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Bodentruppen in die Ukraine? – Macron stimmt die Bevölkerung ein

Yekta Doǧan

Kurz nach dem Fall der Stadt Awdijiwka, die schwerste ukrainische Niederlage seit dem Fall Bachmuts vor knapp einem Jahr, spricht der französische Präsident Macron von dem möglichen Einsatz von NATO-Truppen im Ukraine-Krieg. Russische Truppen konnten nach dem Fall der Stadt mehr als 10 km weiter nach Westen vordringen und mehrere Dörfer innerhalb von Stunden einnehmen.

10 km klingen zwar nicht nach einem großen Gebietsgewinn, sind aber ein enormer Zuwachs in einem mehrere Monate andauernden Stellungskrieg, der geführt wird durch Sturmangriffe auf befestigte Stellungen unter hohen Verlusten und wochenlange Kämpfe um einzelne Häuser oder Häuserblocks, deren Eroberung den Verlauf der Frontlinie höchstens um ein paar Meter verändert.

Auf der „Konferenz zur Unterstützung der Ukraine“, die auf Einladung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Paris stattfand, zeigte der Westen sich besorgt über einen möglichen Sieg Russlands. „Es gibt heute keinen Konsens darüber, offiziell Bodentruppen zu entsenden“, meinte Macron. „Aber in der Dynamik darf nichts ausgeschlossen werden. Wir werden alles tun, was nötig ist, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann.“ Die Bundesregierung, die sich seit zwei Jahren mit militärischer Unterstützung der Ukraine am Krieg beteiligt, lehnte Macrons Vorschlag ab und scheint sich einer direkten Konfrontation nicht so sicher zu sein, wie der Nachbar Frankreich. Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte am selben Tag, dass Deutschland der Ukraine den Marschflugkörper „Taurus“ nicht zur Verfügung stellen werde und dass dies eine „rote Linie“ sei. Zuvor hatte Scholz bereits die Entsendung von Kampfjets zur „roten Linie“ erklärt.

Deutschland befürchtet, im Falle der Lieferung des Marschflugkörpers „Taurus“, die direkte Verwicklung in den Krieg. Dieser ist in der Lage, Militärbasen, strategische Brücken und Flughäfen in Russland zu treffen. Seine Reichweite beträgt 500 Kilometer, was bedeutet, dass er, wenn er in der Ostukraine abgefeuert wird, ein Ziel in Moskau treffen kann.

Frankreich, das seit Beginn des Krieges sehr viel weniger Waffen und Munition an die Ukraine geliefert hat, als Deutschland, hat durch Macrons Erklärung gezeigt, dass es nicht die Absicht hat, die „militärische Führung“ in Europa an Deutschland zu verlieren.

Eins steht fest: Die Ukraine hat mit den Waffen, die es besitzt, kaum eine Chance, den Krieg zu gewinnen. Zwar nimmt auch die Zahl der Menschen, die an der Front kämpfen können, kontinuierlich ab. Allerdings ist die Ukraine noch weit davon entfernt, dass wehrfähige Potential des Landes zu erschöpfen. Selbst wenn man aus diesem „Pool“ eine weitere Million einziehen würde, mangelt es an Waffen, vor allem aber an Munition. Zwar hat der NATO-Block ein größeres ökonomisches Potential als Russland, aber er hat die eigene Wirtschaft noch nicht – im Gegensatz zu Russland – auf „Kriegswirtschaft“ umgestellt.

Der Ausbau der russischen Rüstungsproduktion und das Umschalten auf Kriegswirtschaft begann schon 2022. Der Westen könnte zwar potenziell noch mehr produzieren, wird aber vor 2025/26 nicht an die russische Produktion herankommen.

Das Entsenden von Bodentruppen würde jetzt also genau so wenig bringen wie die Zwangsrekrutierung von weiteren Ukrainern und macht militärisch betrachtet deshalb wenig Sinn. Laut Angaben einiger französischer Quellen will man mit der Entsendung für ein „strategisches Dilemma“ sorgen. Das heißt so viel wie, dass die Präsenz westlicher Truppen Russland dazu zu zwingen soll, bestimmte Orte nicht anzugreifen oder durch die Tötung von NATO-Soldaten deren Kriegseintritt zu rechtfertigen. Ob dies wirklich geschieht oder die Intention ist, bleibt Spekulation. Wir sehen allerdings deutlich, wie sehr der Westen in die Defensive geraten ist, mit ernsthaften Drohungen reagiert und auch die eigene Bevölkerung auf den potenziellen Einsatz von Truppen versucht einzustimmen und vorzubereiten. Denn auch der Westen steht vor einem „strategischen Dilemma“. Noch könnte man sich, ohne erhebliche Verluste, aus dem Krieg zurückziehen, aber was, wenn tausende Soldaten aus EU-Staaten sterben? Ohne innenpolitisches Desaster wäre es nicht mehr möglich, eine Niederlage einzugestehen. Und wohin eine „Sieg um jeden Preis“-Mentalität zwischen Atommächten führen kann, sollte jedem bewusst sein.

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