Alev Bahadir
Das Klinikum Nürnberg ist die größte kommunale Klinik Europas und ist in zwei Standorte im Norden und Süden Nürnbergs unterteilt. Neben ÄrztInnen, PflegerInnen uvm. arbeiten 1030 Personen im Service des Klinikums, z.B. in der Reinigung oder im Patiententransport. Im Jahr 2000 gliederte die Stadt Nürnberg den Servicebereich in eine Tochtergesellschaft aus, in die Klinikum Nürnberg Service GmbH (KNSG). Heute arbeiten nur noch 200 Kolleginnen und Kollegen für das Klinikum und somit im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD).
Im Klinikum Nürnberg 830 KollegInnen kämpfen für eine alte, aber nicht weniger aktuelle Forderung: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Wir haben uns mit Tezel Can, Patiententransport und Betriebsrätin, mit Hüseyin Kandemir, Reinigungsdienst und Betriebsrat und Joana Terborg, Gewerkschaftssekretärin bei Ver.di getroffen, um über ihren Kampf zu sprechen.
Könnt ihr uns einen kurzen Überblick über die Situation bei euch geben? Was sind Angebote von der Arbeitgeberseite?
Joana Terborg: Der Tarifvertrag der KNSG beinhaltet verschiedene Entgeltgruppen (EG). Die Mehrheit der Beschäftigten ist in der EG-Gruppe A, der untersten Stufe. Da liegt der Einstiegsstundenlohn bei 10,56 €. Jetzt hat der Arbeitgeber gemerkt, dass er unter Druck kommt und hat Ende 2020 von einer „freiwilligen“ Erhöhung gesprochen. Von der IG BAU wurde ein Branchenmindestlohn für Gebäudereinigung in Höhe von 11,11 € festgesetzt, der auch bindend für alle Beschäftigten der KNSG ist. Doch die Kolleginnen und Kollegen sagen natürlich mit Recht, dass sie keine Gebäudereiniger sind. Der Arbeitgeber versucht so, sich aus der Verantwortung zu ziehen über die Forderung zu verhandeln und behauptet nun, „Wir liegen ja sogar besser, als der Branchenmindestlohn“. Um ein paar Cent. Dabei ist aber klar, dass die Tätigkeiten nicht derjenigen in der Gebäudereinigung entsprechen.
Tezel Can: Ich habe im Juni 2006 hier angefangen. Damals hatte ich einen Stundenlohn von 7,84 €. Heute sind es, mit der Qualifizierung, die ich im Krankentransportdienst habe, mit dem, was der Arbeitgeber jetzt „freiwillig“ zahlen möchte, 11,87 €. Wenn wir uns das Angebot aber näher anschauen, stellen wir fest, dass die Steigerungen lächerlich sind. Vom Jahr 2023 auf 2024 würde sie sogar in der untersten Entgeltgruppe nur bei 10 Cent liegen. Mit dieser Lohnerhöhung kann man sich dann nicht viel kaufen.
Eine zentrale Forderung von euch ist die Rekommunalisierung der Service-GmbH, also die Wiedereingliederung der KNSG in das Klinikum mit TVöD für die Angestellten. Warum?
Tezel Can: Ich bin seit 15 Jahren im Betrieb. Jemand, der über TVöD angestellt wäre, würde in der Eingruppierung B monatlich Brutto 2810 € verdienen. Momentan verdiene ich jedoch 2012 € brutto. Das ist eine Differenz von ca. 800 €. Es gibt natürlich noch weitere Rechte, den der Manteltarifvertrag des öffentlichen Dienstes beinhaltet z.B. die betriebliche Altersversorgung. Das haben wir gerade gar nicht und machen uns große Sorgen, dass das Geld im Alter nicht reichen wird.
Hüseyin Kandemir: Bei den Reinigungskräften gibt es ca. 40 bis 50 KollegInnen, die über den TVöD angestellt sind. Wir machen alle die gleiche Arbeit, aber diese KollegInnen bekommen etwa 2700 €, zusätzlich ein 13. Gehalt von 2700 € sowie Zuschläge und Zusatzrente. Wenn ich eine/n KollegIn der Lohngruppe A nehme, bekommt dieser ca. 1300 € im Monat. Stellen wir uns nun eine alleinstehende Frau mit Kindern vor. Davon müssen Miete, Stromkosten und viele andere Rechnungen bezahlt werden. Wir müssen an die Zukunft unserer Kinder denken. Wenn ich in Rente gehe, bekomme ich etwa 600 € Rente.
