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Das ungleiche Geschlecht

Gewalt gegen Frauen bekämpfen – Gleichberechtigung durchsetzen

Sidar Carman

Gewalt gegen Frauen – ein Thema, das in der Gesellschaft unterschiedliche Auffassungen und Reaktionen auslöst. Mal hört man „Schon wieder – habt ihr Frauen nicht genug?“ oder ein anderes Mal „Das sind doch nur Einzelfälle“ wie auch „Euch Frauen in Deutschland geht es doch gut – Schaut doch nach Afrika oder in die arabischen Länder“. Diejenigen, die sich gegen jegliche Gewalt von Frauen auflehnen, werden nicht selten als „überempfindliche Feministinnen“ beschimpft. So geschah es wieder in der öffentlichen Debatte um sexuelle Belästigung von Frauen. Ausgelöst war sie durch die Enthüllungen des Hollywood-Produzenten Weinstein, der über Jahre hinweg, Schauspielerinnen systematisch sexuell belästigt und genötigt hat. Mit der #metoo-Kampagne konnte eine breite Öffentlichkeit zur Gewaltbetroffenheit von Frauen wieder geschaffen werden. Das ist gut so.

Denn wir müssen darüber sprechen, was Frauen angetan wird. Wir müssen hören, welchen Schmerz sie Frauen zufügt. Wir müssen die Augen davor öffnen, wie erschreckend hoch die Zahl von Gewaltfällen von Frauen ist. Wir müssen zusammenstehen und Solidarität zeigen. Doch viel wichtiger – und darin liegt die eigentliche Herausforderung – brauchen wir das aktive Einstehen aller bei der Bekämpfung von Gewalt und ihren Ursachen.

Anstieg der Gewaltbetroffenheit von Frauen

Es ist das ewige Leid der Frauen, dass ihre spezifischen Probleme, Sorgen und Forderungen kleingeredet werden und abfällig als ihre alleinige Angelegenheit behandelt werden. Das ist fatal angesichts der hohen Zahl der Gewaltbetroffenheit von Frauen. Eine groß angelegte Studie der Europäischen Agentur für Grundrechte von 2014 zeigt, dass EU-weit eine von drei Frauen (33%) körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren. Deutschland liegt etwas über dem EU-Durchschnitt: 35% aller befragten Frauen in Deutschland haben mindestens eine Form von körperlicher und/oder sexueller Gewalt in der Partnerschaft oder durch eine andere Person seit ihrem 15. Lebensjahr erfahren. Jede zweite Frau (55%) wurde sogar mindestens einmal in ihrem Leben sexuell belästigt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnte 2014 vor dem gefährlichen Anstieg der Gewaltbetroffenheit von Frauen. Demnach erfahren ein Drittel aller Frauen (mehr als eine Milliarde) weltweit körperliche Gewalt.

In vielen Ländern auf der Welt geschehen immer noch grauenvolle Verbrechen an der weiblichen Arbeit, am weiblichen Körper und an der weiblichen Sexualität. Sie zeigen sich in den unterschiedlichsten Formen: im Anstieg der Frauenarmut, in der fehlenden gleichberechtigten Teilhabe an Arbeit, Bildung, Politik und Gesellschaft, im Eingriff auf die Fruchtbarkeit der Frauen, im Frauenhandel, im gravierenden Anstieg von sexueller Belästigung und Vergewaltigungen, in jeder Handlung innerhalb der Familie und sozialen Umfelds, das im Namen der „Ehre“ und „Tradition“ gegen die Frau verwendet wird.

Trotz zahlreicher gesetzlicher Verbesserungen fehlen staatliche Aktionspläne und der notwendige Durchsetzungswille. Gegenteiliges passiert. Seit Jahren leiden Frauenhäuser und Beratungsstellen unter finanziellen Kürzungen – mit fatalen Folgen auf die betroffenen Frauen. In vielen Kommunen beklagen viele Frauenhäuser über fehlende Plätze, über unbezahlbaren Wohnraum für schutzsuchende Frauen, über erhebliche Belastungen beim Personal, über schlechte Bezahlung der Arbeitsplätze und fehlende finanzielle Unterstützung. Ein anderes Beispiel. Anfang Juli 2016 hatte der Bundestag das Sexualstrafrecht erneuert, das am 10.11.2016 in Kraft trat. Der Grundsatz „Nein heißt Nein“ wurde somit gesetzlich verankert. Die eigentlichen Streiterinnen dieses Grundsatzes sind Frauen- und Menschenrechtsorganisationen, die seit Jahren forderten, dass ein „Nein“ ausreicht, um sexuelle Belästigung und Übergriffe unter Strafe zu stellen. Der Schutz der Frau wurde jedoch instrumentalisiert, zeitgleich das Aufenthaltsrecht zu verschärfen und den Weg für leichtere Abschiebungen zu öffnen.

