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70 Jahre deutscher NATO-Beitritt

Dogus Birdal

Am 05.05.1955 trat Deutschland der NATO (North Atlantic Treaty Organization) bei. Der erste NATO-Generalsekretär, Lord Hastings Lionel Ismay, brachte den Gründungszweck trocken auf den Punkt: Das Bündnis sei dazu da, „die Sowjetunion draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten zu halten“. Über 70 Jahre nach dieser Aussage ist die Welt eine Andere. Die Sowjetunion existiert nicht mehr, die USA unterhält ca. 1000 Militärbasen in 80 Ländern und Deutschland verfolgt das Ziel, die größte Militärmacht Europas zu werden.

Friedensbündnis“ NATO

Die oft verwendete Selbstbezeichnung „Friedensbündnis“ bröckelt schon bei einer kurzen Betrachtung der jüngsten Vergangenheit der NATO.

Nach der Auflösung des Warschauer Pakts und der Sowjetunion 1991 blieb die NATO trotzdem erhalten. Die USA, die sich nun als einzige Weltmacht sahen, bezogen spätestens 1999 beim völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien, mit dem erstmals seit 1945 Grenzen in Europa mit Gewalt neu gezogen wurden, ihre Verbündeten direkt in ihre Feldzüge ein.

2001 beschloss die NATO, dass die Terroranschläge von New York und Washington als NATO-Bündnisfall zu interpretieren seien und der Artikel 5 des Nordatlantikvertrags zur Anwendung komme: Ein Angriff auf einen Staat werde als Angriff auf alle NATO-Staaten verstanden. Diese eindeutig völkerrechtswidrige Überdehnung und Überinterpretation des Artikels 5 (da es sich ja bei den Terroranschlägen nicht um einen Angriff eines Staates handelte) ebnete nach dem 11. September 2001 den Weg für den Einmarsch der NATO in Afghanistan und den Einmarsch der USA in den Irak.

Expansion der NATO – Militärausgaben auf Rekordhoch

Ihre heute 32 Mitgliedstaaten gaben 2023 für Militär rund 1,3 Billionen US-Dollar aus, die USA davon rund 880 Milliarden Dollar (Russland etwa 85 Milliarden, China rund 230 Milliarden). Aus einem Bericht des Stockholmer Institut für Internationale Friedensforschung (SIPRI) geht hervor, dass die Ausgaben der USA im Jahr 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 5,7 Prozent gestiegen sind und 997 Milliarden Dollar erreicht haben und die Militärausgaben im Zeitraum 2015 bis 2024 um 19 Prozent gestiegen sind. Somit machen die Militärausgaben der USA im vergangenen Jahr 37 Prozent der gesamten weltweiten Militärausgaben und 66 Prozent der gesamten NATO-Militärausgaben aus. Zudem haben alle europäischen Länder mit Ausnahme Maltas ihre Militärausgaben im vergangenen Jahr erhöht. Deutschland erreichte mit Ausgaben in Höhe von 88,5 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr den 4. Platz auf der Liste der Länder mit den höchsten Militärausgaben weltweit und ließ Indien hinter sich. Im Zeitraum 2015 bis 2024 sind die Militärausgaben Deutschlands um ganze 89 Prozent gestiegen.

Auf der anderen Seite sind die Militärausgaben Chinas im Zeitraum 2015 bis 2024 um 59 Prozent gestiegen und haben vergangenes Jahr über 300 Milliarden Dollar erreicht. Die Militärausgaben Russlands beliefen sich im Jahr 2024 auf 149 Milliarden Dollar, was einem Anstieg von 38 Prozent gegenüber dem Vorjahr und etwas 7 % des BIP entspricht.

Die fünf Länder mit den höchsten Militärausgaben im Jahr 2024 sind die USA, China, Russland, Deutschland und Indien, deren Ausgaben 60 Prozent der weltweiten Militärausgaben ausmachen.

Die USA unterhalten zudem bis zu 1.000 Militärbasen auf dem Globus und die NATO erhebt Anspruch auf militärische Einmischung im Indischen und im Pazifischen Ozean. In enger Zusammenarbeit mit der NATO und der EU-Militärunion bauen die USA ihre militärische Infrastruktur von der Arktis bis zum Schwarzen Meer aus, indem sie eigenständig oder vermittels der NATO neue Militärstützpunkte errichten. Die NATO expandiert durch neue Mitgliedstaaten in Europa weiter bis hin an die russische Grenze.

Nach dem Angebot an Polen, Tschechien und Ungarn auf dem NATO-Gipfel 1997 traten am 12. März 1999 – also kurz vor Beginn des NATO-Angriffskriegs gegen Jugoslawien – Polen, Tschechien und Ungarn der NATO bei. 2004 folgten Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei und Slowenien. Albanien und Kroatien folgten im Jahr 2009, 2017 Montenegro und 2020 nach Klärung der Namensfrage Nordmazedonien. Die jüngsten Beitritte sind Finnland (4. April 2023) und Schweden (07. März 2024) nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine.

Deutschland rüstet weiter auf

Während die Zeit vor den 1990ern in Deutschland noch stark von einer lebendigen Friedensbewegung und breitem Widerstand gegen die Stationierung US-amerikanischer Atomwaffen geprägt, hat sich seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges eine neue Eskalationsstufe der Militarisierung durchgesetzt. Der öffentliche Diskurs ist von Angstmache und sicherheitspolitischer Alarmstimmung bestimmt Aussagen wie „Russland will nicht nur die Ukraine, sondern Deutschland und Europa angreifen“ werden von Medien und Politikern verbreitet, um die Zustimmung der Bevölkerung für massive Rüstungsausgabenzusichern – obwohl solche Behauptungen angesichts der militärischen und ökonomischen Unterlegenheit Russlands gegenüber der NATO überzogen sind.

Am Ende des Tages dient diese Behauptung Deutschland, das angesichts ökonomischer Stagnation und wachsender internationaler Konkurrenz unter Druck ist und versuchen wird, seine Position mit dem Aufbau der Rüstungsindustrie und geostrategischer militärischer Handlungsfähigkeit „zu verteidigen“. Deutschland ist aufgrund des wirtschaftlichen Rückgangs der letzten Jahre in Panik, in der weltweiten Konkurrenz ins Hinterland zu geraten, hofft dies mit mehr Aufrüstung und Kriegsvorbereitung zu überwinden. Um hierfür gesellschaftliche Akzeptanz zu schaffen, greifen Politik und Medien verstärkt zu rhetorischen Mitteln, die den Eindruck eines unmittelbar bevorstehenden Krieges erwecken. Ziel ist es, die Bevölkerung für eine zunehmend militarisierte Politik zu mobilisieren und kritische Stimmen zu marginalisieren, Deutschland einfach „kriegsfähig“ zu machen.

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