe alle meine Arbeiterbrüder dazu auf daran teilzunehmen.

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