Joana Terborg: Altersarmut ist ein großes Thema im Betrieb. Viele beziehen bereits jetzt schon Wohngeld. Dass sie in Altersarmut landen und auf staatliche Gelder angewiesen sein werden, ist entwürdigend für sie und widerspricht dem, was sie möchten. Arbeitgeber und die Stadt berücksichtigen nicht, dass die Niedriglöhne von heute, die öffentliche Hand morgen belasten werden. Es geht darum, dass das Prinzip von Gleichbehandlung einfach gelten muss. Gleiche Arbeit – gleicher Lohn. Die Ausgliederung hat nicht wirklich ein eigenständiges Unternehmen geschaffen, wie immer behauptet wird. Es ist der gleiche Vorstand, die direkten Vorgesetzten sind alle identisch. Die Arbeit ist identisch. Nur der Lohn ist deutlich geringer und die Arbeitsbedingungen schlechter. Man sieht ganz deutlich: es geht schlicht um Lohndumping.
Im Wahlkampf 2019/2020 hat euch der jetzige Oberbürgermeister Marcus König (CSU) ein Versprechen gemacht.
Tezel Can: Es ging darum, dass in Fürth die Tochtergesellschaft wieder zurückgeführt wurde und die MitarbeiterInnen wieder in den TVöD eingegliedert wurden. Das war auch ein sehr langer Kampf, hat aber geklappt. Als das beim Wahlkampf angesprochen wurde, sagte der OB: Was Fürth kann, kann Nürnberg schon lange. Jetzt will er davon nichts mehr wissen, es sei kein Geld da. Für alles andere ist Geld da. Alle sprechen immer nur davon, dass wir besser bezahlt werden müssen.
Joana Terborg: Jetzt geht es darum, dieses Versprechen von der Politik einzufordern. Niemand ist so naiv, zu glauben, dass es von selbst passiert. Das Versprechen wurde gegeben, um WählerInnenstimmen zu bekommen. Um es einzufordern, brauchen wir nun die Auseinandersetzung und die Kraft. Wir müssen die richtigen Schlüsse aus der Pandemie ziehen. Dieses Ausgliedern, Kostensparen und Lohndumping im sozialen Bereich muss rückgängig gemacht werden. Wir beginnen hier in dieser Belegschaft. Denn sie ist kampfbereit. Und die Belegschaft der KNSG zeigt es nochmal deutlich: 70 % der Belegschaft ist weiblich. Ein Großteil hat eine Migrationsgeschichte. Hier geht es darum, die Lebensbedingungen zu verbessern.
In Ingolstadt ist beispielsweise erst im letzten Winter die vollständige Wiedereingliederung durchgesetzt worden. Auch Ingolstadt war Teil des bayrischen Verbunds der Servicegesellschaften, aber dort ist nach einer Sitzung des Stadtrats, in dem die KollegInnen die Situation vorgetragen haben, die Entscheidung gefallen: diese Ungerechtigkeit nehmen wir als gewählte VertreterInnen nicht länger hin. Dort gilt der vollständige TvöD rückwirkend seit dem 01.01.2021.
Tezel Can: Die heutige Lage macht es deutlich: arm macht krank. Wir machen die Arbeit, wir kommen mit allen menschlichen Sekreten in Berührung. Es ist nicht einfach, im Krankenhaus zu arbeiten. Unsere KollegInnen vom Reinigungsdienst leisten Großes. In der Öffentlichkeit heißt es immer: wenn ihr nicht wärt, wüssten wir nicht, was wir tun sollten und ihr seid unsere HeldInnen. Und dann diese Löhne! Das ist so widersprüchlich, das ist keine Anerkennung. Anerkennung ist natürlich auch Lob und Beifall. Aber Anerkennung zeigt sich in erster Linie so, dass man für seine Leistung einen angemessenen Lohn bekommt. Wir werden schlecht bezahlt und das demotiviert natürlich auch, wenn man sich ständig Sorgen machen muss, wie man über die Runden kommt. Oder wie man den Kindern einen Wunsch erfüllen, neue Schuhe oder einen Wintermantel kaufen soll. Wer kann denn schon mit 1300 € heutzutage mit zwei Kindern zurechtkommen? Die Mieten steigen hier in der Metropolregion genauso, wie überall anders. Alles wird teurer, während unsere Löhne nicht steigen.
Stichwort Anerkennung: ist dieses Jahr aufgrund der Pandemie vielleicht auch ein günstiges Jahr, um Arbeitskämpfe im Krankenhaus zu führen?
