Am 5. Dezember hat der Bundestag in seiner Sitzung beschlossen: das Wehrpflicht-Modell, wie von der Bundesregierung vorgelegt, wird eingeführt. Gleichzeitig demonstrierten in über 90 Städten mindestens 55.000 junge Menschen gegen die Pflicht zum Dienst an der Waffe. Die Wiedereinführung der Wehrpflicht ist das nächste Glied der Kette zu einer „kriegstüchtigen“ Gesellschaft.
Alev Bahadır
Mit 323 zu 272 Stimmen beschloss der Bundestag das neue Gesetz, das Mitte Dezember noch vom Bundesrat bestätigt werden und dann ab dem 1. Januar 2026 greifen soll. Wer ab Januar 2008 geboren wurde, bekommt nun einen Fragebogen zur Wehrerfassung. In diesem soll geklärt werden, ob eine Motivation und auch eine Eignung für den Wehrdienst besteht. Für Frauen ist das Ausfüllen des Bogens freiwillig, für Männer verpflichtend. Ebenso müssen alle jungen Männer in dem Alter ab 2027 zur Musterung, um festzustellen, ob sie überhaupt für den Dienst an der Waffe geeignet sind. Sollten sich nicht genug Leute freiwillig für die Bundeswehr melden – eine Zahl, die alle sechs Monate ermittelt werden soll – kann der Bundestag per Beschluss den Einzug der jungen Männer anordnen. Das Ziel: 255.000 – 270.000 aktive Soldaten und 200.000 Reservisten bis 2035. Aktuell sind 184.000 Menschen aktiv im Militärdienst.
Dass die Pflicht nochmal gesondert beschlossen werden soll, ist eigentlich nur eine Pro-Forma Angelegenheit. Dass sich nun – trotz intensiver Kriegspropaganda durch die Regierung und Medien – 80.000 zusätzliche Menschen finden, die der Bundeswehr beitreten wollen, ist unwahrscheinlich. Bis Ende Oktober 2025 haben 3.034 Menschen beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) erklärt, den Kriegsdienst zu verweigern, obwohl diese noch nicht eingeführt war. Fast dreimal so viele, wie noch vor zwei Jahren.
Auch wenn es Anstiege in den Bewerberzahlen gibt, bewegte sich die gesamte Truppenstärke (das heißt Berufssoldaten und freiwillig Wehrdienst-Leistende) in den letzten zehn Jahren bei knapp 180.000. Somit ist die Wieder-Einführung der Wehrpflicht am 5. Dezember defacto beschlossen wurden. 2011 war die Wehrpflicht ausgesetzt worden. Grund war keinesfalls, wie damals behauptet, dass der „Eingriff in das Grundrecht“ der jungen Menschen im Angesicht der sicherheitspolitischen Lage nicht mehr gerechtfertigt sei. Man wollte eine kleinere, schlagfertige Berufsarmee, die gezielt die deutschen Interessen im Ausland verteidigen sollte. Seitdem ist die Bundeswehr jährlich in mehr als einem Dutzend Auslandseinsätzen unterwegs gewesen – ganz schön viel für eine sogenannte „Verteidigungsarmee“.
Anreize und Propaganda
Seit Jahren versucht die Bundeswehr mit verschiedenen Anreizen junge Menschen zu gewinnen. Und zwar am besten als Berufssoldaten, die sich für lange Zeiträume verpflichten. So gab es in der Vergangenheit schon Webserien, wie die „Rekruten“ oder Bundeswehr „Adventure Camps“, bei denen der Soldatenalltag als Abenteuerurlaub vermarktet wurde. Parallel dazu wirbt die Bundeswehr mit JugendoffizierenRekruten in Schulen und auf Berufsmessen an. In Städten, wie Nürnberg, nutzte die Armee sogar Freiflächen in der Innenstadt für eine Bundeswehr „Pop-Up-Lounge“, wo man sich direkt verpflichten und dabei noch im Hindernisparkour Soldat spielen konnte.
Die Qualität dieser „Werbung“ hat sich in den vergangenen drei Jahren jedoch intensiviert. Mit den immer aggressiver zu Tage tretenden imperialistischen Aufteilungskämpfen hat sich der Einsatz von Militär und Krieg verstetigt. Die Machtblöcke führen längst nicht mehr „nur“ noch Handelskriege, auch mit Panzern und Waffen werden die Interessen um Geopolitik und Ressourcen verteidigt. Während Blöcke wie die NATO ihre Mitglieder dazu verpflichten, aufzurüsten, verfolgen die einzelnen Staaten ebenfalls ihre eigenen Interessen. So lassen Äußerungen, wie Deutschland müsse „kriegstüchtig“ werden (Verteidigungsminister Boris Pistorius, SPD) oder die Bundeswehr solle sich zur „größten Armee Europas“ entwickeln (Bundeskanzler Friedrich Merz, CDU) erkennen, dass Deutschland militärisch dorthin aufholen will, wo es wirtschaftlich schon ist: ganz nach vorne.
