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Zwei Jahre Krieg in der Ukraine

Sinan Köylü

Der Ukrainekrieg ist seit dem Irakkrieg 2003 — als eine Koalition der Willigen unter Washington zum Sturz des irakischen Präsidenten Saddam Hussein einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führte — der verheerendste kriegerische Konflikt mit den bisher zerstörerischsten Auswirkungen der jüngeren Geschichte. Dieser Krieg ist jedoch mehr als nur sein Zerstörungspotential. Wo bisher Kriege zwischen Groß- und Weltmächten in Form von Stellvertreterkriegen abseits der reichen Regionen der Welt (Europa und Nordamerika) ausgetragen wurden — indem bspw. Proxies zur Erreichung der Ziele der jeweiligen Großmacht finanziert, ausgebildet und/oder ausgerüstet worden sind — stellt der russisch-ukrainische Krieg eine Zäsur dar: zum ersten Mal ist mit Russland eine Großmacht  nicht nur direkter Kriegsteilnehmer, sondern wird der Krieg in unmittelbarer geografischer Umgebung einer Großmachtkonkurrenz (Ukraine als Nachbarland zwischen Russland und der EU/NATO) ausgetragen.

Darüber hinaus hat der Krieg eine Welle von Konsequenzen geschlagen, die in ihrer Intensität, ihrem Zusammenspiel (also auch ihrer Gleichzeitigkeit) und ihres Wirkungsradius zumindest für die jüngere Geschichtsschreibung neuartig sind. Die anhaltend hohe Inflation und die als Reaktion vollzogene Zinswende, die Abkopplung der deutschen und anderer Volkswirtschaften von der russischen, die verstärkte militärisch-ökonomische Blockbildung, die beschleunigte Aufrüstungsspirale, der Umbau der Wirtschaften in kriegstüchtige Gebilde, schließlich die Weltkriegsgefahr sind nur die schlagendsten Erscheinungen, die durch den Ukrainekrieg sowohl beschleunigt als auch erst hervorgerufen wurden. Die verstärkte Blockbildung des westlichen Imperialismus einerseits und jene von Russland und Chinas andererseits kommen nicht unerwartet oder zufällig. Auch die Abkopplungstendenzen, zumindest im Gewand der Export- bzw. Importbeschränkungen (wie bspw. der Wirtschaftskrieg zwischen den USA und China) laufen bereits seit einigen Jahren. Der Ukrainekrieg ist somit Katalysator einer sich seit geraumen Zeit zuspitzenden Entwicklung.

Entgegen den ständigen bellizistischen Kommentaren, die von einer unbedingt siegreichen Ukraine phantasieren (Kiesewetter, Hofreiter, Teile der Bundesregierung, zahlreiche „Experten“, straft die momentane militärische Situation die Kriegstreibenden Lügen. Seit ungefähr neun Monaten ist der Krieg in einen Dauerzustand des Stellungskrieges eingerastet und führt gleich dem menschenverachtenden Experiment Verduns der damaligen deutschen und französischen Imperialisten zu einem Ergebnis: astronomisch hohe Opferzahlen ohne einen Inch Geländegewinn. Die Fronten sind verhärtet, die Verhandlungsposition dadurch bereits stark eingeschränkt. Russland hat sich die industrialisierten und rohstoffreichen Ostgebiete unter den Nagel gerissen, während die Ukraine eine ergebnislose Offensive nach der anderen durchführt. Auch die von der ukrainischen Regierung großangelegten Rückeroberungspläne der russisch besetzen Gebiete (insbesondere der Krim) gleichen eher einem Selbstmordkommando. Seit einigen Monaten findet ein zunehmend repressiverer Einzug der männlichen Bevölkerung statt und selbst die anbiedernde Klitschko-Opposition moniert über den Verfall demokratischer Zustände.

Die westlichen Unterstützer sind indes gespalten, wie lange die Ukraine noch unterstützt werden soll. Berlin und Paris haben Kiew zukünftige Sicherheitsgarantien im Falle eines erneuerten Überfalls zugesichert. Derweil hadert Washington mit der Zusicherung weiterer Milliarden an finanzieller und militärischer Unterstützung. Der rechte Flügel der Republikaner im Repräsentantenhaus weigert sich für die Milliardenhilfen zuzustimmen. Eine bröckelnde USA-Unterstützung oder Verlagerung der „Pflichten“ auf die europäischen Partner, könnte den Krieg nachhaltig beeinflussen. Schließlich ist der Ukrainekrieg für die USA nur ein temporär begrenzter Nebenschauplatz im Kräftemessen mit China. Der derzeitige Krieg in Nahost bündelt große militärisch-geostrategische Reserven und die zunehmende Verlagerung in den Indopazifik ist langfristig nicht zu stoppen. Ein Ausgleich zwischen Washington und Moskau oder zumindest die Delegierung der Kriegsunterstützung an die europäischen Alliierten scheint zum ersten Mal seit den ersten Monaten des Krieges nicht unwahrscheinlich. Ob sich die Vermutungen, um ein Ende des Ukrainekrieges bewahrheiten, bleibt jedoch abzuwarten. Der Krieg könnte sich genauso gut weitere Jahre hinziehen. Nur eines bleibt gewiss: jeder weitere Tag des Krieges kostet sinnlos weitere Menschenleben und erhöht in einem immer erschreckenderen Maß die Weltkriegsgefahr.

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