Eren Gültekin
Seit Jahren ist die Rede von „arabischen Großfamilien“, „kriminellen Clans“. Regelmäßig wird darüber in den Boulevard Zeitungen, im Fernsehen oder auf Kanälen wie YouTube berichtet. Das Thema ist so interessant, dass sogar etliche Serien gedreht oder Bücher geschrieben werden.
Kein menschenwürdiges Leben seit dem ersten Tag
Anders als die Geschichte der türkischen GastarbeiterInnen ist die der Menschen aus dem Libanon. Auf diese wird immer verwiesen, wenn es heißt „Familienclans“. Die meisten dieser Familien waren zuvor bereits aus Mardin, dem Süd-Osten der heutigen Türkei, in den Libanon vertrieben worden und lebten dort in den Armenvierteln, bis sie in den 80`ern vor Krieg und Elend nach Deutschland flohen. Die gesellschaftliche Stimmung zu der Zeit war eine ähnliche, wie wir es heute mit Geflüchteten aus Syrien erleben. Angekommen in Deutschland waren sie nur geduldet und bekamen keine Arbeitserlaubnis. Ihren Kindern wurde die Schulpflicht verweigert. Somit wurde ihnen jegliche Möglichkeit, sich ein eigenständiges Leben zu errichten, verbaut. Kriminelle Tätigkeiten waren die einzige Möglichkeit, ein menschenwürdiges Leben zu finanzieren. Diese erste Fehlpolitik, damals wie heute, war die Pauschalisierung von ganzen Ethnien durch Polizei, Medien und Politik. Das sind die Hauptmerkmale des eigentlichen Zustandes.
Spaltung durch Medien, Politik und Polizeibehörden
Längst wird mit Clan-Geschichten auch Geld verdient. Serien wie „4Blocks“ oder „Dogs of Berlin“ waren erfolgreiche Produktionen, die ohne kritische Aspekte Ressentiments und Klischees bedienen. Vielleicht macht das sogar ihren Erfolg aus und wäre ansonsten für die Filmindustrie nicht profitabel geworden. Daneben gibt es etliche Bücher, eines von Thomas Heise und Claas Meyer-Heuer, die seit Jahren auch Dokus für Spiegel TV erarbeiten und mit dieser stigmatisierenden Berichterstattung gutes Geld verdienen. Für diese Art von Berichterstattung wurden sie Ende 2020 sogar mit dem Negativ-Preis „Goldene Kartoffel“ der Neuen Deutschen Medienmacher gekürt, da sie diese für rassistisch, einseitig und pauschalisierend bewerteten.
Sei es für Spiegel TV oder Bild: Diese produzieren nur Vorurteile gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund und tragen zum rassistischen Klima bei, das von der Politik herzlich für ihre politische Propaganda aufgenommen wird, um rassistische und diskriminierende Verschärfungen einzuleiten. So wurden in vielen Bundesländern Polizeigesetze eingeführt, die die Befugnisse der Polizei erweiterten, Überwachung und polizeiliche Willkür legalisierten und Wege für „Racial Profiling“ ebneten. So werden Statistiken auch künstlich aufgebauscht, wenn es um Clan-Kriminalität geht. Tatverdächtige, die einen Clan-Namen haben, werden beispielsweise für eine Verkehrs-Ordnungswidrigkeit ohne Clan-Bezug ebenso in die Clan-Statistik aufgenommen, so als wäre jeder Deutsche mit dem Nachnamen Müller gleich ein Krimineller, nur weil es einige Kriminelle gibt, die ebenfalls den selben Namen tragen. Und ständige Razzien, meist in Shisha Bars, ist für viele störend, da sie stigmatisieren. Während der Gesellschaft suggeriert wird, dort würden Drogengeschäfte abgewickelt werden, findet die Polizei meistens nichts, manchmal unverzollten Tabak, mehr auch nicht. Unterstützt wird diese polizeiliche Taktik von manchen Wissenschaftlern, z.B. einem angeblichen Migrantenforscher Namens Ralph Gadban, der in einem TAZ-Interview zitiert wurde; „Ja! Diese Bars dienen hauptsächlich der Geldwäsche.“ Beweise für tatsächliche Geldwäsche kann die Polizei nicht immer erbringen, zumindest nicht so offensichtlich, wie man Uli Hoeneß Steuerhinterziehung nachweisen konnte. Aber einen negativen Ruf bekommen die Shisha-Bars trotzdem, wenn die Polizei regelmäßig aufmarschiert. Daher organisieren sich Shisha-Bar-Betreiber aus dem Berliner Bezirk Neukölln in der Initiative „Kein Generalverdacht“ und sammeln Unterschriften. Auch haben sie mit einer Flashmob-Aktion darauf aufmerksam gemacht, dass sie kriminalisiert werden.
