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Arbeit, Brot, Krieg und Referendum

Özgür MÜFTÜOĞLU

Die wenigen Wochen vor dem Referendum am 16. April sind nicht von inhaltlichen Diskussionen, sondern von Sorgen über eventuelle Auswirkungen der Verfassungsänderung auf das gesellschaftliche Leben gekennzeichnet. Diese Sorgen kann man auf zwei Gründe zurückführen. Der Erste liegt in den zunehmenden gesellschaftlichen Spannungen. Drohungen des Staatspräsidenten und anderer AKP-Vertreter sowie steigende Gewalt verstärken diese Sorgen. Zweitens sorgen sich Menschen um ihre Arbeit und ihr Brot. Wirtschaftsindizes zeigen, dass die Türkei vor längerer Zeit den Weg zu einer tiefen Krise eingeschlagen hat. Viele befürchten, dass der Ausnahmezustand und die politische Unsicherheit infolge des Referendums diesen Prozess beschleunigen werden.

Wir werden sich diese Zukunftssorgen auf den Ausgang des Referendums auswirken?

Es ist offensichtlich, dass die Strategie des “Ja-Lagers” darin besteht, diese Sorgen in Ängste und die Ängste in Zustimmung zur Verfassungsänderung umzuwandeln. Der Wähler, der Angst vor einer unsicheren Zukunft hat, soll die Verursacher dieser Unsicherheit nicht hinterfragen, sondern sich ihrem Diktat fügen. Ein Teil des “Nein-Lagers” kümmert sich nicht um die Fragen von Arbeit, Brot, Demokratie und Frieden. Er tritt sogar radikaler für neoliberale, nationalistische Lösungsansätze ein verstärkt somit diese Ängste und trägt Wasser auf die Mühlen des „Ja-Lagers“.

Hingegen glauben weite Bevölkerungsteile, die ihre Arbeit und sozialen Rechte verloren haben, dass mit der angestrebten autoritären Ordnung die Unsicherheit wachsen, ihre Lebensräume weiter eingeschränkt, ethnische und konfessionelle Konflikte vertieft, die Armut und Arbeitslosigkeit steigen werden. Kurzum; weite Teile der Gesellschaft werden sich beim Referendum von sozialen Fragen, aber auch von Fragen der politischen Spannung und des Friedens leiten lassen. Wenn sie ihre Sorgen um den Frieden nicht in Angst, sondern in Widerstand ummünzen, wird die Verfassungsänderung abgelehnt. Allerdings werden die undemokratischen, ungerechten, rechtslosen Praktiken bei dessen Ausgang maßgebend sein.

KRIEGSTREIBEREI WIRD STÄRKER

Den Zusammenhang zwischen der Wirtschaft- und Kriegspolitik der AKP darf man nicht aus den Augen verlieren. Die aktuelle globale Krise veranlasst auch in der Türkei Teile des Kapitals dazu, ihre Hoffnungen in die Kriegswirtschaft zu setzen. Dies spiegelt sich auch in den Strategieplänen der Waffenindustrie. So hat man z.B. das Ziel ausgegeben, den Jahresumsatz, der 2009 bei 3 Mrd. Dollar lag, zwischen 2012 und 2016 auf 8, 2023 auf 25 und 2030 auf 30 Mrd. Dollar zu steigern. Zu diesem Zweck werden einerseits die Verteidigungsausgaben erhöht, andererseits verlagern auch Privatunternehmen seit der Krise von 2008 ihre Investitionen in die Waffen- und Zuliefererindustrie. Zwar konnte das Ziel für die Jahre 2012-2016 nicht erreicht werden, in diesem Zeitraum lag der Jahresumsatz bei durchschnittlich 5 Mrd. Dollar. Allerdings ist auch diese Steigerung innerhalb kürzester Zeit nicht zu unterschätzen.

Damit aus diesen Investition auch Gewinne erzielt werden können, müssen Kriege geführt werden. Wir erinnern uns, wie sehr man sich zur Zeit der Ausarbeitung dieser Strategie eine Beteiligung am Syrien-Krieg wünschte. Da die Rechnung der AKP in Syrien nicht ganz aufging, versucht man heute neue Feindbilder zu schaffen, gegen die man in den Krieg ziehen kann. Die Spannungen um die ägäischen Kardak-Inseln mit Griechenland, die verbalen Kriege gegen die Niederlande, Deutschland und die EU sind Ausdrucke dieser Suche. Die Türkei ist allerdings nicht das einzige Land, das im Sinne des Kapitals eine Kriegspolitik verfolgt. Auch die USA, Russland China, Großbritannien und andere Länder setzen ihre Hoffnungen in Kriege, um die Interessen des globalen Kapitals verwirklichen zu können.

FÜR DEN KRIEG BRAUCHT MAN EIN EIN-MANN-REGIME

Kriege stellen im Kapitalismus eine unverzichtbare Voraussetzung für Akkumulation dar. Und sie haben in wirtschaftlicher, sozialer und menschlicher Hinsicht einen sehr hohen Preis. Deshalb ist es fast unmöglich, in einer Ordnung mit funktionierender Demokratie Kriege zu führen. Um das gesellschaftliche Einverständnis für Kriege zu erreichen, müssen zunächst alle Möglichkeiten der Informationsgewinnung gesperrt, nationale Gefühle hochgekocht und alle Kriegsgegner gewaltsam unterdrückt werden. Ein Ein-Mann-Regime ist ideal für derartige Prozesse. Man kann sich die Kriegspläne einer Regierung ausmalen, die den Jahresumsatz der Waffenindustrie in 20 Jahren um das Zehnfache steigern möchte. Wer solche Pläne hat, muss auch die entsprechenden Voraussetzungen schaffen.

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