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Keine schmutzigen Deals mit Erdoğan

Der türkische Präsident Erdoğan besucht am 28. und 29. September Deutschland. Das Staatsbankett im Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten Steinmeier soll am Freitag stattfinden, am Samstag ist ein weiteres Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel geplant. Merkel selbst wird nicht an dem Bankett teilnehmen. Sie habe jedoch auch an früheren Staatsbanketten nicht immer teilgenommen, heißt es aus dem Kanzleramt. Am Samstag wird Erdoğan nach Köln fliegen, um die DITIB-Moschee offiziell zu eröffnen. Wahrscheinlich wird Erdoğan in dem Zusammenhang eine kleine Ansprache an seine Anhänger halten.

Roter Teppich statt „Arbeitsbesuch“

Bei dem Staatsbesuch geht es besonders formell zu. Statt eines Arbeitsbesuchs ohne großen Rummel hat sich die Bundesregierung dafür entschieden, den roten Teppich auszurollen und den Staatsgast, mit dem man in den letzten Jahren immer wieder Schlagabtäusche hatte, mit höchsten protokollarischen Ehren zu empfangen. Dazu gehören das Abschreiten einer Ehrenformation des Militärs, ein festliches Staatsbankett und der Begleitschutz durch eine Polizeieskorte. Ob es zu der Kranzniederlegung in der Gedenkstätte der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft kommt, wie bei solchen Anlässen üblich, ist noch nicht klar. Das endgültige Programm wird wegen der erwarteten Proteste von Erdoğan-Gegnern noch nicht veröffentlicht.

Ziel sei es, eine Normalisierung des Verhältnisses der beiden Länder herbeizuführen, so die offizielle Begründung der Bundesregierung, denn die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sei nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei vor zwei Jahren extrem angespannt. Jedoch wird diese Haltung von verschiedenen Seiten kritisiert. Mehrere Demos und Kundgebungen sind in Berlin und Köln für den 28. und 29. September bereits angemeldet. Der Besuch von Erdoğan wird von vielen kritisch begleitet. Bereits am Wochenende vor seiner Ankunft haben schon in mindestens 9 Städten Protestkundgebungen stattgefunden.

Profit vor Demokratie

Zu den Kritikern gehört auch Zeynep Sefariye Eksi, Bundesvorsitzende der DIDF, die eine Unterschriftenaktion „Keine schmutzigen Deals mit Erdoğan“ initiiert hat, die von über 43 deutschen und türkeistämmigen Akademikern, Journalisten, Politikwissenschaftlern, Autoren und Vertretern von NGOs unterschrieben wurde. „Es geht also eher nicht um konkrete politische Handlungen, sondern um eine angebliche Verbesserung der Atmosphäre. In Wirklichkeit bedeutet dieser Empfang mit allen Ehren nichts anderes als: Mach weiter so, Hauptsache die Türkei bleibt unser Partner. Die Wirtschaft der Türkei schwächelt stark und Deutschland sieht darin die Möglichkeit, durch Investitionen und Wirtschaftspakte seinen Einfluss auszuweiten. Mal wieder werden Anstand, Moral und Werte der Prämisse Profit vor Demokratie geopfert.“

Unter diesen Umständen keine Normalisierung der Beziehungen

In der Erklärung heißt es: „Präsident Erdoğan treibt sein Land immer weiter in Richtung einer Diktatur. Die Liste der Menschenrechtsverletzungen in der Türkei ist seit Erdoğans Amtsübernahme immer länger geworden. Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen, aber auch die OSZE und die UN haben die Entlassungs- und Verhaftungswellen (von denen auch deutsche Staatsbürger betroffen waren und sind), die Gleichschaltung der Medien, die völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen gegen die eigene Bevölkerung in den kurdischen Gebieten sowie Vertreibungen und Enteignungen von politischen Gegnern eindrücklich dokumentiert und entsprechend deutlich kritisiert.“

Die Erstunterzeichner der Erklärung fordern keine Einfrierung der diplomatischen Beziehungen, sondern treten für gute deutsch-türkische Beziehungen ein. „Aber der autokratisch regierende Erdoğan betreibt eine aggressive antidemokratische, antisäkulare, antisemitische und frauenfeindliche Politik voran, die die Türkei und die gesamte Region zunehmend in Chaos stürzt. Unter diesen Umständen kann und darf es keine Normalisierung der Beziehungen geben.“

„Ziel der Proteste ist es nicht, Erdoğan-Anhänger zu verteufeln, sondern ihnen zu zeigen, dass Erdoğan die Türkei tiefer in den Abgrund fährt.“ so Eksi weiter.


