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Deutschland hat die vierthöchste Schulabbrecherquote in der EU

Özgün Önal

2022 hatte Deutschland eine Abbrecherquote von 12,2 Prozent, die EU eine von 9,6 Prozent. In der EU-Statistik zählen Jugendliche zwischen 18 und 24 Jahren auch als Schulabbrecher, wenn sie einen Hauptschulabschluss haben, aber danach keine Ausbildung oder Weiterbildung gemacht haben. Dennoch ändert es nicht die angestiegene Zahl der tatsächlich -ohne jeglichen Abschluss- abgebrochenen Schülerinnen und Schüler.

Die Gründe für einen Schulabbruch sind unterschiedlich: fehlende Sprachkenntnisse, kaum Hilfe von den Eltern, fehlende Förderung in der Schule. Der Paritätische Wohlfahrtsverband sieht den Kern der Ursachen deutlich früher. Kerstin Track, Vorsitzende des Verbands in Niedersachsen sagt in einem Interview, dass die Schulabbruchsgefahr bereits in der KiTa verhindert werden kann. Alleine durch den enormen Fachkräftemangel komme die Sprachförderung zu kurz, es werden Gruppen geschlossen und eine gut gelingende Unterstützung sei fern von der Realität. All das seien Grundlagen für eben die genannten Kompetenzen, die es erschweren, weiterzumachen, so Track.

Eine weitere Ursache ist das veraltete Bildungssystem. Lehrkäftemangel, (Lehr-)Methoden, die nicht wirksam sind; marode Schulen, fehlende Einzelförderung, Mangel an Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter, das sind Ergebnisse der jahrelangen Sparpolitik in der Bildung. Der Landesschülerrat Niedersachsen beispielsweise verlangt mehr Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter, um Schülerinnen und Schüler vor der Gefahr des Abbrechens abzufangen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund erklärt die (soziale) Identität der Schulabbrecherinnen und -abbrecher: überwiegend seien es Schülerinnen und Schüler mit Migrationsgeschichte oder welche, die aus sozial benachteiligten Familien kommen. Der Schulabbruch -ohne einen Abschluss- führt in dem System, in dem wir leben nun dazu, dass die Chancen auf eine Arbeitsstelle mit guter Bezahlung nicht mehr der Realität entsprechen. Somit werden diejenigen, die ohnehin doppelter Diskriminierung ausgesetzt sind und sich als Randfigur der Gesellschaft sehen, durch diesen Teufelskreis immer weiter in diese Ecke gedrängt.

„Wir beklagen überall einen massiven Fachkräftemangel, erlauben es uns aber, Jugendlichen ohne Perspektive aus unserem Bildungssystem zu entlassen. Das viergliedrige Schulsystem versagt hinsichtlich Bildungsgerechtigkeit auf ganzer Linie. Wer keine Unterstützung durchs Elternhaus bekommt, verliert. Es gelingt uns nicht, Bedingungen zu schaffen, in denen sich alle Kinder gut entwickeln können. Aber genau das ist die Aufgabe“, kritisiert Florian Kohl, stellvertretender Vorsitzender der GEW Bayern bereits Anfang des vergangenen Jahres. „Schluss mit Selektion nach der vierten Klasse, Schluss mit der Benachteiligung ganzer Bevölkerungsschichten, Schluss mit schlechten Arbeitsbedingungen. Wir brauchen gute Lernbedingungen für alle Kinder, und die besten für diejenigen, die kaum auf sonstige Ressourcen zurückgreifen können“, fordert Kohl.

Der eigentliche Skandal ist nicht, dass wir Viertletzte in der EU sind. Der eigentliche Skandal ist, dass die Zahl der Schulabbrecherinnen und Schulabbrecher in Deutschland seit etwa 10 Jahren unverändert hoch ist. Dass wir es nicht schaffen, die alten Defizite unseres Bildungssystems abzubauen und es an die neuen Herausforderungen anzupassen oder gar abschaffen.

 

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