Dilan Baran
In der Ukraine ist Leihmutterschaft ein florierender Wirtschaftszweig. Der Krieg wirft nun ein Licht auf eine Branche, die jahrzehntelang im Schatten verlief.
Und wieder wird deutlich, wie mit der prekären Lage von Frauen und der zweifachen Ausbeutung ihrer Reproduktionsarbeit Profit geschlagen wird, denn viele der Leihmütter sind Alleinerziehende. Sie können nicht einer anderen Arbeit nachgehen oder verdienen zu wenig. Das durchschnittliche Monatsgehalt einer ukrainischen Frau beträgt etwa 350 Euro. In Berichten und Interviews machen die meisten Leihmütter auch kein Geheimnis aus ihrer Motivation: Geld. Die Ukraine gehört zu den ärmsten Ländern Europas. Das Geschäft mit dem Austragen und Gebären von Kindern ist rücksichtslos und gefährlich. Doch die Nachfrage ist groß, und sie nimmt weiter zu.
Das Geschäft mit der Leihmutterschaft wächst
«Als ich 2014 hier angefangen habe, haben wir pro Jahr eine Handvoll Paare betreut», erzählt Maria Holumbowska, Sprecherin der deutschen Abteilung des Leihmutterschaftsunternehmens Biotexcom der Neuen Zürischer Zeitung im April 2022. Seitdem sei Biotexcom stark gewachsen. Genaue Angaben dazu macht sie nicht. In ihrer Abteilung, die Kunden aus Deutschland, Österreich und der Schweiz betreut, habe es im Jahr 2021, aber bereits 212 Geburten gegeben.
Außerhalb der Ukraine gibt es weltweit nämlich kaum Möglichkeiten, eine Leihmutterschaft durchzuführen. In vielen Ländern ist diese Praxis ganz verboten, in anderen nur mit großen Einschränkungen erlaubt. Und dort, wo Leihmutterschaft nicht gesetzlich geregelt ist, fehlen die medizinischen Möglichkeiten und somit auch die Anbieter.
Wie viele Kinder in der Ukraine jährlich durch eine Leihmutter geboren werden, ist ungewiss. Zwar gibt es offizielle Statistiken, diese sind aber wenig aussagekräftig, weil die Kliniken nicht verpflichtet sind, Informationen weiterzugeben. Der ukrainische Anwalt Sergei Antonov, Präsident einer Organisation, die Leihmütter-Agenturen vertritt, geht von 2000 bis 2500 Geburten aus – die Hälfte davon vermittelt durch das Unternehmen Biotexcom. Laut eigenen Angaben das landesweit größte in der Branche.
Ein weiterer Grund für den Erfolg ist sicherlich die geografische Nähe zu den europäischen Kunden sowie die Möglichkeit zur visafreien Einreise. Dass die Ukraine von vielen als «europäisch» und wirtschaftlich entwickelt wahrgenommen werde, helfe zudem, moralische Bedenken zu beseitigen. Aber auch ökonomische Faktoren sind ausschlaggebend, vor allem die offensive Werbestrategie der Agenturen und unvergleichlich tiefe Preise.
All-inclusive-Pakete kosten bei Biotexcom zwischen 40 000 und 60 000 Euro.
Wie viel Geld die Agenturen am Ende verdienen, lässt sich nicht genau sagen. Der Hamburger Anwalt Marko Oldenburger, der deutsche Paare bei der Leihmutterschaft berät, geht davon aus, dass pro Schwangerschaft bis zu 20 000 Euro als Gewinn verbleiben. Das Marktforschungsinstitut Global Market Insights schätzte den Markt für Leihmutterschaft im Jahr 2020 auf rund vier Milliarden Dollar. Bis zu einem Viertel davon soll auf Biotexcom entfallen.
Gegen den Gründer Albert Totschilowskyj liefen in der Ukraine bereits Ermittlungen, unter anderem wegen Menschenhandel und Steuerhinterziehung. Biotexcom hat seinen Sitz nicht in der Ukraine, sondern auf den Seychellen. Zu einem Verfahren kam es nie. Die Geschäfte laufen seit Jahren weiterhin gut.
Die Ukraine hat eines der liberalsten Leihmutterschaftsgesetze der Welt
Nach dem Familiengesetzbuch ist die Leihmutter explizit nicht die Mutter des von ihr ausgetragenen Kindes. Dadurch finden sich die Leihmütter oft in Arbeitsverhältnissen wieder, die Veronika Siegl als Knebelverträge bezeichnet. Sie hat das Thema Leihmutterschaft für ihre Dissertation an der Uni Bern untersucht. „Sie können nicht mitdiskutieren, sondern müssen sich an die Wünsche der Eltern anpassen.“ Zudem herrsche meist ein strenges Sanktionsregime und die Frauen müssten mit Gehaltsabzügen rechnen, wenn es in der Schwangerschaft Schwierigkeiten gebe. Nur wenige Frauen trauen sich, sich an die Medien zu wenden, und wenn, dann mit erschreckenden Berichten. So gab eine Leihmutter gegenüber dem «Spiegel» an, ein Drittel weniger Gehalt erhalten zu haben, weil sie ein Kind mit Behinderung zur Welt brachte.