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Freifahrtschein im Namen der Selbstverteidigung – Krieg im Nahen Osten

YEKTA DOĞAN

Nach dem Angriff der Hamas am 07.10. auf Israel begann der nun pausenlose Angriff Israels auf den Gazastreifen, der bisher tausenden Palästinensern, darunter eine dreistellige Zahl von Kindern, das Leben kostete. Nach derzeitigem Stand gibt es 1400 Tote auf israelischer und 2200 Tote auf palästinensischer Seite. In breiten Teilen der westlichen Medien, in den Deutschen Medien fast ausnahmslos, ist von einer legitimen „Selbstverteidigung“ die Rede und die sich quer durch die Parteienlandschaft ausgebreitete Israelsolidarität zeigt sich ebenfalls in einer praktisch gleichgeschalteten Medienlandschaft, die jede Israelkritische Stimme als Antisemit und Hamas-Freund diffamiert. Zur Solidaritätsbekundung werden Israel Fahnen gehisst, Hilfszahlungen für Palästinenser gestoppt, Ukraine Fahnen auf Social-Media-Plattformen durch Israel-Fahnen ersetzt oder ergänzt. Pro Palästina Demonstrationen werden verboten, sogar Israelkritische Jüdinnen und Juden wird der Mund verboten.

Aber hat die Hamas die Reaktion Israels nicht provoziert? Soll Israel einfach zusehen, wie Zivilisten ermordet werden? Diese Argumentation fällt den meisten einfach, die von dem westlichen Mainstream beeinflusst werden und den Angriff der Hamas vom 07.10. losgelöst vom Kontext der jahrelangen israelischen Kolonialpolitik betrachten.  Jedes Jahr werden durchschnittlich ca. 100 Palästinenser vom israelischen Militär getötet. 2022 und 2023 bis zum 7.10. waren es jährlich ca. 200 Menschen, die das israelische Militär umgebracht hat. Wer hier also von einem „unprovozierten Angriff“ der Hamas redet, betreibt böswillige Propaganda und versucht mit demselben Vokabular den Angriff der Hamas mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gleichzusetzen, um somit eine Rechtfertigungsgrundlage für israelische Angriffe zu schaffen. Die jahrelange Unterdrückung und Ermordung von Palästinensern durch den israelischen Staat schafft erst die Voraussetzungen für eine Hamas.

Auf der anderen Seite stehen die, die ausnahmslos alles, was sich gegen den Westen richtet, als antiimperialistischen Kampf sehen und verkennen, dass die Hamas nicht lediglich eine militärische Operation gegen das israelische Militär durchgeführt, sondern bewusst zivile Opfer angegriffen hat und vielerorts ein Massaker angerichtet hat. Nicht nur der israelischen Bevölkerung hat die Hamas damit geschadet, sondern auch der Palästinensischen.

EIN GEFUNDENES FRESSEN

Für die ultra-rechte israelische Regierung war der Angriff ein gefundenes Fressen, um alle kritischen Stimmen mundtot zu machen, ihre eigenen Interessen mit unbeschreiblicher Brutalität durchzusetzen und dafür sogar noch einen Freifahrtschein von der internationalen Gemeinschaft zu bekommen. Solange bis irgendwann das Leid der Palästinenser wieder so groß geworden ist, dass im Namen der Demokratie und der Menschenrechte Israel zur „Mäßigung“ aufgerufen wird. Wie lange es diesmal dauern wird, bis dieser Zeitpunkt kommt, ist noch nicht absehbar und stark von der internationalen Friedensbewegung abhängig. Absehbar ist allerdings, dass die israelische Regierung unter Netanyahu und Galant diesen Freifahrtschein bis zum bitteren Ende nutzen wird. Während Galant von einem Krieg gegen „menschliche Tiere“ spricht, deutet Netanyahu an, die gesamte Region zu transformieren. Die israelische Regierung hat jetzt schon eine totale Blockade über den Gaza-Streifen verhängt, sodass kein Wasser, Strom oder Lebensmittel nach Gaza gelangen können und sich eine humanitäre Katastrophe anbahnt. Die kollektive Blockade lebensnotwendiger Güter ist nach internationalem Recht zweifelsfrei ein Kriegsverbrechen. Es war eines der Hauptargumente, um dem Assad-Regime Kriegsverbrechen vorzuwerfen. Als die russische Armee im letzten Winter massive Angriffe auf die ukrainische Elektrizitäts- und Wasserversorgung durchführte, bezeichnete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dies als Kriegsverbrechen und „Terrorakt“. Im Falle Israels scheint das nicht zu gelten. Hier wird der „Terrorakt“ zur legitimen Selbstverteidigung.

