Wir haben mit Willy van Ooyen, Friedensaktivist, über die Friedensbewegung in Deutschland gesprochen.
Yücel Özdemir
Die USA verhandeln mit Russland über ein Ende des Krieges. Trotzdem planen USA, EU und Deutschland weiterhin Milliarden Euro für Rüstung. Warum?
Das erkennbare Ziel ist, dass durch eine umfassende Militarisierung politische Ziele, die man im Dialog und in Zusammenarbeit international nicht durchsetzen kann, militärisch erreicht werden könnten. Das Militär soll hoch aufgerüstet werden, dass man kriegsfähig wird, um so den Druck auf andere Regionen in der Welt auszuüben. Deshalb auch diese 800 Milliarden, die die Europäische Union zur Verfügung stellen soll. Und natürlich auch die Milliardenbeträge, die national in die Rüstung in der Bundesrepublik zusätzlich fließen sollen. Wir als Friedensbewegung denken, dass hierbei eine unsinnige Militärpolitik betrieben wird.
Union und SPD wollen bis zu 400 Milliarden Euro für Militarisierung ausgeben, geplant mit einem Beschluss des alten Parlamentes, weil die zukünftige keine Zweidrittelmehrheit hat. Ist das normal?
Ein Skandal. Hinzu kommt: Es darf ausgegeben werden, ohne dass es dabei zu Beschränkungen des Haushalts kommt. Das ist eine Wahnsinnsmission, die völlig unkalkulierbar wird. Es ist kein demokratisches Umgehen, dass auch eine Debatte oder eine öffentliche Auseinandersetzung erforderlich macht, wenn man solche Summen bereitstellt. Deshalb ist es ganz wichtig, dass man hier auch die Verbohrtheit dieser Pläne hindeutet, das Parlament für den militärischen Zweck zu instrumentalisieren.
„Es geht nicht um Menschen“
Es wird argumentiert, dass Russland Deutschland oder europäische Länder angreifen könnte, da die USA keine Garantien mehr geben. Also muss man sich selber aufrüsten. Ist das möglich?
Nein, sicherlich nicht. Es geht im Grunde darum, die Macht der alten europäischen Mächte wiederherzustellen. Ich glaube, diese Argeumentation trägt auch das Zerstörungspotenzial für die EU in sich. Man kann sich auf solche militärisch gestützte Macht nicht verlassen, sondern braucht friedliche, kooperative Formen der Zusammenarbeit, damit Europa überhaupt überleben kann. Ein Instrument ist, die Verelendung und im Grunde genommen die Entwicklungen des monopolistischen Kapitalismus voranzutreiben. Es geht um die Durchsetzung der Kapitalinteressen, nicht um die der Menschen. Das ist immer der leitende Gedanke. Man spürt es am deutlichsten auch in den USA, wie die Monopolinteressen mit staatlicher Hilfe durchgesetzt werden durch die Kombination von Musk und Trump.
Wie betrifft diese wahnsinnige Aufrüstung konkret die Bevölkerung?
Die ganzen sozialen Systeme sind betroffen, auch die Entwicklung, Infrastruktur, Bildung, soziale Integration. Das wird alles geschliffen zugunsten des militärischen und repressiven Charakters. Es geht ja nicht nur um eine außenpolitische Wirkung von Militär, sondern auch nach innen soll im Grunde genommen die Militarisierung durchgesetzt werden. Wir erleben das gerade in der Auseinandersetzung zum Gazakrieg. Jede kritische Äußerung wird mit dem Antisemitismusvorwurf mundtot gemacht. In den Universitäten wird die Zivilklausel geschliffen, es wird die Wehrpflicht wieder eingeführt.
Soziale Errungenschaften werden der Aufrüstung geopfert
Was plant die Friedensbewegung unter diesen Umständen?
Der Widerstand gegen die Weltkrieg 1914 aber auch 1939 war ein randständiges Phänomen. Deshalb ist es natürlich wichtig, dass wir als Friedensbewegung jetzt wieder die Aufbauarbeiten beginnen und den Widerstand organisieren. Wir versuchen das mit der Demonstration am 29. März in Wiesbaden, der sich gegen die geplante Raketenstationierung stellt, die ja ohne demokratische Legitimation einfach so per Handschlag durchgesetzt werden soll. Solche Aktionen sind das, was wir entwickeln müssen, um den Widerstand wieder auf das Niveau zu bringen, das erforderlich ist, um die Friedensbewegung als Zeichen, als politisches Zeichen gegen den Militarismus in der Bundesrepublik groß zu machen.
Wenn wir die Aufrüstung nicht stoppen, wird im Grunde genommen soziales Leben und vernünftiges Miteinander in der Wohnungspolitik, in der Bildungspolitik, in der Politik der sozialen Errungenschaften, all das wird geopfert. Wenn die Aufrüstung so weiter geht, sind Rüstungskonzerne und die dahinter stehenden Kapitalkräfte die einzigen, die sich bereichern.
Anfang der 80`er Jahre fanden auch Demonstrationen gegen US-Langstreckenraketen statt. Wie ist der Zustand damals und heute?
Es war eine andere Zeit. Man hat damals den Kriegsdienst verweigert. Das war eine Aufbruchsstimmung, eine friedliche Situation. „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ hieß ja, dass wir eine demilitarisierte Republik waren, die keine Waffen hatte und der Neutralität verpflichtet war. Diesen Pazifismus müssen wir wieder reaktivieren und in die Köpfe tragen. Eine andere gesellschaftliche, politische und auch internationale Perspektive zu entwickeln und die dann auf eine friedliche Welt, auf ein friedliches Miteinander und ein kooperatives Zusammengehen ist unsere Aufgabe. Wir haben immerhin vor einigen Jahrzehnten noch über ein Europa ohne Grenzen von Wladiwostok bis Lissabon nachgedacht. Dieses grenzenlose Europa ist ja völlig in sich zusammengefallen und der nationalistische Weg ist wieder der Dominante geworden. Das ist ein großes Problem.
„Kooperation, Entspannung und Abrüstung“
Sie haben von der Demo in Wiesbaden am 29. März gegen die Langstreckenraketen gesprochen. Was ist geplant und wer beteiligt sich daran?
Es geht darum, dass wir den Widerstand gegen solche militärischen Objekte und damit auch die Zuspitzung der militärischen Armada organisieren müssen. Aber wir müssen auch den Zusammenhang herstellen, in dem das Ganze passiert. Und das wollen wir mit Wiesbaden wieder beginnen und haben ein breites Bündnis gegründet. Auch Gewerkschaften rufen teilweise auf, aber wir kämpfen und ringen noch, weil auch innerhalb der Gewerkschaften die Friedensfrage bisschen nach hinten gerutscht ist. Da müssen wir wieder auch innerhalb der Gewerkschaften dafür kämpfen, dass das wieder zu einem festen Format wird. Nur über diesen Weg, dass man abrüstet und ein friedliches gesellschaftliches Klima schafft, können wir ein auskömmliches Leben für alle ermöglichen. Wir haben eine Verschiebung in der gesamten europäischen Landschaft, auch hier bei uns in der Bundesrepublik, nach rechts. Rassismus und Nationalismus feiern Urstände. Man merkt es an Grenzschließungen oder an Ausgrenzungen, die passieren. Und es ist ganz schwer, jetzt sofort die Gegenantwort zu formulieren. Aber wir müssen dafür arbeiten, dass tatsächlich eine grundsätzlich veränderte politische Landschaft wieder entsteht in Europa, die auf Kooperation, Entspannungspolitik und auch Abrüstung setzt.