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Giftgas-Angriffe an den Mädchenschulen Irans

Idil Çallı

Seit Jahresbeginn wird immer wieder darüber berichtet, mit welchen Mitteln junge Frauen und Mädchen im Iran versucht werden von der Bildung fernzuhalten: Mädchenschulen in über 100 Städten sind Ziel von Giftgas-Angriffen. Allein am Wochenende vom 15. April, heißt es in Sozialen Medien, sollen 11 Schulen angegriffen worden sein – mit der Folge von Todesopfern. Über 7.000 Schülerinnen sind laut Berichten bis heute betroffen, von denen viele mit kritischem Zustand stationär behandelt werden mussten. Sie alle klagen über Atemnot und Schwindel. Dabei wurden im April besonders viele Angriffe in der kurdischen Stadt Saqez gemeldet, dem Heimatort der im September in Polizeigewahrsam getöteten Mahsa Amini. Proteste gegen die Angriffe werden durch Sicherheitskräfte des Regimes gewaltsam und mit Tränengas niedergehalten. Auf Twitter, aber auch in den mehrheitlichen Berichten, ist klar, dass es eben dieses Regime ist, welches hinter den Angriffen steckt. Dass die Vorfälle lange Zeit durch den iranischen Präsidenten verleugnet und als Gerüchte abgestempelt wurden, bestärkt und unterstreicht diese Haltung.

Klar ist nämlich auch, dass nichts gegen diese Gewalt unternommen wird. Es findet keine Nachverfolgung statt, kaum jemand wird für die teilweise tödlichen Angriffe belangt. Gleichzeitig sehen wir mit Blick auf das letzte halbe Jahr, wie das Regime durch immer mehr Vorkehrungen und mit höchster Priorisierung versucht, die seit dem Tod Aminis anhaltenden Frauen- und später Gesellschaftsproteste im Land im Keim zu ersticken. Allerorts werden höchstaufwendig Überwachungs- und Verkehrskameras mit Gesichtserkennung eingesetzt, um Frauen, die die gewaltsam aufgezwungene Kopfbedeckung verweigern, zu identifizieren und festzunehmen. Mit allen Mitteln wird versucht, das mittlerweile normalisierte Stadtbild von Frauen und Mädchen ohne Hijab zu bekämpfen und die Rufe nach „Frau, Leben, Freiheit“ zum Verstummen zu bringen. Die Angriffe auf den Zugang zu Bildung reihen sich somit ein in eine lange Kette von Offensiven gegen den Kampf um Befreiung und Selbstbestimmung. Junge Frauen und Mädchen haben von Tag zu Tag größere Angst ihre Schulen zu besuchen und müssen für die Teilnahme am Unterricht ihr Leben riskieren.

Trotz der sich zuspitzenden Situation im Iran, trotz der lebensbedrohlichen Lage, trotz Verfolgung und Tötung durch das Regime sind in diesem Jahr aus Deutschland bereits mehrere Fälle von Abschiebungen dorthin bekannt geworden – und das trotz geltendem Verbot. Jede einzelne von ihnen entlarvt die Krokodilstränen der Bundesregierung während der Solidaritäts-Proteste im vergangen Herbst und ihre vermeintlich „feministische Außenpolitik“ ein Stück weiter. Geschmückt werden diese Bekundungen weiterhin mit wirtschaftlichen Sanktionen, die keineswegs die Proteste vor Ort unterstützen, sondern ganz klar eine weitere Last auf den Schultern der arbeitenden Menschen bilden, die schon jetzt stark unter der wirtschaftlichen und politischen Lage im Iran leiden.

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