Written by 14:00 DEUTSCH

GDL und Lufthansa: Streikende im Verkehrssektor setzen neue Maßstäbe!

Yakup Dost

Die Reisenden in Deutschland hatten es bekanntlich in den letzten Monaten nicht einfach, denn vom Lufthansa Kabinenpersonal über die Arbeiter der Luftsicherheit bis hinzu den Beschäftigten im ÖPNV und der Deutschen Bahn waren breite Transportarbeitermassen abwechselnd in den Streik getreten. Doch noch schwerer war es gerade für jene Streikenden, denn sie mussten über sich ergehen lassen, wie mit einem medialen Dauerfeuer versucht wurde, die Bevölkerung gegen sie aufzubringen. Doch die Kolleginnen und Kollegen waren und sind standhaft, weshalb die ersten es auch schon erreicht haben, ihre Forderungen durchzusetzen.

Den härtesten Kampf in der jüngsten Zeit führten die in der Deutschen Bahn (DB) arbeitenden Mitglieder der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Was wurde der GDL nicht alles vorgeworfen? Sie würden einen Machtkampf auf dem Rücken der Bahnkunden führen, sie würden auf Maximalforderungen beharren und eigentlich ginge es GDL-Vorsitzenden Weselsky nur um sein Ego. Und die Politik sprang dem Vorstand der bundeseigenen DB zur Seite, statt sie für das Hochtreiben der Tarifauseinandersetzung zu maßregeln. So mischten sich Politiker mit Aufrufen zur Mäßigung, die hauptsächlich Druck auf die GDL erzeugten, in die sonst von ihnen so oft hochgelobte Tarifautonomie ein und diskutierten gar ernsthaft über die Einschränkung des Streikrechts.

Doch dieser „heftige Widerstand der DB“ war „letztendlich unnütz“, so die GDL, denn trotz dieser allseitigen Angriffe schafften es die Kolleginnen und Kollegen, unter anderem ihre Forderung nach einer Absenkung der Wochenarbeitszeit von Schichtarbeitern auf 35 Stunden ohne Entgeltreduzierung durchzusetzen. „Mit dem Tarifabschluss haben wir einen historischen Durchbruch erzielt und sind somit beispielgebend auch für andere Gewerkschaften in diesem Land“, so Weselsky.

Auch wenn die 35-Stunden-Woche seit Jahrzehnten in der Industrie Gang und Gebe ist, ist dieser Abschluss in der Hinsicht historisch, dass die 35-Stunden-Woche seit gut dreißig Jahren eben nur in der Industrie durchgesetzt war und nun auch im Verkehrssektor Einzug erhält; beispielgebend für andere Gewerkschaften ist der Abschluss dadurch, dass er gezeigt hat, dass es einen entschlossenen Kampf braucht, um die 35-Stunden-Woche zu erringen – in diesem Fall nichts weniger als den längsten Streik in der Geschichte der DB.

Auch bei Lufthansa wurde gestreikt

Doch nicht nur bei der Bahn brodelt es. Ebenso ist die Unruhe bei den Beschäftigten in der Luftfahrt groß, insbesondere im Lufthansa-Konzern (LH). In diesem laufen Tarifverhandlungen von gleich drei Gewerkschaften: Der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di: Bodenpersonal, Cargo, Technik), der Vereinigung Cockpit (VC: Piloten) und der Unabhängigen Flugbegleiter Organisation (UFO: Kabinenpersonal).

In all diesen Beschäftigungsfeldern musste erst gestreikt und darüber hinaus Schlichtungsverfahren durchlaufen werden, um den LH-Vorstand zu Einigungen bewegen zu können. So stimmen die in der ver.di organisierten Bodenbeschäftigten – mit deren Arbeitskampf übrigens die UFO wiederholt ihre Solidarität bekundet hat – aktuell über eine Schlichtungsempfehlung ab, die ein zum 1. Januar 2024 rückwirkendes Lohnplus von 7 Prozent, mindestens jedoch 280 Euro, und von 150 Euro zum 1. März 2025 umfasst.

Die VC und UFO befinden sich nicht nur in Tarifauseinandersetzungen für das LH-Stammpersonal, sondern kämpfen bei der 2021 gegründeten Lufthansa-Tochtergesellschaft „EW Discover GmbH“ um die Einführung von Tarifverträgen überhaupt. Diese Auseinandersetzung macht besonders, dass sich die VC für einen ungewöhnlichen Schritt entschied: Um ihren dreitägigen Warnstreik vom Februar bei der Discover zu stärken, rief sie Langstreckenpiloten der Lufthansa zu einem vierstündigen Solidaritätsstreik auf. Auch wenn dieser Solidaritätsstreik lediglich fünf Abflüge betraf, ist ein solcher Schritt ein wichtiges Zeichen nicht nur in Richtung des LH-Vorstandes, sondern auch für die Arbeiterklasse, die dadurch daran erinnert wird, dass solche Streiks auch im Rahmen des begrenzten deutschen Streikrechts möglich sind.

Infrastrukturstreiks

Dass sich Streiks im Verkehrssektor nicht mehr nur auf einzelne Betriebe oder Tarifgruppen beschränken, ist bereits seit längerer Zeit zu beobachten. So führten im letzten Jahr DB-Mitarbeiter der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft einen gemeinsamen Warnstreik mit in der ver.di organisierten ÖPNV-Beschäftigten durch, der zurecht als „Infrastrukturstreik“ bezeichnet wurde. Darüber hinaus waren es ebenfalls die ÖPNV-Beschäftigten, die im Rahmen der Kampagne #wirfahrenzusammen ihre Tarifkämpfe mit der Klimabewegung Fridays For Future verbunden haben.

Man wird sich an dieser Stelle fragen: Wie kommt es eigentlich dazu, dass die Beschäftigten im Verkehrssektor trotz Angriffen von Arbeitgebern, Politik und Medien Solidaritätsstreiks und Arbeitszeitverkürzung durchsetzen? Sieht man von den einzelnen Besonderheiten (siehe bspw. unsere Analyse zur GDL) ab, befinden sich die Transportarbeiter in einer Lage, in der die Verkehrsunternehmen erst durch staatliche Milliardenhilfen aus der Pampe gezogen und die entsprechenden Vorstände sich für diese „gute“ Arbeit wiederum die Millionen in die Taschen füllen, während sie mit immer weiter steigenden Lebenshaltungskosten zu kämpfen haben.

Dies gilt natürlich auch für alle anderen Wirtschaftsbereiche. Der Unterschied jedoch ist, dass die Standortverlagerungen, mit denen die Arbeiter in der Produktion zu kämpfen haben, nur durch eine entsprechende Steigerung der Verkehrsleistung ermöglicht wird – Stichwort: Lieferketten. Gerade in der Pandemie hat sich gezeigt, wie wichtig die Arbeit der Verkehrsbeschäftigten für die Wirtschaft ist. Das wird sicher nicht an den Kolleginnen und Kollegen vorbeigegangen sein. Ob sie ihrer Macht bewusst geworden sind, lässt sich nicht abschließend sagen. Eines ist jedoch klar: Mit ihren jüngsten Tarifkämpfen haben die Transportarbeiter neue Maßstäbe gesetzt. Und das stimmt positiv.

Close