Written by 09:36 DEUTSCH, TÜRKEI

Türkei: Der Fuchs im Hühnerstall

200 Arbeiter des Fleischherstellers Lezita leisten seit dem 7. März Widerstand, für mehr Löhne, gegen ihre Kündigung, gegen Streikbruch und Verhinderung von gewerkschaftlicher Betätigung mit Hilfe der Gendarmerie und staatlicher Gewalt.

Lezita ist eine Marke der Abalıoğlu-Gruppe und wurde 1969 gegründet. Der Konzern betätigt sich neben der Produktion von Futtermitteln und Mehl vor allem mit Lebensmittel-, Fisch- und Fleischproduktion. Der Konzern beliefert in der Türkei Ketten wie Kentucky Fried Chicken oder McDonalds. Lezita ist vor allem auf dem Markt für Hühnerfleisch und -produkte tätig.

Die 200 Beschäftigten der Gewerkschaft Öz Gida-İş wehren sich seit dem 7. März gegen die Folgen -nicht gegen die Ursachen- eines kranken Systems. Sinkende Löhne, harte Arbeitsbedingungen, Verhinderung von gewerkschaftlicher Betätigung, Streikbruch und Einsatz von staatlicher Gewalt in Form von Schlagstöcken der Gendarmerie gegen sich solidarisierende Familien und Demonstranten.

15,4 Milliarden TL Umsatz 2023

Mesut Ergül, Generaldirektor von Lezita, erklärte dass das Unternehmen das Jahr 2023 mit einem Umsatz von 15,4 Milliarden Lira (entspricht aktuell ca. 450 Millionen Euro) und Exporten von 84 Millionen Lira abgeschlossen habe. Das Umsatzziel des Unternehmens für 2024 liegt bei 26,5 Milliarden Lira. Das bedeutet, dass das Unternehmen ein Wachstum von 72 Prozent anstrebt und das in einem Jahr, in dem die türkische Zentralbank die Inflationsprognosen für das Jahr bei 36 Prozent schätzt.

Dagegen hielten die Arbeiter ein Transparent hoch: „10 Tausend Dollar für Mesut (Ergül), Mindestlohn für den Arbeiter?! Diese Sklavenordnung wird sich ändern!“ Es ist der ununterbrochene Kampf zwischen Kapital und Arbeit, der den Gewinn eines Konzerns bestimmt. Der Lohn ist die Variable, die niedrig gehalten werden muss bei konstant ansteigendem Arbeitspensum und -volumen, damit die Gewinnrendite steigt. Und das Ganze wird staatlich in vielerlei Hinsicht unterstützt. 2012 hatte der damalige Ministerpräsident (jetzige Staatspräsident) Recep Tayyip Erdoğan die Fabrik in Izmir offiziell eröffnet, aus der die Arbeiter nun rausgeworfen werden. In seiner Eröffnungsrede hatte Erdoğan erklärt: “ … Der Prozess, der 1969 mit einer Futtermittelfabrik in Denizli begann, hat sich zu einem der wichtigsten und größten Industrieunternehmen der Türkei entwickelt. Heute weihen wir offiziell eine Anlage ein, die derzeit 1.400 Menschen beschäftigt, aber eine Kapazität von 2.200 Menschen hat. Natürlich geht es hier um Beschäftigung und Qualität. Hier gibt es Sicherheit und Gesundheit und Menschen können ihr wohlverdientes Brot nach Hause bringen. Ich möchte Herrn Abalıoğu und seiner Gruppe für ihren Beitrag zur türkischen Wirtschaft und Beschäftigung danken.“

Lezita wuchs im Schoß der Regierung immer weiter. Das Unternehmen schloss 2017 mit einem Umsatz von 1,2 Mrd. Lira ab, 2018 mit 1,9 Mrd. Lira (35 Prozent mehr als das selber gesetzte Ziel von 1,4 Mrd.). Im Jahr 2021 stieg der Umsatz auf 4,4 Mrd. Lira, 2022 auf 9,5 Mrd. Lira und im selben Jahr schnappte sich das Unternehmen das Unternehmen Keskinoğlu, das Konkurs meldete. Im Jahr 2023 stieg der Umsatz des Unternehmens auf 15,4 Mrd. Lira.

