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Keine kulturelle „Normalität“ nach der Pandemie!

Eren Gültekin

Wie oft war man 2020 im Kino, um sich einen Film anzuschauen, im Theater, auf einem Konzert oder im Club feiern? Die meisten – wenn überhaupt – das letzte Mal im Februar, vor dem ersten „Lockdown“ im Frühjahr. So erschienen im kulturellen Bereich alte und neue Alternativen stärker in den Vordergrund, die von Zuhause aus ermöglichen sollten, zumindest ein Gefühl von kulturellem Leben zu ermöglichen.

Netflix statt Kino, Spotify statt Konzerte

Nicht erst seit der Pandemie, bereits vorher zeichnete sich eine Tendenz für Homestreaming ab. Die günstigere Alternative zum Kino wurde oft benutzt, Quarantäne und Ausgangssperren wirkten wir Brandbeschleuniger. Streamingdienste statt Kino und Theater – sieht so die Zukunft aus? Es gibt unterschiedliche Untersuchungen rund um das Thema Online-Streaming-Dienste. Bei einer geht es darum, welche Einkommensgruppen am meisten Geld für Streaming ausgeben: Hier wird deutlich, dass vor allem untere Einkommensgruppen eher streamen, als live ins Kino zu gehen. Trotz der Anhebung der Preise für ein Premium-Abo z.B. bei Netflix mit der Begründung, wegen illegalen Nutzern rund 200 Millionen Dollar Verlust zu machen, gab es bereits im Vorjahr ein Zuwachs von Abonnenten. Anfang 2019 nutzten bereits 22,7 Millionen Menschen ein kostenpflichtiges Abo in Deutschland, ein Plus von 9 Prozent im Vergleich zu 2018. Im Vergleich dazu sank die Zahl der Kinobesucher um fast 14 Prozent auf 105 Millionen, das schlechteste Ergebnis seit vielen Jahrzehnten. Und das Corona-Jahr wird diese Tendenz verstärkt haben.

Die neue Entwicklung zwingt die Unterhaltungsindustrie zu einem Strategiewechsel. Disney + als Streamingdienst ist ein Beispiel. Auch die Erklärung von Warner Bros. Passt in dieses Bild: Der Filmgigant erklärte, dass sämtliche Filme im kommenden Jahr direkt online gestreamt werden, so geplant für „Matrix 4“ „Dune“ oder „Godzilla“ zeitgleich im Kino und zu Hause. Die Zahl der Stream Abos wird sich in den nächsten Jahren erhöhen, vor allem bei einkommensschwachen Haushalten.

Ähnliches gilt auch für die Musikbranche. 2019 wurden durch Konzerte, CD-Verkäufe und so weiter 11,1 Milliarden US-Dollar umgesetzt. Eine Studie, die im Rahmen des „Music Consumer Insight Reports“ des Bundesverband Musikindustrie gemacht wurde, liegt der Marktanteil von Musik-Streaming-Diensten in Deutschland derzeit bei 46,4 Prozent.

Stay at home, das Leben ist viel zu teuer für uns…

„Stay at home“ wurde zum Lebensmotto von vielen. Und für Arme und Geringverdiener ist die Aussage „Das Leben ist teuer“ im doppelten Sinne zutreffend. Man kann wertvolles Leben beschützen, wenn man zu Hause bleibt, aber auch Geld sparen, da man sich das teure Leben ehe nicht leisten kann. Somit wird dieser Trend vermutlich eine bleibende Angewohnheit werden. Das soll nicht heißen, dass es nach der Pandemie keine öffentlichen Veranstaltungen mehr geben wird und man nie wieder auf ein Konzert geht oder ein Kino besuchen wird. Aber Digitalisierung und Medienmonopole haben es in den letzten Jahren geschafft, Angebote für den Konsum zu schaffen, ohne dass der Konsument das Bedürfnis entwickelt, das Haus zu verlassen. Unter begünstigenden Lockdown-Bedingungen wird man sich schnell an das Konsumieren von zu Hause gewöhnen. Bereits vor der Pandemie war der Zugang zu Kultur stark vom Geldbeutel abhängig und nicht für jeden frei zugänglich. Wenn man noch berücksichtigt, dass in den letzten Jahren alternative Räume, kleine Kinos, Theater oder Musiklokale, die nicht auf Profitbasis betrieben werden, sowieso am Aussterben sind, schrumpfen auch die Alternativen. Somit gehören sie zu den größten Verlierern der Coronapandemie.

Fazit

Die Lebensumstände während dieser Zeit, an die wir uns mühsam gewöhnen müssen, verändern nicht nur unseren Alltag und Tagesablauf und das soziale Miteinander, sondern bewirken eine Kette von weiteren Abläufen, die gesellschaftliche Veränderung unumgänglich machen. Wenn das Miteinander und das Zusammenkommen eine Frage des Geldbeutels ist, wenn kulturelle Betätigung nur für finanziell abgesicherte Schichten zur Verfügung steht, wenn Angebote nach Konsumentenherkunft unterstützt werden, läuft was falsch in der Gesellschaft. Zwischen Arbeit und Wohnung sollte Kultur als Ausgleich für jeden Menschen zur Verfügung stehen. Aber die Tendenz ist eher, dass die Kluft größer wird. Deshalb ist es umso wichtiger, sich dem Gedanken der profitorientierten Kultur zu widersetzen und sich für eine Gegenkultur stark zu machen und auch dafür Räume fordern und schaffen.

 

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