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Das Parlament im Dienste des Palastes

Selma Gürkan *

Um die Immunität der Abgeordneten aufheben zu können, stellten Erdogan und die AKP-Regierung zusammen einen Antrag im türkischen Parlament. Dazu war eine reelle und befristete Verfassungsänderung vorgeschlagen, die vorsah, bestimmten Abgeordneten als Organe der Legislative die Immunität unter gewissen Voraussetzungen absprechen zu können. Dieser Antrag Erdogans und der AKP-Regierung wurde bei der Abstimmung mit der erforderlichen Mehrheit, die die jetzige Verfassung vorsah, angenommen. Diese Änderung zielt in erster Linie darauf ab, Abgeordnete der HDP (Demokratische Partei der Völker) aus dem Parlament zu verbannen.

Die Aufhebung der Immunität, die die Abgeordneten bisweilen genossen hatten, bedeutet zu dem einen neuen Schritt in dem Vorhaben, das parlamentarische System de facto außer Kraft zu setzen und somit praktisch die Demokratie zu beschneiden. In einer Zeit, wo Versuche sich anhäufen, die Judikative und das juristische System komplett Erdogan unterzuordnen und die Jurisprudenz direkt ihm zu unterstellen, würde die Aufhebung der Immunität der Parlamentsabgeordneten, das Anbringen des Damokles-Schwertes über dem Parlament, bedeuten. Das Parlament würde nur noch als eine Füllmasse einer Ein-Mann-Diktatur fungieren.

Erdogan und die AKP-Regierung hatten dem Volk auch vor den Wahlen am 07. Juni 2015 angedroht, für den Fall, dass die vorausgesetzten und angeforderten „400 Abgeordneten“ nach den Wahlergebnissen nicht erreicht würden, die Türkei in ein Chaos verfallen und versinken würde. Diesen Chaoszustand hat die AKP-Regierung auch nach den Wahlen Schritt für Schritt hervorgerufen. Das Parlament, welches schon vorher „in den sogenannten Pausenraum befördert“ wurde, wo schon kurdische Abgeordnete und alle oppositionellen Abgeordneten, die sich ihm und seiner Ein-Mann-Diktatur in den Weg stellten, außer Gefecht gesetzt wurden und die Durchführung der Abgeordnetentätigkeiten ziemlich erschwert wurde, wurde das Parlament mit der Aufhebung der Immunität quasi wieder seinen Rechten und Pflichten beraubt.

Ein Parlament, das die Menschenrechte achtet und schützt, ist dazu verpflichtet, die „gesetzliche Sicherheit“, also Immunität der Abgeordneten zu gewährleisten, das heißt, ihnen „die Legislativtätigkeiten im Rahmen des Abgeordnetenstatus und die Pultfreiheit (seine Meinung im Parlament frei äußern zu dürfen, ohne strafrechtliche Sanktionen befürchten zu müssen und solchen Sanktionen ausgesetzt zu sein)“. Aber gerade dies ist auch hier geschehen. Der Generalvorsitzende der CHP als die Hauptoppositionspartei, hat vor der Abstimmung im Parlament schon erklärt „die Aufhebung der Immunität würde gegen die bestehende Verfassung verstoßen, aber sie würden bei der Abstimmung dennoch für die Aufhebung der Immunität stimmen und votieren“. Er hat mit dieser Erklärung Erdogan in seinem Vorhaben bekräftigt, seine Ein-Mann-Diktatur zu errichten und spielte bei der Parlamentsabstimmung eine Schlüsselrolle. Auch sie tragen mit ihren Ja-Stimmen bei der Stimmabgabe, genau wie die herrschende Regierung Mitschuld an diesem Schandfleck in der historischen Geschichte der Türkei und werden dafür durch die Geschichte und das Volk verurteilt werden.

Diejenigen, die sich für die Aufhebung der Immunität aussprachen und dabei die sogenannten Meinungsverschiedenheiten und Unterschiedlichkeiten zwischen ihnen und der AKP-Regierung missachtet haben und dabei keineswegs auf die Bedürfnisse und Interessen der Arbeiterklasse und der werktätigen Massen eingingen und diese in Betracht zogen, machen damit deutlich, dass sie die Interessen der herrschenden Klassen verteidigen wollen und für die Interessen der herrschenden Klassen einstehen. Diese Situation ist sowohl für die Arbeiterklasse, als auch für alle unterdrückten werktätigen Massen, für alle Demokratie- und Friedenskräfte nicht hinnehmbar und unakzeptabel.

Das, was die Werktätigen sich heute wüschen und verlangen, ist aber eine richtige Demokratie, sozusagen eine Volksdemokratie. Diese wird aber nur durch freie, unabhängige und gleiche Wahlen verwirklicht und gewährleistet werden können, wo die Volksvertreter, die die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen verschiedener religiöser Prägung und verschiedener Ethnien und Nationalitäten vertreten, nach den Prinzipien einer freien, unabhängigen und gleichen Wahl gewählt werden. Nur durch eine volle Gewährleistung einer echten Volksdemokratie kann die Basis dafür geschaffen werden.

Gerade heute ist es wichtig, dass alle demokratischen, friedliebenden, werktätigen Massen sich der unabdingbaren und sich unabwendbaren Aufgabe und Verantwortung stellen, gegen Erdogan und die AKP-Regierung und gegen ihre gemeinsame arbeiter- und volksfeindliche Politik in einem breitgefächerten Bündnis für Arbeit, Demokratie und Frieden zu organisieren und eine Einheitsfront gegen diese arbeiter- und volksfeindliche Politik schleunigst und ohne viel Zeit zu verlieren, zu bilden.

* Vorsitzende der Partei der Arbeit-EMEP

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