Als Kritik zu der Politik der türkischen Regierung in der Kurdenfrage, haben in der Türkei Akademiker für den Frieden eine Stellungnahme mit dem Motto: „Wir werden nicht Teil dieses Verbrechens sein“ veröffentlicht. Die AKP unter der Führung von Erdogan und Davutoglu haben sich auf enorm harte Weise dem entgegengestellt. Um genau zu sein, erklärte Präsident Erdogan: „Ihr Möchtegern Intellektuellen, ihr seid die Finsternis!“ und das war Anlass für viele AKP-Abgeordnete und deren Anhänger wie Sedat Peker, aber auch für Ultranationalisten der MHP, bis hin zum Hochschulrat (türkisch= YÖK), verschiedenen Direktoren sowie „nationalen Intellektuellen“ und Staatsanwälten, die stets auf Kommando von Erdogan die Maschinerie ihrer Hetze starteten. So fühlten sich viele Universitätsprofessoren und Mitglieder des Hochschulrats (YÖK) nach der Aussage Erdogans zu der Mission berufen, diejenigen Intellektuellen, darunter befinden sich wissenschaftliche Mitarbeiter und Lehrbeauftragte, die diese Stellungnahme unterzeichnet haben, vor Gericht zu stellen. Somit wurde auch unter Mithilfe der AKP-nahen Medien eine Hetzkampagne gegen jeden gestartet, der sich gegen die Politik der AKP stellt.
Entweder ihr steht auf unserer Seite oder auf der Seite des Terrors
Die Erdogan-Davutoglu Führung versucht den Anschein zu erwecken, als würden alle politischen Handlungen nur wegen den „ausgehobenen Gräben“ und den „bewaffneten Auseinandersetzungen“ gemacht werden, um dem „Sterben der Polizisten und Soldaten“, also dieser blutigen Zeit, ein Ende zu bereiten. In Wahrheit wollen sie was ganz anderes bezwecken. Ganz im Gegenteil sogar, benutzen sie den „Terror“ und den „Terrorismus“, um mit dessen Unterstützung, ihre politischen Ziele wie, „eine Regierungsform unter der Führung einer Partei und einem Führer“, dem „Aufbau einer konservativen Gesellschaft“ verwirklichen zu können. Gerade deshalb versuchen Erdogan und Davutoglu durch die selbsterstellte Gleichung: „entweder ihr steht auf unserer Seite oder auf der Seite des Terrors“ eine Spaltung innerhalb der Gesellschaft hervorzurufen, um ihren Rückhalt zu erneuern, die Mehrheit der Gesellschaft hinter sich zu bringen und dadurch ihre Ziele zu realisieren.
Bush hatte das gleiche gemacht!
Im Jahre 2001 hatte George W. Bush nach den Anschlägen der Al-Qaida auf New York und Washington das gleiche gemacht. Bush und seine Anhänger hatten auch damals die Welt aufgeteilt in, „die Länder, die gegen den Terror an der Seite der USA stehen“, „terroristische Länder“ und „Länder, die dem Terror Beihilfe leisten“. Alle anderen Länder wurden gezwungen, sich entweder an der Seite der USA oder eben an der Seite der terroristischen Länder zu positionieren. So versucht auch aktuell die AKP die türkische Gesellschaft zu einer Spaltung zu zwingen und zwar in diejenigen, die sich an der Seite der AKP-Regierung und des Präsidenten positionieren und diejenigen die für eine demokratische Lösung der Kurdenfrage einstehen, welche von ihnen als Terroristen bezeichnet werden. Innerhalb dieser Spaltung glaubt die Regierung um Erdogan, dass der größere Teil der Bevölkerung sich auf ihre Seite stellen wird. Diejenigen, die das nicht tun, werden je nach ihrer Stellung und Position innerhalb dieser Gesellschaft mit den üblichen Methoden der Unterdrückung dazu gezwungen, eine bestimmte Haltung einzunehmen. Diese Schiene wird aktuell gefahren.
Zudem ist es kein Zufall, dass aktuell eine Situation nach dem Motto: „Entweder ihr steht auf unserer Seite oder auf der Seite des Terrors“ vorherrscht. Die Erdogan-Davutoglu Regierung, hat spätestens nach den Wahlen am 1. November, die daraus gewonnene Macht gezielt als Angriff gegen ihre Mitbewerber genutzt und ist so zum aktuellen Punkt gekommen.
