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Alleiniger Sieger des TV- Duells ist die tickende Uhr

Ceren Sözeri

Obwohl die Zahl derer, die von wahlpolitischen TV-Duells eine positive Erwartung haben, weltweit eher sinkt, war hier in der Türkei die Erwartung zwischen dem Duell von Imamoglu (CHP) und Yildirim (AKP)sehr groß. Der Grund mag sein, dass ein der artiger Duell seit 2002 zum ersten Mal wieder stattfand und man dahinter eine Intrige vermutete. Die AKP hatte sich davor gescheut, direkt mit dem Gegner konfrontiert zu werden und hatte Einzelinterviews mit ihrem Kandidaten bevorzugt.
Man bedenke, dass im Jahr 2017 Jane Merrik von The Telegraph über die gern verfolgten Debatten im britischen Parlament sagte „Diesen absurden und anstrengenden Debatten muss ein Ende gesetzt werden“. Letztendlich wurde die Debatte vor den Wahlen im Juni 2017 lediglich von 3,5 Millionen gesehen, während 8,5 Millionen sich für Britain’s Got Talent entschieden. Sogar Volodymyr Zelensky, der die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine gewann, verzichtete auf einen TV-Duell vor den Wahlen, obwohl er eigentlich sehr fotogen und kameratauglich ist und sogar im Fernsehen den Kanzler gespielt hatte, er ignorierte die Show seines Gegners Petro Poroshenko, der als alleiniger Sieger vor den Kameras demonstrierte. In den USA, der Heimat der TV-Duelle, haben die Demokraten verkündet, dass sie bei den Wahlen 2020 nicht an der Debatte in den Fox News teilnehmen werden, weil diese Trumps politische Meinung vertrete. Kurzum erfüllen diese Duelle das Recht der Öffentlichkeit auf Information nicht und vieler Orts sind die Einschaltquoten sogar für die Sender nicht befriedigend.
Gerade aus diesen Gründen ist die Tatsache, dass das Duell zwischen Imamoglu und Yildirim, welcher von vielen Sendern live übertragen wurde, als langweilig empfunden wurde, überaus normal.
Und wenn auch noch das umfrageähnliche Format der Sendung hinzukommt, wäre die Feststellung, dass der alleinige Sieger die Uhr auf dem Tisch war, nicht bizarr. Denn am meisten wurde sie betrachtet, die meiste Polemik drehte sich um sie.
Die schon einer Woche davor erhobenen Prognosen, die Videos, die in den sozialen Medien verbreitet wurden, Hashtags usw zielten darauf ab, die unentschlossenen Wähler für sich zu gewinnen. Was am meisten für Spannung sorgte, war ob Ekrem Imamoglu seine Souveränität weiterhin bewahren würde und auch etwas verzweifelt durch Erdogans Äußerungen, ob Binali Yildirim eine überraschende Wende machen könnte. Binali Yildirim versuchte zwar, mit einer provokanten Wortwahl und in dem er seinen Gegner mehrfach unterbrach, Imamoglu zu verärgern, hatte jedoch keinen Erfolg. Yildirim erhoffte sich von Anfang an, auch mit Unterstützung der Moderation, einen Rahmen, in dem er als Opfer erscheint. Doch der Moderator Ismail Kücükkaya ließ sich nicht darauf ein. Auch Imamoglu schlug die Versuche von Yildirim ebenfalls ab, in dem er mehrmals die Fragen des Moderators sowie die Nichteinhaltung der vorgegebenen drei Minuten beanstandete. Kücükkaya sicherte sich am Ende der Sendung gegen kritische Äußerungen ab und ließ sich von beiden Seiten ihre Zufriedenheit über die Moderation verkünden.
Die Hauptdebatte lief, wie erwartet, über die sozialen Medien. Die Befürworter beider Kandidaten wiederholten bejubelnd Wort für Wort alle Äußerungen und vertuschten die Aussagen ihres Gegners. Während Imamoglu-Anhänger, Binali Yildirim und seine Nähe zu Gülen und das berühmte Foto bei der Beerdigung des Bruders von Gülen verbreiteten, luden Yildirim-Anhänger die Videos von Imamoglu vom Wahlabend und seinen Reden zu der Zählung der Stimmzettel hoch. Soweit ich beobachten konnte, haben sich weder die Seiten zum Faktencheck, noch Moderatoren oder Journalisten um die Überprüfung der aufgestellten Behauptungen während der Sendung bemüht.
Und, was haben wir neues aus dieser Sendung gelernt? Die Kandidaten hatten ihre Wahlversprechungen ja schon seit Monaten in Pressegesprächen und in den Medien veröffentlicht, also nichts Neues und nur Widerholungen.
Die regierungsnahen Medien, die Imamoglu bisher nicht eingeladen hatten, haben ihm ungewollt eine Bühne gegeben, natürlich nach dem die Interpreten/ Kommentatoren zur Verleumdung seiner Aussagen im Studio bereitgestellt wurden. Weil er das auch anscheinend wusste, versprach Imamoglu kommunale Einrichtungen in denen kein Alkohol konsumiert werde und getrennte Badezeiten für Männer und Frauen in Schwimmbädern, um die AKP Wähler zu umgarnen. Yildirim versprach um seinen Wirkungsfeld zu erweitern, die „kriminellen Syrer“, die Probleme machen, des Landes zu verweisen, in dem sie „an den Ohren gepackt werden“. Doch als er erwähnte, dass die Syrer dann nach Afrin und an das östliche Ufer des Firat, aus denen die Kurden vertrieben wurden, angesiedelt werden sollen, haben die kurdischen Nutzer von sozialen Medien mit großer Empörung reagiert.
Imamoglu war recht gut vorbereitet und gab kein verzweifeltes Bild ab, wie Yildirim, der sich ständig auf die Lippe biss, während sein Gegner redete. Yildirim kehrte nach und nach wieder in seine väterliche Rolle. Doch als er zugestand, dass er den Bericht des obersten Rechnungshofes doch nicht gelesen habe, was er anfangs verleugnete, war ein sauberes Eigentor, den er einkassieren musste. Dieser Dialog war auch der beste Beweis dafür, dass wir eine sehr informative Debatte hätten erleben können, hätten die Gegner miteinander diskutiert.
Letztendlich überrascht eine derartige Aufmerksamkeit für eine Debatte, der wir seit 17 Jahren nicht begegnet sind, nicht sonderlich. Solange von oben keine Einwirkung stattfand, war klar, dass der Berg eine Maus gebären würde. Schlussendlich kann gesagt werden, dass Binali Yildirim seine politische Situation nicht stabilisieren konnte. Das einzige, was die Protestwähler beindrucken könnte, war das Yildirim auf die Aufforderung Imamoglus positiv reagierte, um die schädlichen Auswirkungen der Polarisierung zu verringern. Auch wenn er die Wahl nicht gewinnt, wird ihm das anerkannt bleiben. Für die entschlossenen Wähler hat sich durch das Duell nichts geändert. Die Nachbarn von nebenan diskutierten nach der Sendung noch bis 02.30 Uhr und keiner konnte den anderen umstimmen.

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