Ursachen der Gewalt

Doch worin liegen die Ursachen für Gewalt gegen Frauen? Gewalt passiert dort, wo Frauen überkommene Rollenbilder aufbrechen, kulturelle bzw. religiöse ausgelegte Grenzen von Weiblichkeit überschreiten und gesellschaftlich-strukturelle Ausgrenzung bekämpfen. Die Beschaffenheit der Struktur der Gesellschaft fördert die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, weil sie zulässt, dass Frauen bestimmte gesellschaftliche Rollen aufgezwungen werden. So geschieht es, dass die Arbeit von Frauen herab gewertet, die (unbezahlten) „häuslichen und familiären Verpflichtungen“ auf Frauen abgewälzt und somit ihre Abhängigkeit vom Mann, von der Familie, vom Arbeitgeber, soziales Umfeld etc. zementiert werden.

Der Kampf gegen Gewalt an Frauen ist daher unzertrennlich von der Durchsetzung und Herstellung von Gleichberechtigung. Gewalt gegen Frauen ist keine Privatangelegenheit, kein Tabu und kein Schicksal, dem sich die Frauen beugen müssen. Bei ihren Begegnungen mit Frauen hört man immer wieder traurige, schmerzvolle Geschichten von erlebter Gewalt. Der 25. November sollte daher ein Tag sein, an dem Frauen keine Träne weinen, sondern aufstehen und gegen Gewalt, Sexismus und Ausgrenzung von Frauen protestieren – auf der Straße, auf den Kundgebungen, am Infotisch und in den Veranstaltungen von Frauengruppen. Lasst uns daraus einen Tag werden, an dem wir die Wunden gemeinsam heilen Die Wunden am Körper wie auch im Leben der Frauen.


FAKTEN zu Gewalt gegen Frauen

  • Jede dritte Frau wird in ihrem Leben mindestens einmal vergewaltigt, geschlagen, zum Sex gezwungen oder auf andere Weise misshandelt.

  • Häusliche Gewalt ist gemäß einer vom Europarat zitierten Statistik die Hauptursache für den Tod oder die Gesundheitsschädigung bei Frauen zwischen 16 und 44 Jahren und rangiert damit noch vor Krebs oder Verkehrsunfällen

  • Das Bundeskriminalamt veröffentlichte 2016 erschreckende Zahlen zur Gewalt gegen Frauen. Fast jeden Tag wird eine Frau Opfer von Gewalt. Jeden dritten Tag wird eine Frau durch ihren Partner getötet. In Deutschland!

  • Jede dritte Frau in Europa hat als Erwachsene körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren. Das ist das Ergebnis einer EU-Studie, bei der 42 000 Frauen befragt wurden. Deutschland liegt im Mittelfeld: 35 Prozent haben hier seit ihrem 15. Lebensjahr mindestens einmal sexuelle oder körperliche Gewalt erlebt, sind also geschlagen, getreten, geohrfeigt, begrapscht, genötigt oder zum Sex gezwungen worden. Eine von zwanzig Frauen wird demnach vergewaltigt, eine von zehn erlebt andere Formen sexueller Gewalt.

  • Fast 70 Prozent der weiblichen Mordopfer weltweit werden von ihren männlichen Partnern ermordet.

  • Vergewaltigungen sind ein Verbrechen mit einer riesigen Dunkelziffer. Viele Vergewaltigungen werden erst gar nicht zur Anzeige gebracht.

  • 500.000 bis zwei Millionen Menschen werden jährlich in die Prostitution, Zwangsarbeit oder die Sklaverei verschleppt – 80% der Opfer sind Frauen und Mädchen.

  • Mindestens 60 Millionen Mädchen, die noch am Leben sein könnten, fehlen in verschiedenen Bevölkerungen, vor allem in Asien aufgrund von geschlechtsselektiver Abtreibung, Kindesmord oder Vernachlässigung.

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