Somit haben die Beschuldigungen und Vorwürfe gegen kurdische Abgeordnete auf kommunaler Ebene mit dem Vorwand der „Gräben“ und die Vorbereitung für den direkten Versuch der Regierung sie in ihren Gebieten zu entmachten, bis hin zu den Angriffen gegenüber Erziehern oder dem Gesundheitspersonal, einfach allen, die im öffentlichen Dienst arbeiten, aber sich mit dem „nationalen“ Charakter nicht identifizieren , mit dem Ziel diese von ihrem Dienst zu suspendieren, eine neue Ebene erreicht. Dieser Weg wurde geebnet, als die Universitäten zur Zielscheibe erklärt wurden und die Intellektuellen, die sich mit ihrer friedlichen Erklärung und oppositionellen Haltung für den Frieden aussprachen, als „Möchtegern Intellektuelle“ und „Finsternis“ bezeichnet wurden. Weiterhin, als diejenigen, die sich solidarisierten offen zur Zielscheibe erklärt wurden durch den Hochschulrat (YÖK) und den Staatsanwälten, die sogar soweit gingen, dass sie sagten: „ Wir werden denjenigen, die sich auf der Seite des Terrors positionieren, keinen Raum in den Universitäten lassen“. So wird die von Erdogan noch vor den Wahlen am 1. November verschärfte Spaltung nach denen, die sich als „örtlich und national“ identifizieren und nach denen, die dies eben „nicht“ tun, heute interpretiert als diejenigen „die gegen den Terror sind“ und diejenigen, „die den Terror unterstützen“. In Wahrheit entspricht diese Art und Weise der Interpretation dem Versuch zu verschleiern, „wer sich nun letzten Endes mit den Absichten der AKP und Erdogan vereinigt und wer dagegen ist“.
Schritt für Schritt zum totalen Angriff
Selbstverständlich ist diese Formulierung keine mathematische Gleichung oder der Versuch einer rein propagandistischen Wirkung. Im Gegenteil, dies ist die Art und Weise der Formulierung für die zukünftige Strategie zur Herrschaft von Erdogan und Davutoglu. Mit dieser Strategie beabsichtigen Erdogan, Davutoglu und die AKP;
1. Universitäten, lokale und kommunale Regierungsteile, das Bildungs-, Erziehungs- und Gesundheitswesen von Teilen der oppositionellen Strukturen zu befreien und bis ins letzte Glied mit dem AKP-nahen Personal zu besetzen
2. Die Entmachtung der Gemeinden, in denen die kurdische DBP und andere Oppositionsparteien als stärkste Macht zählen und stattdessen eigene Strukturen zu errichten
3. Hindernisse wie Stiftungen, Vereine, alevitische Gebetshäuser, Parteien und Umweltschutzorganisationen, die der Errichtung einer religiös-konservativen Gesellschaft im Weg stehen, zu beseitigen
Jegliche Positionierung im jetzigen Zeitpunkt ergibt sich auf genannter Grundlage. Alle demokratischen und fortschrittlichen Kräfte müssen sich dies vor Augen führen und eine Grundlage dafür schaffen, die den Kampf verbindet und dementsprechend vergrößert.
Diese Gleichung kann auf Kosten des Koran gehen
Beispielhaft ist die Auswirkung der Stellungnahme der Intellektuellen für den Frieden und die Angriffe auf diese, innerhalb der CHP. So teilt sich die CHP Führung heute auf in diejenigen, die diese Stellungnahme unterstützen und diejenigen, die dagegen sind. Die MHP positioniert sich klar gegen diese Stellungnahme der Intellektuellen für den Frieden und gibt der Regierung einen Freifahrtschein, die Universitäten von diesen Intellektuellen mit oppositioneller Meinung zu säubern, auch wenn sie dabei verzichten müssen, ihre eigenen Kritikpunkte gegenüber der Regierung auszusprechen.
In den kommenden Tagen werden wir von dem Erdogan-Davutoglu Flügel neue Initiativen und deren Folgen etwas klarer sehen. Eines steht jedoch fest. Die Rechnung einer solchen Spaltung der Gesellschaft geht nicht so problemlos auf, wie vermutet wird. Es ist sogar wahrscheinlicher, dass solch eine Spaltung etwas Gegenteiliges bewirkt, als erwartet.
Schließlich wurde die Art: „Entweder ihr seid einer von uns, oder auf der Seite der Terroristen“, auch Bush und seinen Anhängern zum Verhängnis. Genau deshalb nimmt die aktuelle Führung unter Erdogan und Davutoglu auch in Kauf, dass sie alle diejenigen gegen sich haben werden, die sich deren Politik nicht unterwerfen wollen.
Ihsan Caralan