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Die Bundesregierung hat das Gewalthilfegesetz verabschiedet – was ändert sich nun?

Dilan Baran

Mit dem Beschluss des Gewalthilfegesetzes erfüllt die Bundesregierung eine Verpflichtung aus der Istanbul-Konvention, die Deutschland seit Februar 2018 bindet. Trotz dieser langen Umsetzungsfrist gibt es weiterhin erhebliche Defizite, etwa bei der Sicherstellung von Schutzmaßnahmen für Gewaltopfer, die in Frauenhäusern Zuflucht suchen. Ziel des neuen Gesetzes ist es, den Schutz für Betroffene kostenfrei zu gestalten und Barrieren, beispielsweise beim Zugang zu Beratungsstellen, abzubauen.

Kostenloser Zugang und bedarfsgerechte Deckung an Frauenhausplätzen besonders wichtig

„Aktuell gibt es 14.000 fehlende Plätze in Frauenhäusern. Jede vierte Frau musste für die Kosten selbst aufkommen. Das hemmt nicht nur die Effektivität des Schutzes, sondern hindert Frauen daran, Hilfseinrichtungen aufzusuchen. Daher sind der kostenlose Zugang und die Deckung des Bedarfs besonders wichtig“, äußert sich Dr. Esma Çakır-Ceylan vom Bundesverband der Migrantinnen in Deutschland im Gespräch mit Neues Leben. Dasselbe gelte für Beratungs- und Unterstützungsangebote. Letztere soll es auch für Personen aus dem sozialen Umfeld geben, also für Freunde, Verwandte, Kolleginnen und Nachbarn, die helfen möchten, aber nicht wissen wie. Weitere Maßnahmen sind Täter- und Opferarbeit, Förderung von Vernetzungsarbeit innerhalb des Hilfesystems, z.B. Polizei, Jugendhilfe, Gesundheitssystem, Justiz, Bildungseinrichtungen usw. Effektivität verspricht das Gesetz durch zusätzliche Finanzierung der Länder und dadurch, dass es erstmalig bundeseinheitlich geregelt ist.

Das Bundeskriminalamt (BKA) hat vor drei Wochen ein Bundeslagebild für 2023 veröffentlicht, das die Dringlichkeit des Themas Gewalt gegen Frauen eindringlich unterstreicht. Die Zahlen sind alarmierend: In Deutschland wird täglich eine Frau getötet. Insgesamt wurden 938 versuchte und vollendete Femizide registriert. Darüber hinaus gibt es mehr als 180.000 Fälle von häuslicher Gewalt. Besonders besorgniserregend ist der Anstieg digitaler Gewalt – darunter Belästigung, Diskriminierung und Nötigung im digitalen Raum – mit fast 17.200 gemeldeten Fällen, was einem Anstieg von 25 % entspricht. Auch der Menschenhandel, einschließlich der Zwangsprostitution, zeigt einen Zuwachs.

Diese Statistiken geben lediglich das sogenannte Hellfeld wieder. Experten gehen jedoch davon aus, dass insbesondere bei häuslicher und digitaler Gewalt das Dunkelfeld weitaus größer ist. „Es besteht ein dringender und akuter Handlungsbedarf“, betont Çakır-Ceylan.

Die Forderung nach Maßnahmen, wie sie das neue Gewalthilfegesetz vorsieht, wird seit Jahren von Organisationen wie dem Bundesverband der Migrantinnen, DaMigra (Dachverband der Migrantinnenorganisationen) und dem Deutschen Juristinnenbund erhoben. Dazu zählen die vollständige Umsetzung der Istanbul-Konvention, der Schutz von Frauen mit Flucht- und Migrationsgeschichte durch gesicherte Aufenthaltsrechte sowie die verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen.

Rechtsanspruch erst ab 2030 – ein untragbarer Zustand?

Nach derzeitigem Stand soll das Gewalthilfegesetz frühestens 2027 in Kraft treten, während der Rechtsanspruch erst ab 2030 gewährleistet sein soll. „Das ist völlig unzureichend. Es braucht dringend kurzfristige Lösungen für alle Fälle, die bis dahin auftreten!“, fordert der Verband.

Neben der zeitnahen Einführung eines Rechtsanspruchs wird auch die umfassende Umsetzung der Istanbul-Konvention angemahnt. Diese sieht weitreichende strukturelle Maßnahmen vor, die über das bloße Recht auf Schutz hinausgehen. Dazu gehören die effektive Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen auf allen staatlichen Ebenen, die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter, die Bekämpfung von Geschlechterstereotypen sowie präventive Ansätze in Bildung, Justiz und anderen Bereichen.

Die Frauenbewegung gewinnt an Stärke

Am 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen, gingen weltweit Millionen Menschen auf die Straße, um ihrer Empörung über die zunehmende Gewalt Ausdruck zu verleihen und politischen Druck auf die Regierungen auszuüben. Auch in Deutschland füllten Protestierende in zahlreichen Städten die Straßen, um die Umsetzung der Istanbul-Konvention zu fordern, die Deutschland ratifiziert hat, aber bislang unzureichend umsetzt.

„Betroffene stehen häufig vor der Wahl zwischen Gewalt und Armut“, erklärte Asha Hedayati, Anwältin für Familienrecht, in einem ARD-Interview am 19. November 2024. Laut Hedayati sind 42 % der Alleinerziehenden in Deutschland von Armut betroffen. Hinzu komme die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt: „Die Möglichkeit einer räumlichen Trennung besteht für viele Betroffene schlichtweg nicht.“ Sie betonte, dass bezahlbarer Wohnraum und Maßnahmen gegen Armut essenzielle Bausteine einer präventiven Gewaltpolitik sein müssen.

Auch Initiativen, wie „Deutsche Wohnen enteignen“ und „Hamburg enteignet“, beteiligten sich an den Demonstrationen und forderten strukturelle Veränderungen. Der BKA-Bericht, der die erschreckenden Zahlen zur Gewalt gegen Frauen präsentierte, hatte die öffentliche Debatte angeheizt und das Thema stärker ins Rampenlicht gerückt. Selbst Friedrich Merz, der CDU-Bundeskanzlerkandidat, der sich durch ein rückschrittliches Frauenbild hervorgetan hatte, sah sich gezwungen, Stellung zu beziehen – ein Zeichen für den wachsenden Einfluss der Frauenbewegung.

Die Forderung nach einem Gewalthilfegesetz war zentrales Thema der Proteste. Doch Aktivistinnen betonen, dass allein die Verabschiedung des Gesetzes nicht ausreicht – es muss schnell und umfassend umgesetzt werden. Die Bewegung setzt nun darauf, den Druck aufrechtzuerhalten, um diese Ziele voranzutreiben und die versprochenen Maßnahmen einzufordern.

Zunächst wird aber weiter Druck mit der Kampagne „Abtreibung legalisieren-jetzt!“ gemacht. Mit der Kernforderung der ersatzlosen Streichung des §218 aus dem Strafgesetzbuch leistet die Kampagne, bestehen aus feministischen Aktiven verschiedener Gruppen, Projekte und Initiativen, der auch der Bundesverband der Migrantinnen angehört, seit September diesen Jahres wichtige Arbeit zur Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland. Mit wöchentlichen Aktionen fordern sie die Ampelregierung auf, die Empfehlung der Expertenkommission aus dem Frühjahr 2024 umzusetzen und Schwangerschaftsabbrüche endlich zu legalisieren. Am 07.12.2024 soll die Kampagne mit einer Großdemonstration in Berlin und einer in Karlsruhe gekrönt werden.

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