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„Es ist wichtig, eine Schnittstelle zu haben, von der aus Brücken gebaut werden können“

Rund um den 8. März haben wir eine Online-Vortragsreihe unter dem Motto „ #8M24 – Frauen, Frieden, Solidarität“ – Themenblock: „Antirassismus und Klassismus“ veranstaltet. In diesem Rahmen haben wir mit Mireille Ngosso gesprochen. Mireille ist Ärztin, Aktivistin, u.a. bei Black Lives Matter und seit November 2020 Abgeordnete im Wiener Gemeinderat und Landtag.

Zeynem Arslan

Kannst du uns aus deiner Perspektive, als Aktivistin im Feld des Antirassismus, schildern, wie Klasse, ethnische Zugehörigkeit und Geschlecht zusammenwirken?

Sowohl in den antirassistischen, wie auch in den feministischen Bewegungen werden Aspekte des „Klassismus“ geschweige denn von „intersektionalem Klassismus“ nicht mitgedacht. Gerade Menschen mit Migrationsbiographien sind von den vorherrschenden Diskriminierungs- und Benachteiligungsverhältnissen mehrfach betroffen, zumal sie sich zu einem größeren Teil in sozioökonomisch schwächeren und prekären Lebenslagen befinden. Antirassismusarbeit und klassistische Kritik sollten also Hand in Hand gehen. Entsprechende Doppelungen von Benachteiligungen sind auch in bürgerlich-liberal und weiß dominierten Frauenbewegungen zu beobachten. Intersektionale Diskriminierung wird also auch in den Frauenbewegungen viel zu wenig berücksichtigt, obwohl Frauen unterschiedliche Voraussetzungen, Betroffenheiten und Forderungen haben. Wir sehen, dass eine stärkere Zusammenarbeit und ein Aufeinanderzugehen notwendig sind. Damit würden wir auch breitere Spektren von Frauen erreichen. Seit den lauter gewordenen kritischen Forderungen der „Black African Women’s Movements“ in den 1960er und 1970er Jahren in den Vereinigten Staaten und der Entwicklung des intersektionalen Feminismus, insbesondere seit den 1980er Jahren, beobachten wir derzeit wieder eine weiße Dominanz in den Frauenbewegungen, obwohl die Migrationsbewegungen in Europa größer zugenommen haben.

Wie steht es dann um die entsprechenden Bewegungen? Gehen die Klassenfrage und Antirassismus nicht immer Hand in Hand?

Es muss Hand in Hand gehen, aber das passiert eben leider nicht. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen zwar vereinzelt wissen, dass Klassismus und Rassismus zusammengehören, denn gerade in der „Working Class“ (also der Arbeiter*innenklasse) betrifft es Menschen mit Migrationsbiographie. Aber in den Bewegungen sind immer weiße Menschen an der Spitze und es wird selten daran gedacht, dass man Menschen mit Migrationsbiographie mitnehmen muss. Das passiert viel zu wenig, egal ob in der Frauenbewegung oder in der Gewerkschaftsbewegung. Es wird über Klasse gesprochen, aber über Rassismus wird viel zu wenig diskutiert. Wenn es um Rassismus geht, gibt es bei den weißen Menschen eine Beklommenheit, bei der sie selbst sich schuldig fühlen und das deswegen nicht mitnehmen.

Was möchtest du zu den rechtspopulistischen Entwicklungen unserer Zeit sagen?

Diese Remigrations-Debatte hat mich persönlich nicht überrascht, denn diese Idee gibt es nicht erst seit gestern. Erschreckt hat mich viel mehr, dass von der Politik sehr wenig gekommen ist. Es war wieder die Zivilgesellschaft, gerade jene in Deutschland, die lautstark auf die Straße gegangen ist und die einem Mut macht, aber große und vor allem nachhaltige Konsequenzen hat es von Seiten der Politiker*innen nicht gegeben. Die Remigrations-Debatte lässt mich innehalten, weil es erschreckend ist, dass es schon so weit gekommen ist und eine Tür geöffnet wurde, die zeigt, dass Rassismus salonfähig ist. Generationen von Menschen mit Migrationsbiographien leben in den europäischen Staaten, die Europa mit aufgebaut haben. Ich bin Ärztin von Beruf und sehe allein im Krankenhaus, wer die ersten sind, die morgens um 5:30 Uhr vor Ort sind und unsere Krankenhäuser putzen oder die Pflegearbeit leisten. Das ist z.B. meine Mutter, die seit 30 Jahren in Österreich ist und bis heute nicht als Teil der Gesellschaft anerkannt wird. Ich mache mir Sorgen um die Zukunft, wenn ich sehe, wie Jugendliche und junge Menschen z.B. vom demokratischen Wahlrecht ausgeschlossen sind, weil sie die Staatsangehörigkeit nicht haben, obwohl sie hier geboren sind. Dabei sind sie Teil der nächsten Generation, fühlen sich aber nicht so.

Wo steht Black Voices in diesem Zusammenhang?

Im Rahmen der „Black Lives Matter“-Bewegung haben wir gemeinsam mit vielen verschiedenen Communities in Österreich ein Volksbegehren auf die Beine gestellt (siehe: https://blackvoices.at/). Wir haben Forderungen in den Bereichen Arbeitsmarkt, Gesundheit, Bildung etc. formuliert. Am Ende fehlten uns knapp 600 Unterschriften, um die 100.000 Unterschriften zu erreichen, damit das Volksbegehren im österreichischen Nationalrat diskutiert und auf die Tagesordnung gesetzt wird. Nichtsdestotrotz haben wir als „Black Voices“ im Parlament ein Treffen mit Politiker*innen gehabt und bis heute ist nichts passiert. Die Forderung, dass die Forderungen in die parlamentarischen Ausschüsse mitgenommen werden, wurde zuletzt von den beiden Regierungsparteien, der Österreichischen Volkspartei und den Grünen, abgelehnt. Dabei gibt es einen EU-Auftrag, dass alle EU-Staaten bis 2025 einen „Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus“ ausarbeiten sollen.

In den letzten Jahren ist viel passiert. Was sind deiner Meinung nach Punkte, bei denen sich noch etwas tun muss?

Als Landtagsabgeordnete ist es für mich wichtig, dass Menschen mit Migrationsbiographien in der Politik vertreten sind. Die Sozialdemokratische Partei hat im Wiener Landtag 46 Mandatsträger*innen und nur drei davon haben eine Migrationsbiographie. Das spiegelt nicht den Migrant*innenanteil in der Wiener Bevölkerung wider, wo mittlerweile fast jede zweite Person eine Migrationsbiographie hat. Eines meiner Steckenpferde ist es, zu versuchen, vor allem junge Menschen mit Migrationsbiographie für die Politik zu motivieren und ihnen Plattformen zu bieten, in denen Netzwerke aufgebaut, die Codes und Kulturen der Politik erfahren und erlernt werden können. Es ist wichtig, eine Schnittstelle zu haben, von der aus Brücken gebaut werden können.

Was möchtest du noch mitgeben?

Diese emanzipatorischen und antirassistischen Bewegungen und Forderungen nach Veränderung können wir nur dann erreichen, wenn wir gemeinsam handeln und zusammenhalten. Dabei sollten wir uns bemühen, möglichst viele und auch unterschiedliche Perspektiven mitzudenken, mitzunehmen, zuzulassen und einfließen zu lassen.

 

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