Imran Yildiz (Berlin) / Özgün Önal (Frankfurt)
Seit Beginn der Pandemie heißt es „Zuhause bleiben!“. Dem geht die Mehrheit der Menschen weitestgehend nach. Ein anständiges und sicheres Zuhause ist ein Grundbedürfnis. Während Menschen, die eine Wohnung haben, zu Hause bleiben können, um die Pandemie solidarisch zu bekämpfen, können sich Obdachlose auf den Straßen und Flüchtlinge in ihren Massenunterkünften kaum zurückziehen. In der Krise verschärft sich die soziale Frage und damit die Miet- und Wohnungskrise.
Genau mit diesem Thema, aber auch mit weiteren Themen, beschäftigte sich der Housing-Action-Day. In 70 Städten Europas fanden am 27. März 2021 verschiedene Aktionen statt.
Wohnungskonzerne vergesellschaften
Diese Aktion hatte vier wichtige Grundpfeiler. Im ersten geht es darum, jedem Wohnraum zu schaffen, Wohnungslose und Geflüchtete in leerstehenden Wohnungen oder Hotels unterzubringen; den immer steigenden Leerstand zu beenden und dessen Besetzungen zu legalisieren; Mehr Plätze in Frauenhäusern zu schaffen und Zwangsräumungen, Versorgungssperren und Kündigungen zu verhindern. Im zweiten Schwerpunkt sollen Mietschulden erlassen werden, beispielsweise sollen Wohnraum, Kleingewerbe, Kulturszene und soziale Zentren gesichert und Subventionen für Miethaie und Investoren abgeschafft werden. Der dritte Aspekt bezieht sich auf die steigenden Mietpreise und ist die Forderung nach einem Höchstmietpreis sowie Sonderabgaben von Wohnspekulanten zur Bewältigung der Corona-Krise. Die letzte Forderung ist ebenfalls eine Klare: Bodenspekulation beenden – Wohnungskonzerne vergesellschaften! Denn Wohnraum und Boden dürfen keine Ware sein.
Ein wichtiger Schritt dazu ist ein landesweiter Mietstopp für sechs Jahre. Denn nur so können bestehende Mieterinnen und Mieter jetzt geschützt werden. Während der sechsjährigen Pause müssen dringende Reformen angegangen werden: Zum Beispiel werden deutlich mehr neue bezahlbare Mietwohnungen und soziale Landrechte benötigt – da ständig steigende Grundstückspreise zu höheren Mieten führen.
Gentrifizierung und Wohnspekulation
Das Thema Wohnen hat sich in den letzten Jahren zu einem der zentralen sozialen Fragen in Großstädten entwickelt, vor allem in Ballungszentren wie in Berlin oder Frankfurt hat sich die Lage rasant zugespitzt. Die Jagd auf die gleichen Wohnungen haben stetig die Mietpreise in die Höhe getrieben. Ein Aufwertungs- und Verdrängungsprozess, welcher auch unter dem Begriff der Gentrifizierung zusammengefasst wird, waren die Folge. Familien aus sozial schwächeren Verhältnissen, die über Generationen hinweg in den Kiezen beheimatet waren, wurden plötzlich vor die Tür gestellt. Ihre ungewisse Zukunft sowie der verlorene Charme und der Duft der Bezirke prägten nun das Alltagsleben der Städte. All die beschriebenen Entwicklungen münden in einem generellen Konflikt, nämlich den zwischen Wohnen als eigenes Zuhause und Wohnen als Immobilie, dieser stellt auch den Kern des politischen Streites wieder. Hier stellt sich die Frage: sind beide Faktoren in Einklang zu bringen oder besteht gar ein Widerspruch? Beim Wohnen als eigenes Zuhause stehen vorrangig Aspekte im Vordergrund wie Gemütlichkeit, Nützlichkeit sowie Bedarfsorientiertheit, beim Wohnen als Immobilie vornehmlich in ökonomischen Kategorien gedacht Spekulation, Profitorientierung sowie die Ertragserwartung. Letzteres führe eben auch zu dem vermeintlichen Erfolgskonzept der großen Immobilienkonzerne wie Deutsche Wohnen, vermehrt billige Häuser in der Stadt zu kaufen, mit der Annahme durch Mietsteigerung höhere Erträge zu erzielen.
Mietendeckel – Mietenabsenken
Wie kann man diesem ganzen Mietenwahnsinn entgegenwirken? Durch jahrzehntelangen politischen Kampf und Druck hat man sich z.B. in Berlin einen Teil seiner Rechte zurück erkämpft. So trat der Berliner Mietendeckel als Landesgesetz im Februar 2020 in Kraft. De facto wurden damit zwei wichtige Steine ins Rollen gebracht: Zunächst wurden die Mieten für die nächsten 5 Jahre eingefroren, welcher einen enormen Einfluss auf die Eindämmung der Spekulation haben könnte, da der Aspekt der Ertragserwartung wegfällt und den Bürgerinnen und Bürger eine Verschnaufpause gibt, da sie für die nächste Zeit keine Mietsteigerungen zu erwarten haben. Der zweite wichtige Bestandteil des Gesetzes beschäftigt sich mit dem akuten Problem, der bereits aktuell zu hohen Mieten in Berlin. Hierbei ist das Gesetz in der Lage, durch einen Mechanismus, Mieten, die zu weit oberhalb der Mietobergrenzen liegen, abzusenken. Diese Regulierungsmaßnahmen trafen nicht nur auf Applaus in der politischen Landschaft, altbekannte Gegner aus den Reihen der Konservativen und Liberalen witterten gegen das Gesetz, in alter Polemik werden linke Bemühungen als „DDR ohne Mauer“ verunglimpft. Mit Hilfe der großen Immobilienkonzerne versuchen CDU und FDP auch juristisch gegen den Mietendeckel vorzugehen. Hierbei ist ein wichtiger Streitpunkt: die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes. Hat das Land Berlin überhaupt die Kompetenzen, so ein Gesetz zu verabschieden oder liegt die Kompetenz beim Bund? Mitte 2021 wird das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erwartet. All die beschriebenen Phänomene haben eine Grundsatzfrage innerhalb der linken progressiven Kräfte ausgelöst: Wie weit soll linke Stadtpolitik gehen? Ist der Griff zum Werkzeugkasten der Regulierung ausreichend wirksam genug oder sollte man ferner über Enteignung und Vergesellschaftung nachdenken?
Wohnen ist Grundrecht
Letzteres hat sich die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ auf die Fahnen geschrieben. Die Frage nach Grund und Boden soll hierbei per Volksentscheid entschieden werden, dabei berufen sich die InitiatorInnen auf einen bisher noch nie angewendeten Artikel, den Artikel 15 des GG.
Im Grundrechtskatalog des Grundgesetzes sind überwiegend politische Freiheitsrechte verankert, die Suche nach sozialen Grundrechten hierbei ist vergebens, bis auf die Unverletzlichkeit der Wohnung findet man keinen sonderlichen Bezug zum Thema Wohnen. Doch könnte genau da nicht die Ursache des Problems liegen? Sollte die Gesellschaft nicht schleunigst beginnen, Wohnen als ein Grundrecht anzusehen und es als Staatsziel zu definieren? Wohnen als Ware zu deklarieren, ist nicht mehr tragbar. Man sollte stattdessen beginnen, Wohnen ähnlich wie Bildung, Gesundheit, Wasser und Energie als öffentliche Daseinsvorsorge zu verstehen und diese letztlich in öffentliche Hand zu überführen.