Kriminalisierung sind keine Präventionsmaßnahmen!
Durch die Stigmatisierung bestimmter Ethnien durch Medien, Polizei und Politik und die Gleichsetzung von mancher krimineller Tat mit einer bestimmten Ethnie werden Vorurteile geschürt, gesät und eingepflanzt. Die Zerrissenheit geht sogar soweit, dass sich Migranten untereinander separieren: Es sind längst nicht nur deutschstämmige Familien, die ihre Kinder in Schulklassen schicken, wo wenige Arabischstämmige sind, auch bei Migrantenfamilien ist so eine Tendenz zu beobachten. Diese „Unbeliebtheit“ lässt sich oft sogar in der Benotung von Kindern zeigen und führt zu einer Abwärtsspirale für die Betroffenen. Statt dass die Politik auf Präventionsmaßnahmen setzt und die Jugendlichen motiviert, an Ausbildungs- und sichere Arbeitsmöglichkeiten zu gelangen, werden ihnen Perspektiven abgebaut und der Weg in den Untergrund geöffnet. Da die Jugendlichen aufgrund ihrer Herkunft, Religion, sozialen Zugehörigkeit ständig benachteiligt werden und in Stadtteile gedrängt werden, wo es wenige Möglichkeiten der Freizeit gibt, wo die marodesten Schulen zu finden sind und die Erwartung der Gesellschaft sowieso sehr niedrig, passen sie sich der ihnen zugeteilten Rolle an. Deshalb sollte es mehr SozialarbeiterInnen statt Polizeirazzien in solchen Stadtteilen geben. Das wäre der erste sinnvolle Schritt für eine ernst zunehmende Prävention gegen organisierte Kriminalität.
Rassismus und soziale Ungleichheit das Problem
Seien es die NSU-Morde oder das Attentat in Hanau: Die Polizei geht zunächst immer von „Clan-Kriminalität“ oder „kriminellem ausländischem Bandenkrieg“ aus, die Medien vermuten die Täter immer in diesen Milieus. Diese Abläufe und Handlungen der Medien, Politik und Polizeibehörden sind sicherlich auch mit verantwortlich für solche Attentate, da sie eben dieses Klima seit Jahrzehnten schüren. Immer wird darüber gesprochen, wie gefährlich arabische Großfamilien und Clans seien und den Rechtsstaat gefährden würden, jedoch ist die Realität eine Andere. Selbst das BKA ordnet nur rund 8 Prozent der Verfahren zur organisierten Kriminalität der sogenannten Clan-Kriminalität zu, trotzdem wird diesem Thema viel mehr Aufmerksamkeit von allen Seiten geschenkt. Unser Rassismus- und soziales Problem hierzulande ist viel größer und gefährlicher. Das Hauptaugenmerk muss auf eine sichere Zukunftsperspektive gelegt werden, denn nur wenn Jugendliche eine Perspektive haben, werden sie nicht einen kriminellen Weg einschlagen und die Macht der Clans wird sich auflösen.