DIE STIMMEN DER KRIEGSMINISTER

Die israelische Luftwaffe bombardiert täglich den Gazastreifen, sodass ganze Häuserblocks zusammenklappen. Die meisten Aufnahmen dazu veröffentlicht Israel selbst und es ist klar, dass der gesamte Gazastreifen Ziel der Bombenangriffe ist. Außerdem tauchen immer mehr Aufnahmen von israelischen Kampfjets auf, die unter ihren Flügeln nur frei fallende Bomben und keine „Hochpräzisionswaffen“ tragen, die normalerweise für gezielte Angriffe auf feindliche Ziele eingesetzt werden. Gleichzeitig bereitet sich Israel auf eine Bodenoffensive vor, um eine Kollektivbestrafung an der palästinensischen Bevölkerung durchzuführen. Die große Bevölkerungsdichte des Gazastreifens, wo auf einem kleinen Gebiet über 2 Mio. Menschen leben, lässt die humanitären Folgen einer solchen Offensive kaum abschätzen. Die israelische Regierung rief die Bevölkerung im Norden von Gaza zur Evakuierung und warf Flugblätter auf Arabisch über dem Gaza ab.

Die UN erklärte dazu, dass die geforderte Versetzung von über 1 Mio. Menschen mit „katastrophalen humanitären Konsequenzen“ einhergehen werde. Sogar Verbündete wie die USA und die EU bezeichneten die Forderung Israels als „unrealistisch“. Die israelische Regierung ist sich auch bewusst, dass alle Grenzen zu sind und die Menschen im Gazastreifen auch keine Fluchtmöglichkeiten haben. Nichtsdestotrotz treibt die israelische Regierung die Vorbereitungen für die Bodenoffensive weiter voran. Laut Tel Aviv stehen Hunderttausende Soldaten bereit. Die USA und England kündigten die Entsendung von Flugzeugträgern in die Region an und die US-Regierung verlegte in den letzten Tagen zusätzliche Marines-Einheiten sowie mehrere Staffeln von Kampfjets in die Region. Außer des Konfliktgebiets rund um Gaza laufen auch auf anderen Fronten Auseinandersetzungen. An der libanesischen Grenze kommt es permanent zu gegenseitigem Beschuss zwischen der Hisbollah und der israelischen Armee. An der syrischen Grenze attackierte die israelische Luftwaffe die syrischen Flughäfen von Aleppo und Damaskus als Reaktion auf den Raketenbeschuss der (völkerrechtlich zu Syrien gehörenden) Golanhöhen. Außerdem soll der Iran über Vermittler die israelische Regierung scharf vor einer Bodenoffensive in Gaza gewarnt haben. Eine lange Zeit nicht dagewesenes Konfliktpotential im Nahen Osten und eine weltweite Kriegsstimmung machen sich breit, die Stimmen der Kriegsminister übertönen das palästinensische Leid.  Nur dürfen wir nicht zulassen, dass ihre Stimmen unseren Ruf nach Frieden übertönen.

DIE EINZIGE LÖSUNG IST UND BLEIBT: FRIEDEN

Doch dieser Ruf nach Frieden ist noch zu schwach. Die einen schweigen aus Angst, den anderen fehlt der politische Kompass. Dabei müssen wir nur verstehen, was dieser Krieg überhaupt bedeutet. Während vor den Ereignissen die Regierung Netanyahus im eigenen Land als antidemokratisch kritisiert wurde und es massenhafte Proteste gegen die Justizreform gab, wurden diese durch den Krieg beiseitegeschoben. Dieser Krieg bedeutet die Festigung und den Erhalt der faschistoiden Regierung Netanyahus. Die Aktien von Rheinmetall sind in den letzten 5 Tagen um satte 20% gestiegen. Dieser Krieg bedeutet Profite für die westlichen Rüstungsunternehmen.

Er bedeutet Zerstörung, zahllose zivile Opfer auf beiden Seiten und noch mehr Spaltung.

Wer in diesen Zeiten „I stand with Israel“ schreit, schreit nach Krieg. Solidarität mit der Nation Israel bedeutet Solidarität mit den israelischen Rechten, mit der faschistoiden Regierung Netanyahus. Wer solidarisch mit der israelischen Bevölkerung sein will, kann nicht solidarisch mit der Nation Israel sein. Das Ende des Krieges, das Ende des Besatzungsregimes, das Ende des Siedlungsbaus, das Ende des Apartheidsregimes und die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Palästinenser sind Voraussetzung für ein friedliches Leben, sowohl für die palästinensische als auch die israelische Bevölkerung.

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