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Die Ablehnung der Evolutionstheorie und der vom Erdoganismus bestimmte Lehrplan

İhsan ÇARALAN

Das Nationale Bildungsministerium (MEB) hat letzte Woche den Entwurf eines „neuen nationalen Lehrplans“, den man seit zwei Jahren ausgearbeitet habe, der Öffentlichkeit vorgestellt. Der Entwurf diene nach MEB-Angaben zur Vereinfachung im Bildungssystem. Im Anschluss an die öffentliche Debatte werde der neue Lehrplan im kommenden Schuljahr in den 1., 5. und 9. Jahrgängen umgesetzt.

Die angebliche Vereinfachung klingt angesichts der jährlichen Systemwechsel und –erneuerungen wie ein Hohn. Auch für den jetzt vorgestellten Entwurf ist diese Begründung nur vorgeschoben. Es geht in erster Linie darum, die Evolutionstheorie aus dem Lehrplan zu streichen und die Lehre vom Kemalismus noch unverständlicher zu gestalten.

Der Entwurf wurde von Mitarbeitern des Ministeriums und der Gewerkschaft Eğitim Bir Sen gemeinsam ausgearbeitet. Diese Gewerkschaft ist Mitglied im AKP-nahen Dachverband Memur-Sen. Dagegen wurden die Gewerkschaften Eğitim Sen (KESK) und Eğitim-İş (Kamu-İş) an diesem Entwurf nicht beteiligt.

Während die Vorsitzenden die fehlende Beteiligung ihrer Gewerkschaften sowie von Wissenschaftlern und Experten kritisieren, begrüßt der Vorsitzende von Eğitim Bir Sen den Entwurf. Das Ministerium wies die Kritik zurück und verwies darauf, dass in den kommenden Monaten alle die Gelegenheit finden würden, sich einzubringen. Die Erfahrungen der letzten Jahre machen aber deutlich, dass die nachträglich eingebrachten Vorschläge keine Berücksichtigung finden werden.

Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Vorschläge der reaktionärsten Kreise berücksichtigt werden und der Entwurf noch rückschrittlicher gestaltet wird. So werden diese Kreise z.B. sich damit nicht zufrieden geben, dass die Evolutionstheorie aus dem Fach Biologie ersatzlos gestrichen wird. Vielmehr werden sie sich dafür stark machen, dass die reaktionärsten Theorien und Ansichten in das Fach aufgenommen werden. Es ist bekannt, dass sie im Ministerium auf höchster Ebene vertreten sind.

Die Absicht von der Streichung der Evolutionstheorie gekennzeichnet

Im Zentrum der weltweiten Debatte um Fortschrittlichkeit und Reaktion in der Wissenschaft stand in den letzten Jahren die Evolutionstheorie. Eines der Hauptziele der reaktionären Kräfte, die sich in der AKP gesammelt haben, war die Streichung der Evolutionstheorie aus dem Lehrplan. Der Entwurf macht deutlich, dass sie ihr Ziel erreicht haben und die Evolutionstheorie aus dem Lehrplan des gymnasialen Biologieunterrichts gestrichen wird.

Laut dem vorherigen Lehrplan wurde für die Evolution in der 12. Klasse eine wöchentliche Unterrichtszeit von 6 Stunden vorgesehen. Dabei wurden die Arbeiten von Lamarck und Darwin behandelt und andere Ansichten zu dem Thema vorgestellt. Laut dem Entwurf wurde das Kapitel Evolution durch das neue Kapitel „Lebewesen und Umwelt“ ersetzt.

Eigentlich ist es ein Widerspruch, einerseits die Evolutionstheorie zu lehren und andererseits das offiziell verkündete Ziel von der „Erziehung einer frommen Generation“ zu verfolgen. Denn die Darwinsche Evolutionstheorie steht im Konflikt mit allen Lehren über Schöpfer und Schöpfung. Deshalb steht sie auch im Konflikt mit der Idee von der Erziehung „frommer Generationen“.

Dabei versucht die AKP in ihrer Regierungszeit dieses Ziel zu erreichen. Deshalb unterstützte sie inoffizielle Schulen, eröffnete unzählige Imam-Hatip-Schulen, näherte den gymnasialen Lehrplan dem von Imam-Schulen. Jetzt möchte man mit der Streichung der Evolutionstheorie aus dem Lehrplan eine der letzten Fesseln loswerden.

Dies bedeutet aber auch, dass man die Verbindung zwischen dem Bildungssystem und der Wissenschaft endgültig kappt. Denn die Evolutionstheorie ist nicht nur in der Biologie, sondern in allen Wissenschaften ein wichtiger Eckpfeiler. Wenn sie gestrichen wird, muss konsequenterweise der Lehrplan für andere Fachbereiche wie Physik, Astronomie, Chemie, Philosophie etc. entsprechend der Schöpfungslehre neu geschrieben werden.

Kemalismus soll durch den Erdoganismus ersetzt werden

Eine weitere Erneuerung liegt in der Aufnahme neuer Themen wie der Putschversuch vom 15. Juli. Für den neuen Lehrstoff wird dadurch Platz geschaffen, dass die Lehren von Atatürks Grundsätzen gestrafft behandelt werden. Das zeigt, wie weit die AKP bei ihren Versuchen, einen neuen „Erdoganismus“ an Stelle des Kemalismus zu etablieren, gekommen ist. Mit der ausführlichen Behandlung des gescheiterten Putschversuchs und der Rolle von Erdogan bei dessen Niederschlagung wird er als der größte Held der jüngeren Geschichte dargestellt und soll dann Atatürks Stelle einnehmen.

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