Dabei geht es nicht um die „Wahrung der Demokratie“ oder die „Sicherheit der Menschen in Europa“, sonst würde Deutschland nicht von Anfang an diplomatische Bemühungen um die Beendigung des Kriegs in der Ukraine unterwandern. In gewissem Maße hängt der aktuelle Aufrüstungskurs der Bundesregierung also durchaus mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine zusammen, jedoch nicht so, wie erpräsentiert wird. Dieser Angriff markierte den Punkt, an dem man die Bevölkerung einfacher für die Aufrüstung gewinnen kann – und das geht nur mit intensiver Propaganda.
Europas größte Armee wird man allerdings nicht mit 180.000 Soldaten. Mit 180.000 Soldaten wird man auch nicht zum ernsthaften Player zwischen Russland, den USA oder China, die allesamt fast oder sogar mehr als das zehnfache der deutschen Truppenstärke aufweisen. Also lockt man junge Menschen mit immer mehr Vergünstigungen: 2.600 Euro brutto im Monat als Einstiegsgehalt – im Vergleich als Mechatroniker verdient man im ersten Ausbildungsjahr zwischen 800 und 1.300 Euro brutto – und kostenlose Bahnfahrten, Übernahme der Kosten für den Führerschein und vieles mehr. Auch für Studienanfänger bietet die Bundeswehr einfachen Zugang zu Studiengängen, für viele ebenfalls ein attraktiver Faktor. Außerdem packt man die Jugendlichen bei ihren Ängsten und ihrem Pflichtgefühl. Das unberechenbare Feindbild Russland könnte – und wird – jederzeit angreifen und die Sicherheit der Menschen in Deutschland steht auf dem Spiel. Wer sollte sie verteidigen, wenn nicht die Jugend? Schlussendlich führen all diese Faktoren und viele mehr dazu, dass die Rekrutierungszahlen der Bundeswehr steigen. Im Jahr 2024 haben sich 51.000 Menschen für die Bundeswehr beworben. Im ersten Halbjahr 2025 wurden bereits 13.750 Menschen verpflichtet, was ein Plus von 26 Prozent im Vergleich zum Vorjahr macht. Dabei macht die Bundeswehr auch vor Minderjährigen nicht Halt. 20.000 Minderjährige wurden von 2011 bis heute verpflichtet. Die Zahl steigtvon Jahr zu Jahr und erreichte 2024 einen Rekordwert von 2.203 Soldaten, die bei Dienstantritt erst 17 Jahre alt waren. Wer die Menschen sind, die sich verpflichten, liegt offen auf der Hand: nicht die Kinder von Merz, Pistorius und Co. lassen sich von 2600 Euro brutto und kostenlos Bahnfahren locken, es sind die Kinder der Ärmsten der Gesellschaft, die einen Ausweg suchen.
„Nein zur Wehrpflicht“
Während die Bundesregierung die Anreize für eine freiwillige und längere Verpflichtung anhebt, öffnet sich gleichzeitig Tür und Tor für die unfreiwillige Verpflichtung in Form der Wehrpflicht. Denn jährlich verlassen etwa 20.000 Menschen die Bundeswehr. Medial wird zeitgleich jede Kritik daran diffamiert und abgeschmettert. Wer erklärt, nicht in den Krieg ziehen zu wollen, wird als „Lumpenpazifist“ oder „faul“ und „feige“ gebrandmarkt. Dabei sind es selten die, die am lautesten nach Krieg schreien, die auch in den Krieg ziehen. Das macht die Jugend immer deutlicher und offener klar. Stimmen, die sagen, „ich schieße nicht auf meine Altersgenossen“, werden lauter und lauter. Zuletzt schlossen sich 55.000 junge Menschen dem Boykottaufruf des Bündnis „Nein zur Wehrpflicht“ an und gingen in 90 Städten auf die Straße. Für viele war es die erste Demonstration, die sie je besuchten. Mit Schildern und Transparenten machten sie klar, dass sie sich keinesfalls verpflichten werden – ob freiwillig oder unfreiwillig. Mehrere Aktionen, die an den Schülerstreik anschließen, sollen folgen. Der Kampf gegen die Wehrpflicht hat begonnen, in den Klassenräumen und auf der Straße.

