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„Kleiner 3. Weltkrieg in der Region“

Wir sprachen mit Karin Leukefeld, Journalistin, die mehrfach in Syrien war, über ihre Eindrücke und ihre Gedanken zum Syrienkrieg.

Sie waren ja mehrmals in Syrien und sie verfolgen die Situation in Syrien. Hätten Sie erwartet, dass der Krieg so lange andauert?

Nein, das habe ich tatsächlich nicht erwartet. Es gab Anfangs auch sehr viele Anzeichen dafür, dass man nach einer Dialoglösung gesucht hat. Am Anfang war der Konflikt vor allem innerhalb Syriens, also die verschiedenen Interessen hätten sich durchaus durch einem syrischen Dialog lösen lassen können. Aber in dem Moment, indem immer mehr ausländischer Einfluss kam, regional und dann auch schließlich international, ist es immer komplizierter geworden und so haben wir heute diesen Flächenbrand.

Was schreiben die syrischen Zeitungen über Erdogan und die türkische Syrienpolitik?

In Syrien sieht man die Rolle der Türkei sehr negativ. Man ist natürlich auch besonders enttäuscht darüber, dass die türkische Politik bis 2010/2011 sich anders dargestellt hat. Man hat sehr enge Beziehungen geknüpft, man hat Grenzen geöffnet, man hat wirtschaftlich sehr eng zusammengearbeitet. Wie immer man das jetzt bewerten will, es war auf jeden Fall eine Annäherung. Dann hat die Türkei auf einmal eine 180 Grad Wendung gemacht und unterstützte bewaffnete Gruppen in Syrien. Man sieht eigentlich die Türkei als einen Hauptverursacher des Konflikts, vor allem, weil die Türkei die Grenze auch nicht geschützt hat wie sie es eigentlich auch nach internationalem Recht hätte tun müssen, sondern die Grenze praktisch offen gelassen hat für Waffen und für Kämpfer, sodass wir heute diese schwierige Situation haben.

Welche Rolle spielt die kurdische Politik?

Die Kurden in Syrien haben eine außerordentlich negative Einschätzung von der türkischen Regierung, das bestätigt sich ja leider im Moment wieder. Die Kurden in Syrien haben von Anfang an eigentlich der türkischen Regierungspolitik gegenüber Syrien nicht vertraut, auch wenn die Kurden gegenüber der syrischen Regierung von Assad durchaus viele Kritikpunkte hatten und haben, aber sie haben sich deswegen nicht in Richtung Ankara orientiert, sondern sie haben eine eher unabhängige Position eingenommen.

Wie steht Assad zu den Kurden?

Assad hat 2011, nachdem er die Probleme der Kurden lange Zeit ignoriert bzw. auf die lange Bank geschoben hat, ihnen angeboten, einen Dialog zu führen. Die verschiedenen kurdischen Gruppierungen wurden eingeladen zu einem Gespräch, welches dann aber von Seiten der Kurden abgesagt wurde. Die Armee hat nicht den Konflikt gesucht mit den Kurden und die Kurden haben auch nicht den Konflikt gesucht mit der Armee. Inzwischen ist es eher so, dass man sich gegenseitig respektiert und man kommt sich gegenseitig nicht in die Quere. Die syrische Regierung macht eine recht kluge, um sich nicht noch mehr Feinde zu machen und eine neue Front zu eröffnen.

Kann man sagen, dass sich im „Neuen Syrien“ nach dem Krieg, die Situation der Kurden ändern wird?

Da bin ich fest von überzeugt, denn die kurdische Bewegung, vor allem die PYD, hat auch von Anfang an eigentlich eine Beziehung gesucht mit der syrischen Opposition. Sie haben gesagt, dass sie sich als Bürger Syriens betrachten, aber sie haben konkrete Forderungen in Bezug auf die kurdische Gemeinschaft. Sie sind militärisch so stark, dass selbst der Westen sich mittlerweile mit ihnen zu einigen versucht. Also ich denke die Kurden haben eine recht gute Politik gemacht und sie werden sicherlich ein politischer Faktor sein im zukünftigen Syrien, egal wie es ausgeht.

Besonders in den letzten Wochen gibt es eine Spannung zwischen den USA und der Türkei wegen der Beziehung zu den Kurden. Wie lange wird diese Spannung andauern?

Die Kurden befinden sich mittendrin und sind ein bisschen auch der Spielball. Das ist eigentlich auch das Schicksal der kurdischen Bewegung seit 100 Jahren, also dass sie immer wieder benutzt wurden für unterschiedliche Interessen. Im Moment ist es so, dass der Konflikt zwischen der Türkei und den USA relativ zugespitzt ist und die USA unterstützen sehr offen die kurdische Bewegung, auch militärisch. Es war sogar ein hochrangiger politischer Vertreter der USA, Brad Mcgurk, in Kobane und sie haben dort miteinander Gespräche geführt.

