Taylan Ciftci
Am 5. Dezember wurden bundesweit ist über 80 Städten Aktionen durchgeführt. Friedensbewegte Menschen forderten im Vorfeld von Bundeshaushaltsverhandlungen im Bundestag Abrüstung statt Aufrüstung. Statt für Militär und Aufrüstung sollen Haushaltsgelder für Soziales ausgegeben werden. Doch sogar in einer pandemischen Situation hat es weltweit und auch in Deutschland nicht dazu geführt, dass die Regierungen von ihrem Willen zur Aufrüstung ablassen. Wir haben mit Dr. Markus Gunkel über die Friedensbewegung und ihre Aktivitäten gesprochen. Dr. Gunkel ist Vorsitzender des Vereins „Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung e. V.“ (www.hamburgerforum.org).
Wie geht es mit Abrüsten statt Aufrüsten weiter?
Die nächste größere Aktion, die wir vorbereiten, ist der Ostermarsch 2021. Auch dort wird die Forderung „Abrüstung statt Sozialabbau“ eine wichtige Rolle spielen. Da kann sich jede und jeder dran beteiligen, dass das wieder eine große Aktion wird.
Es gibt zudem weitere friedenspolitische Initiativen, an denen wir beteiligt sind. Zurzeit wird eine Volksinitiative gegen Rüstungsexporte über den Hamburger Hafen vorbereitet. Und es gibt Aktionen für einen Beitritt der Bundesrepublik zum Atomwaffenverbotsvertrag. Dieser Vertrag tritt am 22. Januar in Kraft. Wir bereiten eine Kundgebung zur Feier dieses Ereignisses vor.
Bei all diesen Aktionen gegen den Rüstungswahnsinn geht es auch immer um die Forderung, die für Mordinstrumente verschwendeten Gelder sinnvoll einzusetzen.
Wie kann man es möglich machen, dass die Regierung ihre Politik ändert?
Die neoliberale Politik der Bundesregierung hat dazu beigetragen, dass Corona das Gesundheitssystem an den Rand des Zusammenbruchs bringen konnte. Und obwohl die medizinische Versorgung immer unzulänglicher und die Situation der Beschäftigten in den Kliniken immer unerträglicher wird, werden Privatisierung und Konzentration im Gesundheitswesen weiter fortgesetzt.
Aus unserer Sicht handelt die Regierung unverantwortlich, wenn sie die Rüstungsausgaben weiter erhöht. Mit dieser Einschätzung stehen wir auch nicht allein. Es gibt seit einiger Zeit die bundesweite Initiative „Abrüsten statt aufrüsten“; auch wir beteiligen uns daran und sammeln Unterschriften für eine Änderung der Politik.
Um die Bundesregierung von ihrem Hochrüstungskurs abzubringen, bedarf es breiter gesellschaftlicher Bündnisse. Es ist erfreulich, dass sich die Gewerkschaften wieder stärker in der Friedensbewegung engagieren. Bei unserer Kundgebung am 5. Dezember sprach auch Berthold Bose, der ver.di-Landesleiter. Er rief die Gewerkschaftsmitglieder dazu auf, sich in Friedensinitiativen zu engagieren.
Nach Angaben von SIPRI sind die weltweiten Rüstungsausgaben auch dieses Jahr wieder enorm gestiegen. Wie bewerten sie die Situation und die Entwicklung, in der wir uns weltweit befinden?Wir erleben derzeit ein weltweites Versagen der neoliberalen politischen und wirtschaftlichen Eliten. Sie sind nicht in der Lage, zur Lösung der globalen Probleme beizutragen. Denken wir etwa an die absolut unzureichende Politik zur Begrenzung der Erderwärmung und zur Eindämmung des Artensterbens. Oder an die in der UNO beschlossenen Ziele für eine nachhaltige Entwicklung. Mit der Corona-Pandemie ist in vielen Ländern die Zahl der unter extremer Armut leidenden Menschen wieder stark angestiegen. Das UNO-Ziel, die weltweite Armut zu besiegen, ist in weite Ferne gerückt.
Die Bundesregierung verschleudert Milliarden zur Rettung unsozialer und unökologischer Großkonzerne. Die Lufthansa einfach mit Regierungsgeld weitermachen zu lassen, ist absurd. Die Regierung pumpt auch Geld in gigantische Hochrüstungsprogramme, um den Profit der Rüstungskonzerne zu sichern, und verkauft das als Corona-Hilfe.
Die Milliarden, die für Rüstung ausgegeben werden, stehen für sinnvolle Dinge nicht mehr zur Verfügung und verschärfen sogar noch die Probleme. Die Bundeswehr ist an vielen Kriegen beteiligt. Kriege machen in den betroffenen Ländern eine sinnvolle gesellschaftliche Entwicklung unmöglich.
Würdest du der Aussage zustimmen, dass die Friedensbewegung, die in Deutschland eigentlich eine starke Basis hat, nicht stark genug ist angesichts dieser Entwicklung?
Umfragen belegen, dass große Mehrheiten der Bevölkerung gegen Rüstungsexporte oder für den Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag sind. Dies zeigt, dass die Argumente der Rüstungsbefürworter auf wackligen Beinen stehen. Gesellschaftliche Widersprüche lassen sich mit Geld nur begrenzt übertünchen. Auf der Seite der Friedensbewegung stehen gute Argumente und Konzepte zur Lösung der oben erwähnten Probleme.
Aber die Ablehnung der Aufrüstung bedeutet noch kein politisches Engagement in der Friedensbewegung. Wir haben als Hamburger Forum dazu beigetragen, dass das Know-how aus den 1980er Jahren, als die Friedensbewegung eine Massenbewegung war, nicht verloren ging. Jüngere Menschen engagieren sich heute eher auf anderen politischen Feldern, insbesondere der ökologischen Krise und für Flüchtlinge. Wir bemühen uns hier um Zusammenarbeit.
Es wird eines langen Atems bedürfen, um in Deutschland und weltweit Abrüstung als Voraussetzung zur Lösung gesellschaftlicher Probleme durchzusetzen. Da ist auch jede und jeder Einzelne gefordert, sich als Subjekt der Geschichte zu begreifen und sich tatkräftig zu engagieren – auch wenn der Gegner übermächtig erscheint.
Auch wenn die Beziehungen zwischen den Regierungen Deutschlands und der Türkei von Zeit zu Zeit angespannt sind, geht der Verkauf von Waffen in hohem Tempo weiter. Wie bewerten Sie die Lieferung von Waffen in instabile Regionen?
Es ist eine Schande, dass die Bundesregierung Erdogan mit Waffen und Geld unterstützt, damit er die Zahl der Flüchtlinge nach Europa klein hält. Da werden die vielzitierten europäischen Werte mit Füßen getreten, mit tödlichen Folgen für Tausende Menschen.
Es wird ein Land unterstützt, das im eigenen Land Krieg gegen die KurdInnen führt, als Regionalmacht Konflikte anheizt und Teile Nordsyriens und Nordiraks völkerrechtswidrig besetzt. Zu all dem schweigt die Bundesregierung, und sie hält an der Unterstützung der Türkei fest.
Die Türkei ist eines der Länder, die in großem Umfang deutsche Waffen importieren. Wir fordern den sofortigen Stopp dieser Rüstungsexporte. Auch darum unterstützen wir die Hamburger Volksinitiative gegen Rüstungsexporte.
Und wir stehen an der Seite der demokratischen Opposition in der Türkei und sind solidarisch mit den nach Deutschland vor der Repression geflüchteten Menschen.