Yusuf Karadaş
Während die Türkei die Frage diskutierte, warum das für den 9. Mai angekündigte Treffen zwischen Präsident Erdoğan und US-Präsident Biden verschoben wurde, hat die Regierung Erdoğan eine weitere von den USA gestellte Hausaufgabe erfüllt: Der Minister für Energie und natürliche Ressourcen, Alparslan Bayraktar, der sich zu besagter Zeit in den USA aufhielt, gab auf seinem Social-Media-Konto X bekannt, dass zwischen dem türkischen Unternehmen BOTAŞ und dem US-amerikanischen ExxonMobil, dem größten Energiemonopolisten der Welt, ein Abkommen über den Kauf von LNG (Flüssigerdgas) unterzeichnet wurde. In den kommenden 10 Jahren werden jährlich 2,5 Millionen Tonnen LNG im Wert von ca. 1,1 Mrd. Dollar von ExxonMobil geliefert. BOTAŞ (Boru Hatları ile Petrol Taşıma Anonim Şirketi), ist ein 100 % staatliches Unternehmen im Bereich Öl- und Erdgastransport und im Gashandel tätig. Botaş betreibt ein Erdgasleitungsnetz mit einer Gesamtlänge von ca. 4650 km und ein Ölleitungsnetz von insgesamt 2297 km.
Vor der Unterzeichnung des Abkommens hatte Energieminister Bayraktar am 28. April gegenüber der britischen Zeitung Financial Times erklärt, dass Gespräche mit ExxonMobil „zur Diversifizierung der Gasversorgung“ geführt würden. Dieser Aussage folgte die Erklärung des Vize- US-Außenministeriumssprechers, Vedant Patel, dass sie „alle Länder in der Region ermutigen, ihre Energiequellen zu diversifizieren und ihre Energieabhängigkeit von Russland zu verringern“. Die Türkei als Transrapid-Land des Gasprojektes „Südlicher Gaskorridor“ mit ihrem Vorzeigeprojekt TANAP (Transanatolische Erdgaspipeline) spielt beim Transport von Gas aus Aserbaidschan nach Europa eine sehr wichtige Rolle bei der Diversifizierung der Energieversorgung Europas und der Unabhängigkeit von Russland.
Laut einem aktuellen Bericht der TSKB, Industrial Development Bank of Turkey, deckt die Türkei etwa 27 Prozent ihres Energiebedarfs aus Erdgas und ist zu 99 Prozent von ausländischen Quellen abhängig. Die Daten (https://www.tskb.com.tr/uploads/file/enerji-gorunumu-2023.pdf), zeigen, dass das Wahlversprechen von Erdoğan, bald für „kostenloses Erdgas“ für die Bevölkerung zu sorgen, nicht mehr als ein Traum ist.
Die Türkei importiert 39 Prozent ihres Erdgases aus Russland, 15 Prozent aus Aserbaidschan, 11 Prozent aus Algerien und 11 Prozent aus dem Iran. Während der Anteil der LNG-Importe aus den USA im Jahr 2020 bei 6 Prozent lag, stieg dieser Anteil auf 8 Prozent im Jahr 2021 und 10 Prozent im Jahr 2022. Der Vertrag mit ExxonMobil ist daher sinnvoll, um die Abhängigkeit von Russland zu verringern und sie durch die USA zu ersetzen. Mit anderen Worten: Im Gegensatz zu Minister Bayraktars Behauptung der „Diversifizierung“ und der Schaffung von Handlungsspielraum für die Türkei, sorgt dieses Geschäft für mehr Abhängigkeit vom US-Imperialismus im Energiebereich.
Es ist bekannt, dass die Regierung Erdoğan aufgrund ihrer wirtschaftlichen und politischen Notlage seit einiger Zeit versucht, sich den USA und den westlichen Imperialisten anzunähern und diesbezügliche Schritte zu unternehmen.
Nachdem die Türkei der NATO-Mitgliedschaft Finnlands und Schwedens zugestimmt hatte, räumten die USA die Hindernisse für den Verkauf von F-16-Kampfjets an die Türkei aus dem Weg und der Verhandlungsverkehr zwischen der Türkei und den USA beschleunigte sich. Insbesondere die Ankündigung, dass die USA ihre Streitkräfte aus dem Irak und Syrien abziehen würden, sorgte für große Aufregung in der Erdoğan-Regierung und ebnete den Weg für die Erwartung einer neuen Rolle der USA in der Region, insbesondere beim Ausgleich mit dem Iran und für die „Genehmigung“ neuer Operationen gegen die Kurden. Vor dem Hintergrund der neuen Polarisierung und des Kampfes um Souveränität, die durch den Ukraine-Krieg entstanden sind, liegt die Priorität des US-Imperialismus jedoch nicht im Nahen Osten, sondern in der Stärkung der NATO-Präsenz am Schwarzen Meer und im Kaukasus sowie in der Einkreisung Russlands mit stärkerer türkischer Beteiligung.
Hier müssen wir unsere Aufmerksamkeit wieder auf den Zusammenhang dieser jüngsten Entwicklung mit dem Besuch von Erdoğan in den USA richten. Erdoğan hatte für den 8. und 9. Mai Treffen mit Biden angekündigt, die vom Sprecher des Weißen Hauses, Kirby, mit den Worten „Es ist nichts geplant“ auf einen „späteren Zeitpunkt“ vertröstet wurde. Dass diese Vertröstung unmittelbar mit der pro-israelischen Lobby zusammenhängt, die vor den US-Wahlen wegen der Beziehungen Erdoğans zur Hamas Druck auf die Regierung Biden ausgeübt hat, ist nicht zu übersehen. Wenn man jedoch bedenkt, dass selbst ein „vorübergehender Waffenstillstand“ ausreichen würde, um die türkisch-israelischen Spannungen zu verringern und das türkische „Wirtschaftsembargo“ gegen Israel aufzuheben, kann man sagen, dass die Erwartungen der USA von der Türkei, eher konkretere Schritte insbesondere gegen Russland beinhalteten.
An dieser Stelle ist auch es notwendig, auf den Zusammenhang zwischen diesen Entwicklungen und der „Verschiebung“ des Putin-Besuchs in der Türkei vor einigen Monaten hinzuweisen. Zunächst war angekündigt worden, dass Putin die Türkei im Februar besuchen würde, doch dann wurde bekannt, dass dieser Besuch aus nicht genannten Gründen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden soll. Es besteht kein Zweifel daran, dass Putins Regierung die Entscheidungen und Entwicklungen der Türkei genau verfolgt und selbst wenn sie keine Haltung einnimmt, die auf eine direkte Konfrontation mit der Erdoğan-Regierung abzielt, lässt sie diese nicht unbeantwortet. Denn Russland ist nicht nur einer der wichtigsten Erdöl- und Erdgaslieferanten der Türkei, sondern kooperiert auch militärisch und politisch mit der Türkei, insbesondere in Syrien und Berg-Karabach („Armenien-Aserbaidschan-Konflikt“). Daher hält es wichtige Trümpfe in der Hand, um die Regierung Erdoğan in wirtschaftlichen, politischen und militärischen Bereichen unter Druck zu setzen.
Die Regierung Erdoğan versucht, auf zwei Hochzeiten zu tanzen aber vergisst, dass mit Feuer zu spielen nie gut enden kann. Die Antwort der türkischen Bevölkerung auf Bidens und Putins Absichten und der Spiele der Erdoğan-Regierung muss ein antiimperialistischer und demokratischer Weg für eine friedliche Zukunft sein.