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Antibiotikaresistenz – Gefährlicher als Coronavirus?

Aylin Melis Ayyildiz

Wir befinden uns schon im neunten Monat der Covid-19-Pandemie. Die politische und gesellschaftliche Atmosphäre ist bereits angespannt. Die Zahl der positiv getesteten steigen weiter und der Lockdown wird ständig härter und verlängert. In dem Zusammenhang gibt die Welternährungsorganisation (FAO) auch hier keine Entwarnung. Ganz im Gegenteil spricht sie eine Warnung aus, was antibiotikaresistente Bakterien angeht und in dem ganzen Corona-Getummel unterging: Die Warnung:Dieser Fokus sei zu einseitig. In einer Stellungnahme schätzt die Welternährungsorganisation, die Antibiotikaresistenz von Bakterien könne für die Menschheit „potentiell noch gefährlicher sein, als Covid-19“. Immer mehr Bakterien seien Antibiotika resistent, was eine noch dramatischere Pandemie als Konsequenz haben könnte.

Antibiotikaresistenzen liegen in denjenigen Fällen vor, wenn kein Antibiotikum mehr gegen einen bestimmten Erreger mehr hilft. Dies kann die globale Gesundheit, die Lebensmittelversorgung und die wirtschaftliche Entwicklung an sich gefährden. Schon heute würden mindestens 700.000 Menschen im Jahr auf der Welt an den Folgen antibiotikaresistenter Infektionen sterben. „Wenn dem nicht Einhalt geboten wird, könnte die nächste Pandemie eine bakterielle sein – und viel tödlicher“, sagte FAO-Generaldirektorin Maria Helena Semedo.

Doch bevor man jetzt in Panik gerät: Ähnlich wie bei Corona gelten die durch Antibiotikaresistenzen verursachten Todesfälle als vermeidbar. Zum einen ist mittlerweile klar, dass Ärzte viel zu häufig Antibiotika verschreiben. Allein in den Vereinigten Staaten gilt jedes dritte verschriebene Antibiotikum als unnötigerweise verschrieben. In Deutschland verhält es sich nicht anders. Eine Forsa-Umfrage, die von der Krankenkasse DAK beauftragt wurde, erwarten 72 Prozent der Patienten, dass ihr Hausarzt ihnen bei einer Erkältung ein Antibiotikum verordnet, wenn die Symptome nicht schnell von selbst besser werden. Und Ärzte verschreiben in diesen Fällen auch wider besseres Wissen die Medikamente. Grippale Infekte, Erkältungen und Grippe werden jedoch nicht von Bakterien, sondern von Viren ausgelöst – und gegen diese Erreger richten Antibiotika überhaupt nichts aus. Antibiotika sollte nur dann verschrieben werden, wenn auf die virale auch noch eine bakterielle Infektion dazukommt.

Auch die Landwirtschaft spielt eine große Rolle bei der Entwicklung von resistenten Bakterien. „In vielen Weltregionen werden mehr Antibiotika bei Tieren als bei Menschen eingesetzt“, kritisiert die Welternährungsorganisation. Um Krankheiten in der Massentierhaltung der Schweine- und Geflügelzucht zu vermeiden, wird bei den Tieren in großen Mengen Antibiotika eingesetzt. Obwohl in den letzten Jahren versucht wurde, den Antibiotika-Einsatz in der Tierhaltung zu reduzieren, ist die Lage in der Geflügelzucht immer noch dieselbe. Außerdem handelt es sich hierbei nicht um einfache Antibiotika, sondern sogenannten Reserveantibiotika. Diese Form der Antibiotika heißt zutreffend „Reserve“, da sie nur in den äußersten Notfällen zum Einsatz kommen sollten, nämlich wenn gewöhnliche Antibiotika nicht mehr wirken. Und weil eben diese Reservemittel die ganze Zeit verabreicht werden, um die vielen zusammengepferchten Masthühner und -puten auf kleinstem Raum ohne Erkrankungen züchten zu können. Denn sollte eines dieser Hühner erkranken, würde sich diese Krankheit bei dem begrenzten Raum und der unmittelbaren Nähe der Tiere, teilweise fast übereinandergestapelt, zu einer Masseninfektion entwickeln, was für den Landwirt selbstverständlich zu einem großen finanziellen Schaden führen würde. Also werden dem Futter der Tiere kurzerhand Antibiotika untergemischt. Für gewöhnlich geben Ärzte diese Form von Reserveantibiotika Menschen erst bei einer schweren Blutvergiftung. Was die Antibiotikaresistenz angeht, ist die Gefahr bei einer Erkrankung umso größer, dass Bakterien auch gegen diese sehr potenten Antibiotika Resistenzen entwickeln. Durch den Verzehr des Massentier-Hühnchens gelangen diese resistenten Bakterien in den Menschenkörper und es gibt keine Mittel, um sie zu bekämpfen. Der Trend in den Supermärkten geht zwar in Richtung Biofleisch und die Gesellschaft wird immer aufgeklärter, was gesunde und bewusste Ernährung angeht, doch selbst Bio ist nicht immer Bio. Auch in diesem Zweig der Branche gab es immer wieder Skandale in Bezug auf die Haltung der Tiere, so dass der Verbraucher sich nicht sicher sein kann, was er am Ende als fertiges Produkt bekommt. Und selbst wenn Biohühnchen immer zu 100 Prozent frei von Antibiotika wäre, würde das die Mehrheit der Menschen benachteiligen, da sie sich dieses teure Fleisch nicht leisten können. Diese Form der mittelbaren Diskriminierung ist ein intrinsischer Teil des Kapitalismus, der genau dieses System am Leben hält.

Selbst wenn in Deutschland die Resistenz-Situation im Vergleich zu anderen europäischen Ländern noch besser ist, nimmt auch hier die Zahl der Resistenzen gegen Antibiotika stetig zu. Ein vorsichtiger und besonnener Umgang mit dem Einsatz von Antibiotika ist in jedem Falle notwendig.

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