Tezel Can: Viele unserer KollegInnen aus dem weißen Bereich, also aus der Pflege, werden sich solidarisch mit uns zeigen, weil sie wissen, dass ohne uns auch ihre Arbeit gar nicht möglich ist. Der Patiententransportdienst wurde beispielsweise anfangs nur ganz klein betrieben. Nach und nach ist er ausgebaut worden. Wir haben uns auch qualifiziert, können z.B. Erste-Hilfe-Maßnahmen leisten. Ohne uns kann man sich das gar nicht mehr vorstellen, weil wir die Pflege entlasten. Dafür wurde der Patiententransportdienst auch gegründet – aber natürlich auch, um zu sparen. Unsere Löhne sind nämlich niedriger. Aber auch wir sind im Patientenkontakt. Wir sind genauso in Gefahr, uns zu infizieren. Das gilt auch für unsere KollegInnen von der Reinigung. Die betreten die Zimmer und reinigen und desinfizieren alles. Ich denke wir werden auf Verständnis stoßen, denn in den anderen systemrelevanten Berufen wird auch anders bezahlt. Der Lebensmittel-Discounter Norma beispielsweise bezahlt 12,50 € Stundenlohn für alle, auch ohne Vorkenntnisse und ohne Ausbildung.
Joana Terborg: Das ist eine Frage, die der Stadtrat politisch beantworten muss. Ob man es sich leisten möchte als Stadt Nürnberg, die einen Kodex für gute und faire Arbeit hat, so prekäre Arbeitsbedingungen zu bieten, dass man in gesellschaftlich so zentralen Bereichen wie dem Krankenhauspersonal sogar den Vergleich mit Norma oder der Reinigung in Privathaushalten scheuen muss? Relativ egal, welche Berufsgruppe im Krankenhaus wir anschauen: alle leiden unter diesem massiven Kostendruck. Das hat natürlich auch den Teamgeist in der Belegschaft geschwächt. Früher war es üblich, dass Reinigungskräfte fester Bestandteil des Teams waren. Als Reinigungskraft hat man damals 20 Jahre lang seine festen drei Stationen gereinigt. Die KollegInnen kannten also nicht nur das Team, sondern auch die Bereiche und die PatientInnen sehr genau. Das sind wichtige Faktoren in der Qualität der Arbeit und somit auch für die Sicherheit der PatientInnen. Heute bleiben die KollegInnen teilweise nur 6 Monate, weil sie es nicht länger aushalten und/oder wo anders besser bezahlt werden. Wir müssen dahin kommen, dass es wieder darum geht, als Gesamtbelegschaften in den Krankenhäusern gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen: ein Krankenhaus, eine Belegschaft. Als Gesellschaft müssen wir uns die Frage stellen: Wie wollen wir, dass im Krankenhaus gearbeitet wird? Und wie wollen wir oder unsere Angehörigen versorgt werden, wenn sie ins Krankenhaus müssen? Deshalb geht diese Frage uns alle und uns als Gesamtgesellschaft etwas an.
Ganz am Anfang wurde schon erwähnt, dass ihr Centbeträge angeboten bekommt. Welche Arbeitskämpfe plant ihr in Pandemiezeiten?
Hüseyin Kandemir: Seit 20 Jahren sind wir als KNSG, Betriebsrat und Gewerkschaft zum ersten Mal zusammen so stark. Ich denke, das ist unsere letzte Chance. Deshalb müssen wir all unsere Möglichkeiten nutzen, unseren Fall in die Öffentlichkeit zu tragen. Am Wochenende habe ich auch mit der Stadträtin Özlem Demir von der Linken gesprochen. Sie wollen und werden uns unterstützen. Wir haben auch darüber gesprochen andere Stadträte mit ins Boot zu holen.
Joana Terborg: Bis vor kurzem war die KNSG noch Teil eines bayernweiten Tarifverbundes. Daraus sind wir mittlerweile ausgeschieden. Von der Tarifkommission gab es danach einen klaren Beschluss, den Arbeitgeber zu Tarifverhandlungen aufzufordern – hier vor Ort, in Nürnberg. Das erhöht die Chancen auf eine starke Tarifauseinandersetzung, weil wir erstens hier stark aufgestellt und zweitens direkt vor Ort sind. Dann ist es viel einfacher, die KollegInnen dafür zu mobilisieren. Es geht um das eigene Haus, um den eigenen Arbeitgeber. Die Frage nach der Beteiligung am Arbeitskampf ist dann viel konkreter. Für viele kostet die Beteiligung an einem Arbeitskampf Mut und das hat auch was mit Vertrauen zu tun. Es ist was Anderes, wenn man zu einem Treffen geht, alle sich kennenlernen können, die Argumente und die Strategie hören kann und überzeugend findet. Und natürlich direkt mitdiskutieren und mitbestimmen kann. Das ist für eine starke Tarifauseinandersetzung ganz zentral und zudem eine grundlegende Erfordernis in politischen Prozessen. Wir werden ein Strategietreffen machen mit der Tarifkommission und Mitgliederversammlungen – hoffentlich in Präsenz, wenn die Situation es zulässt. Wir werden den 1. Mai nutzen und vieles mehr.