Manche sagen, dass wir uns auf einen Weltkrieg zubewegen, wie denken sie darüber?

Das kommt ein bisschen drauf an von wo man hinschaut. Die Menschen, die dort in der Region leben, haben Kriege seit Jahrzehnten erlebt. Der Irak hat Kriege erlebt seit den 70er Jahren, Israel und Palästina ist noch eine völlig ungelöste Situation, es gab sehr viele Kriege im Libanon, Kriege in Syrien, wir haben Kriege um diese Regionen herum. Für diese Menschen gibt es in der Tat einen Zustand des permanenten Krieges und dort spricht man durchaus auch davon, dass es einen „kleinen 3. Weltkrieg“ gibt. Wenn wir aus Europa gucken, haben wir ja das Gefühl, dass das alles noch weit von uns entfernt ist und man spricht von einem Konflikt oder einer Krise, aber der Krieg kann kommen.

Aber war nicht der anfängliche Grund für den Konflikt in Syrien die Interessensvertretung des Westens?

Weder der Iran noch Russland hatten vor, Syrien zu destabilisieren. Der Westen hatte diesen Plan und zwar in Verbindung mit den Regionalpartnern, vor allem mit Saudi Arabien. Aber nach dieser Entwicklung des sogenannten Arabischen Frühlings haben sie Hals über Kopf Entscheidungen getroffen und haben Kräfte unterstützt, um den Einfluss dort nicht zu verlieren. Es geht letztendlich um die geostrategische Vorherrschaft und Kontrolle dieses Gebietes. Warum ist das Gebiet so wichtig? Wir wissen es ist reich an Öl und Gas, wir haben vor der Küste der Levante noch neue Gasfelder gefunden und die Transportwege dieser Rohstoffe gehen alle durch Syrien. Insofern ist das natürlich von einem ganz wichtigen strategischen Interesse in einer Zeit der immer knapper werdenden Rohstoffe, dass man in dieser Region die Kontrolle behält.

Das andere Szenario ist, dass Assad und Russland noch stärker werden. Was würde ein Sieg von Assad und Russland in der Region für die USA und die Türkei bedeuten?

Es wäre natürlich eine Niederlage für die Türkei und auch für die USA, Saudi-Arabien, Europa und auch Israel, wobei Israel auch noch ein ambivalentes Interesse hat, aber die aktuelle militärische Situation läuft ja drauf hinaus, dass die syrische Armee mit Unterstützung der russischen Luftwaffe aber auch mit Unterstützung regionaler Milizen sehr stark geworden ist und damit natürlich eine bessere Verhandlungsposition hat, die ein anderes Konzept perspektivisch beinhaltet als diese Vierteilung. Die syrische Regierung und die Mehrheit der Syrer, so wie ich sie kennengelernt habe, lehnen eine Aufteilung ihres Landes völlig ab. Sie bestehen auf der nationalen und territorialen Einheit und Souveränität ihres Landes und das werden sie verteidigen. Um dieses Gebilde des sogenannten IS zu besiegen, bedarf es vor allen Dingen auch einer politischen Intervention des Westens, denn wir wissen, dass die Türkei dieses Gebilde unterstützt, genauso wie Saudi-Arabien.

Welche Interessen verfolgt Deutschland in dieser Region?

Wir erleben ja seit zwei Jahren, dass Deutschland wieder mehr an Verantwortung übernehmen möchte, das hat der Bundespräsident Joachim Gauk vor zwei Jahren auf der Münchener Sicherheitskonferenz gesagt. Wortgleich wurde das wiederholt von der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und vom Außenminister Frank Walter Steinmeier und wir sehen seitdem eine klare Militarisierung der Außenpolitik von Deutschland. Die starke Position innerhalb Europas soll ausgebaut werden zu einer starken militärischen Ordnungsmacht, nicht nur was Europa betrifft, sondern was den Mittelmeerraum betrifft, vor allem den östlichen Mittelmeerraum. Und ich denke, diese Position ist abgesprochen mit den Amerikanern, die sich ja ein wenig zurückziehen wollen und jetzt quasi als kleinen Bruder Deutschland dort die Ordnungsmacht spielen lassen wollen und die Bundesregierung scheint entschlossen das auch zu machen. Die Bevölkerung ist glaube ich damit nicht einverstanden. Wir sehen ja wie das Parlament bei wichtigen Entscheidungen einfach übergangen wird und es bleibt abzuwarten, ob es in Deutschland nochmal eine starke Opposition und eine Friedensbewegung auf die Straßen schafft, um dieser Ablehnung auch Gewicht zu verschaffen.

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