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Frieden – trotz alledem ohne Waffen!

Nach über einem Jahr Krieg in der Ukraine ist vieles, was für fest und unverrückbar galt, in Bewegung geraten. Das deutsche Kapital befindet sich inmitten kritischer Diskussionen über seine eigene Zukunft, die fast schon einem Chaos gleichen und gelegentlich den Anschein erwecken, einer eigenständigen Großmachtpolitik perspektivlos gegenüber zu stehen. Der für sicher gehaltene Weg, das eigene Schiff der EU zwischen den großen Rivalen in Europa, zwischen Washington und Moskau, zwischen NATO-Mitgliedschaft und dem Kauf preisgünstiger russischer Energie, zu manövrieren, musste zumindest vorläufig den Anker werfen.

Die ungewisse Zukunft der deutschen Wirtschaft spiegelt sich derweil in jenen Kräften wider, die sich selbst als „fortschrittlich“ bezeichnen. „Linke“ fordern Bomben gegen Moskau, grüne Ex-Pazifisten dissen alle, die „Frieden ohne Waffen“ fordern. Der Krieg als ihre wohl wichtigste Prüfung spaltete seit dem 24. Februar linke Parteien, Organisationen und Bewegungen in viele kleine Einzelteile. Strömungen in der Linkspartei gingen in offene NATO-Gläubigkeit über und unterstützten den Kriegskurs der Bundesregierung bedingungslos. Andere Strömungen machten keinen Hehl daraus, die Kriegspolitik Moskaus zu rechtfertigen oder zumindest vom geeinten Interesse der deutschen Wirtschaft und der deutschen Bevölkerung gegen die Sanktionen in Zeiten von Krise zu mobilisieren, wie Wagenknecht immer wieder betonte.

Nun wurde auch die traditionelle Friedensbewegung mit dieser sie irritierenden Situation überfordert. Nicht die NATO begann einen Krieg, sondern Russland. Russland, mit dem man sich erhoffte, eine ewige Freundschaft schließen zu können. Immer noch scheint der Glaube in den traditionellen Kräften der Friedensbewegung fest, die Hegemonie der Washingtoner Kriegstreiber durch ein Bündnis mit Moskau und Peking zu brechen, um so das multipolare Paradies des ewigen Friedens auf Erden einläuten zu können.

Ohnehin ist die wohl einzige direkte Forderung, die die Friedensbewegung den kriegstreiberischen Schreihälsen von Baerbock bis Kiesewetter entgegen halten kann, die nach Verhandlungen. Verhandlungen zwischen den imperialistischen Kräften, das war die inhaltliche Quintessenz der „Aufständischen für Frieden“. Vernunft statt Waffen, das ist es, was die Herrschenden lernen müssten. Dabei kann die taktisch richtige Forderung nach Verhandlungen nur Mittel sein, die Kriegstreiber im eigenen Land zu demaskieren und Druck gegen sie aufzubauen. Nie aber darf der illusorische Glauben an eine bessere Bundesregierung gestärkt werden. Denn verhandeln werden die Kriegstreiber so oder so, wenn die Zeit des „Interessenausgleichs“ reif oder zumindest vorher kein Dritter Weltkrieg ausgebrochen ist. Warten wir ab, was Scholz und Biden währenddessen im stillen Kämmerchen planen.

Die große Lehre des Krieges in der Ukraine müsste doch eigentlich diese sein, dass das System, das wir Kapitalismus nennen, an immer gefährlichere Grenzen stößt. Verheizt werden Hunderttausende von Soldaten und Zivilisten, um am Ende herauszufinden, welchem Herrn die Überlebenden zu dienen haben. Die Frage ist doch: Hat das werktätige Volk in der Ukraine, haben die Angestellten, die Bäuerinnen und Bauern, Rentner, Schüler und Studierenden überhaupt noch eine eigene Wahl über ihre Zukunft? Und warum müssen wir Werktätigen in Deutschland den Preis für diesen Krieg, den Preis für die massive Aufrüstung, den Preis für die sozialen Folgen zahlen?

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