Neues Leben -Stuttgart
„Voll flexibel musst du sein, ja schnell musst du arbeiten können und vor allem Berufsanfänger solltest du sein, also billig und perfekt in das prekäre System passend. Ja sie schreiben dies sogar in ihre Verträge: „du kannst nicht davon leben. Aber immer auf Abruf bereit musst du sein“, so schildert Gudrun Willner, H&M Betriebsrätin im Raum Stuttgart und Mitglied der Ver.di Bundestarifkommission die Arbeitssituation im schwedischen Modekonzern. Anfang des Jahres sorgte H&M für weitere Negativschlagzeilen. Die Konzernleitung plante mitten im Lockdown alleinerziehende Mütter, Ältere oder Menschen mit Behinderung auf die Straße zu setzen. Fakt ist, dass der Modekonzern unter dem Vorwand von Digitalisierung und Online-Handel sich seit langem in einer Umstrukturierung befindet. Für die Beschäftigten zeigt sie sich durch Arbeitsplatzvernichtung (wegen Filialschließungen) und durch massiven Personalabbau.
In Deutschland hat das Management seit Dezember 2017 die Schließung von 60 Filialen mit 1643 meist Kolleginnen beschlossen. Zwischen 30.11.2017 und 31.08.2021 verringerte sich bei H&M die Beschäftigtenzahl von 19.958 auf ca. 14.800. Damit gehen 2/3 des Personalabbaus nicht auf Filialschließungen zurück, sondern auf Reduzierung der Beschäftigtenzahl in den Filialen, indem beispielsweise Befristungen nicht verlängert werden oder Personal nicht ersetzt wird. Die Umstrukturierung hat H&M dieses Jahr durch das Konzept „zukunftsfähiges Storeportfolio“ mit zwei so genannten „Bausteinen“ umgesetzt bzw. angefangen umzusetzen: Dem Baustein Personalabbau durch ein „Freiwilligenprogramm“ und dem Baustein „Flexible Anpassung von Arbeitszeiten und von Urlauben an die Kundenwünsche sowie Änderung von Öffnungs- und Belieferungszeiten: Anstelle fester Arbeitszeiten und dauerhaft fester Arbeitsschichten sollen jetzt Arbeitszeitmodelle treten, die sich „verändernden Kundenwünschen“ anpassen.
Mit diesem „Baustein“ sollen die verfügbaren Stunden „noch besser in kundenrelevanten Zeiträumen“ eingesetzt werden – jedoch mit schweren Folgen für die Beschäftigten, denn der massive Arbeitsdruck löst bei vielen psychische Erkrankungen aus. Prekäre Arbeitszeitmodelle sind in den Young-Fashion-Modeketten keine Seltenheit mehr. Laut einer Umfrage der Betriebsräte bei H&M arbeiten in den von ihnen betreuten Filialen 41 Prozent der Beschäftigten auf Abruf. Es sind vor allem Schülerinnen, Studentinnen, Frauen und alleinerziehende Mütter. Teilzeit-Arbeitsverträge mit flexiblen Arbeitszeiten finden sich hier in den unterschiedlichsten Modellen.
Die Ver.di Bundestarifkommission bei H&M hatte vor wenigen Monaten das Unternehmen letztmalig aufgefordert, unverzüglich in Verhandlungen über den Abschluss eines Digitalisierungstarifvertrages einzutreten. Dabei wurde H&M eine Frist bis zum 17.11.2021 gesetzt, auf die der Modekonzern – nicht überraschend – nicht reagierte. Was die Beschäftigten davon halten, werden sie in den nächsten Tagen demonstrieren: Die Gewerkschaft Ver.di ruft die H&M Beschäftigten rund um den Black Friday und Cyber Monday bundesweit zum Arbeitskampf auf.