Keine schmutzigen Deals

Die Erdoğan-Gegner zeigen aber auch der Bundesregierung die rote Karte. In der Erklärung heißt es: „Die bisherige Türkei-Politik der Bundesregierung hat nicht zu einer Mäßigung oder gar demokratischen Umkehr Erdoğans beigetragen. Im Gegenteil: Insbesondere die deutschen Waffenexporte befördern die negativen Entwicklungen in der Türkei. Sie müssen daher umgehend und vollständig gestoppt werden. Generell gilt: Die Bundesregierung darf bei ihren Gesprächen mit Erdoğan keinerlei Zusagen machen, die die derzeitige türkische Regierung stärken würde. Ihre Politik der Unterdrückung, Bevormundung und Ausgrenzung darf keine Unterstützung erfahren.“

Solidarität mit demokratischen Kräften in der Türkei
Die Unterzeichner der Erklärung schließen ihre Erklärung folgend ab: „Wir stellen uns gegen jegliche schmutzigen Deals zwischen beiden Staaten und erklären unsere Solidarität mit den demokratischen Kräften in der Türkei.“ Die Erstunterzeichner der Erklärung sind:

Konstantin Wecker (Musiker, Liedermacher, Komponist); Rolf Becker (Schauspieler); Ester Bejarano (KZ Auschwitz Überlebende); Nirit Sommerfeld (Sängerin); Doğan Akhanli (Schriftsteller); Prof. Werner Ruf (Politikwissenschaftler, Friedensforscher), Dr. Burak Copur (Politikwissenschaftler); Memet Kilic (MdB a.D.); Susann Witt-Stahl (Autorin-Chefredakeurin Melodie&Rhytmus); Reiner Braun (Co-President International Peace Bureau); Willi von Ooyen (Friedens- und Zukunftswerkstatt); Birgitt Koch (Vorsitzende GEW-Hessen); Zeynep Sefariye Eksi (DIDF-Bundesvorsitzende); Stefan Huth (Chefredakteur Junge Welt); Pascal Beucker (Journalist); Yücel Özdemir (Journalist); Angelika Claussen (IPPNW- Europavorsitzende); Prof. Dr. Ursula Schumm-Garling (Soziologin); Dr. Rolf Gössner (Rechtsanwalt/ Publizist, Internationale Liga für Menschenrechte); Ralf Krämer(ver.di Bundesvorstand – Bereich Wirtschaftspolitik); Prof. Dr. Frank Deppe (Politikwissenschaftler); Dr. Sabine Kebir (Autorin); Prof. Dr. Kemal Bozay (Sozial- und Politikwissenschaftler); Elka Edelkott (Vorstandsvorsitzende just human e.V.); Marcus Staiger (Journalist); Christa Hourani (Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken); Holger Edmaier (Geschäftsführer Projekt 100% MENSCH); Dr. Fredrik Dehnerdt (Stellv. Vorsitzender GEW Hamburg); Michael Weber (Schauspieler); Prof. Dr. Bernd Overwien (Didaktik der pol. Bildung); Jürgen Grässlin (Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft -Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK); Tobias Huth (Gewerkschaftssekretär); Ulrike Eifler (Gewerkschaftssekretärin); Holger Vermeer (Regionalleiter IG BAU Rheinland); Jörg Detjen (Mitglied im Rat der Stadt Köln); Peter Trinogga (Vorsitzender VVN-BdA Köln); Monika Höhn (Autorin); Michael Höhn (Pfr. i.R. und Autor); Heiko Sakurai (Karikaturist); Wolfgang Hübner (Chefredakteur Neues Deutschland); Prof. Dr. Gazi Çağlar (Politikwissenschaftler); Mehmet Celal Başlangğç (Chefredakteur Arti TV / Arti Gerçek); Attilla Azrak (Journalist)

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