In 8 Jahren um 1183 Prozent

Doch die Arbeiter erhalten immer noch nur den lediglich staatlich angepassten Mindestlohn. Im Jahr 2017 hätte Lezita bei einem Bruttomindestlohn von 1777 Lira mit seinem erzielten Jahresumsatz 56274 Arbeiter beschäftigen können, im Jahre 2023 hätte der Konzern bei seinem Jahresumsatz 110 Tausend Arbeiter beschäftigen können. Aber: Auf der eigenen Homepage gibt der Konzern an: „Lezita exportiert seine Produkte in mehr als 30 Länder und bietet rund 3000 Menschen Arbeit. Mit seinen innovativen Initiativen will das Unternehmen zum Marktführer werden.“. Bei mehr oder weniger gleich bleibender Arbeiteranzahl enorme Gewinne… Wie ist das möglich?

Konzern zahlt sicherlich viele Steuern?

Lezitas aufgelaufener Steuerbetrag steht in den offiziellen Dokumenten. 1 Million 496 Tausend 417 Lira im Jahr 2020, 45 Millionen 844 Tausend 604 Lira im Jahr 2021 und 88 Millionen 184 Tausend 357 Lira im Jahr 2022. Somit beträgt der Steuersatz, den das Unternehmen mit seinen Einnahmen bezahlt, 0,92 Prozent, 1,04 Prozent und 0,11 Prozent (Pandemiejahr) in den drei Jahren bei gegenüberliegenden Milliarden-Umsätzen. Somit zeigt sich, wie der Staat den Konzernen dient und nützt. Gesetzlich organisiert er den Mindestlohn, wirtschaftlich subventioniert er Investitionen durch Fördermaßnahmen und ideologisch faselt er den Arbeitern vor, alle säßen im gleichen Boot.

Indische Arbeiter als Streikbrecher

Die Arbeiter, die auf diese Schieflage aufmerksam machten, wurden vor die Tür gesetzt. Als 200 von ihnen in Streik traten, wurden indische Arbeitskräfte in der Fabrik eingesetzt, um den Streik zu brechen. Doch das Unternehmen leugnete das: Da „die lokalen Ressourcen nicht ausreichten, müssten sie ausländische Arbeitskräfte als Alternative einsetzen“, Göksel Şengün, Leiter der Organisationsabteilung der Öz Gıda-İş-Gewerkschaft, erklärte, dass für die indischen Arbeiter eine vierstöckige Wohnung angemietet wurde. „Die Schichten variieren zwischen 12 und 16 Stunden und die Arbeitsbedingungen sind noch primitiver als die der einheimischen Arbeiter. Leider haben diese Arbeiter kein soziales Leben. Wie ein Korb werden sie morgens aus ihren Unterkünften geholt, zur Arbeit gebracht und wieder in ihre Unterkünfte zurückgebracht.“ Diese Methode macht Schule: Vor einigen Tagen protestierten die Arbeiter von „Mega Polyethylene“ in Adıyaman gegen niedrige Löhne. Der Chef drohte den Arbeitern mit den Worten: „Wenn ihr euch gewerkschaftlich organisiert, werden wir euch alle entlassen und durch turkmenische Arbeiter ersetzen“.

Sowohl aus den Erklärungen des Präsidenten als auch aus dem mittelfristigen Programm der AKP-Regierung geht hervor, dass billige ausländische Arbeitskräfte in der Türkei stärker ausgebeutet werden sollen. In dem Zusammenhang muss man auch die türkische Flüchtlingspolitik verstehen, die als billige Arbeitskräfte extremen Ausbeutungsverhältnissen ausgesetzt sind. Die Verpflegung der Arbeiter, die Dauer des Arbeitstages, die sinkenden Löhne bei steigenden Kosten, die Produktionsstätte als Gefängnis, in dem sie eingesperrt sind, die Geschwindigkeit des Fließbandes, auf dem sie arbeiten, sind alles Folgen, die mit jedem Tag unerträglicher werden. Die wenigen Unternehmen, die den Markt kontrollieren – mit der Kraft der politischen Macht – werden immer stärker. Die Herrschaft des Kapitals stellt eine existenzielle Bedrohung für das Leben der gesamten Bevölkerung dar. Es ist die immer wiederkehrende Erinnerung daran, dass der Klassenkampf ununterbrochen weitergeht. Der Kampf der Lezita-Arbeiter, der Verlierer der Jahre der schweren Inflation, macht auch wieder deutlich, dass der Ausweg der Arbeiter nur im Klassenkampf liegt.

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