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Koalitionsvertrag: Ein trojanisches Pferd

Diethard Möller

Stolz und imposant kommt der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP unter dem Titel Мehr Fortschritt wagen und dem Zusatz Вündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit daher. Aber er ist ein trojanisches Pferd. Von außen sieht er schön aus. Das dickste Lob muss man den PR-Beratern machen, die den Vertrag so zuckersüß gestaltet haben. Doch wenn man sich daran freut, wie es die Trojaner beim trojanischen Pferd gemacht haben, dann fällt man unter die Räuber. Erst dann merkt man, was dahinter steckt.

Mit fast 180 Seiten ist der Koalitionsvertrag voller Versprechungen: Modernisierung, Freiheit, Wohlstand, Klimaschutz, Investitionen, Sicherheit, Frieden…

Die Liste der wohlgefälligen Schlagworte ist unendlich lang.

Um allerdings dahinter zu schauen, muss man wie beim trojanischen Pferd lange suchen, alles abklopfen, genau hinschauen. Wir haben das getan. Eine umfassende Antwort wäre ein dickes Buch. Daher beschränken wir uns hier auf einige Kernpunkte.

Wissenschaft und Forschung – im Dienste des Kapitals!

Sie wollen Deutschland zu einem „Innovationsland“ machen, das „wettbewerbsfähiger“ ist (S.19). Daher sollen die Ausgaben für Wissenschaft auf 3,5% des BIP erhöht werden, allerdings ausgerichtet an den Profitinteressen der Wirtschaft. Dazu sollen vor allem die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) gefördert (S.19), „Geschäftsmodelle“ und Ausgründungen ermöglicht werden (S.21). Entkleidet man die schönen Worte, so bedeutet das, dass die Gesellschaft die Forschung zahlt, aber die Ergebnisse privatisiert werden. So ist es real auch bei den Covid-19-Impfstoffen geschehen. Deren Entwicklung wurde weitgehend durch staatliche Forschung und Forschungsförderung ermöglicht. Die Ergebnisse und damit die Profite gehören den großen Pharmakonzernen. Mit der „Еxzellenzstrategie“ soll ein „Wettbewerbsraum“ geschaffen werden (S.22); also Unterordnung der Forschung unter die Profitinteressen des Kapitals.

Bei allen seit langem geforderten Verbesserungen für die im Wissenschaftsbetrieb Beschäftigten gibt es nur billige Vertröstungen. So wollen sie bei den befristeten Kettenarbeitsverträgen für wissenschaftliche Mitarbeiter auf Dauerstellen „hinwirken“. Dafür will man Deutschland „für internationale Talente attraktiv“ machen (S.23), also armen Ländern ihre qualifiziertesten Kräfte wegkaufen. Das ist „Еntwicklungspolitik“ nach Geschmack des Kapitals: Nichts für die Ausbildung zahlen und davon profitieren!

Klimaschutz – nur wenn es Profit bringt!

Auch hier wird gleich zu Anfang klar gemacht, was wirklich Gewicht hat: „Unsere Wirtschaft… im globalen Wettbewerb…“ (S.24) Umweltschutzmaßnahmen in der Landwirtschaft gibt es nur, wenn sie „ökonomisch tragfähig“ sind (S.25).

Selbstverständlich „muss die öffentliche Hand Impulse setzen“ (S.25). Also Subventionen, Staatsgelder: Die Gesellschaft zahlt und Kasse wird privat gemacht.

Dementsprechend wird auch das, was als Klimaschutz angepriesen wird, so gestaltet, dass sich damit Profite machen lassen. Maßnahmen gegen den CO2-Ausstoß sollen „innerhalb des bestehenden Emissionshandelssystems umgesetzt“ werden, also an der Börse! Nun gibt es dieses Emissionshandelssystem schon lange. Die CO2-Emissionen sind dabei gestiegen. Trotzdem soll damit weiter gemacht werden. Die höheren Kosten tragen dann die arbeitenden Menschen und das Volk durch höhere Preise.

Bei der „Transformation der Automobilindustrie“ geht es nicht um die Beschäftigten, sondern darum „Leitmarkt“ zu werden und „Wertschöpfung“ zu generieren (S.27). Daher sollen Staatsgelder fließen. Wieder zahlt die Gesellschaft, damit Profite gesichert werden. Staatsgelder sollen auch für Wasserstofftechnologie und synthetische Kraftstoffe (z.B. für die Luft- und Raumfahrt) rausgehauen werden.

Bezeichnend auch, dass das Gesundheitswesen unter der Überschrift „Gesundheitswirtschaft“ (S.29) auftaucht. Es geht um Gewinne! Dafür wird zum gefühlt hundertsten Mal versprochen, „durch unsere Maßnahmen zur Fachkräftesicherung dem Personalmangel im Gesundheitswesen entgegenzuwirken.“ Dazu hatten alle Beteiligten dieser Koalition in der Bundesregierung und in den Länderregierungen Unmengen Zeit gehabt. Ergebnis: Null! Wer soll ihnen da wegen ein paar billigen Worten glauben?

Gejammert wird über den „Мangel an qualifizierten Fachkräften“ (S.32). Da sollte man denken, dass viel Geld für Schulen und Ausbildung zur Verfügung gestellt wird. Fehlanzeige! Gelöst werden soll das durch „höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen“, durch längere Arbeit von „älteren Erwerbstätigen“ und durch „Arbeitskräfteeinwanderung“. Während man die Armutsflüchtlinge aus Kriegen, aus zerstörten Staaten usw. nicht will, soll es ein „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ (S.33) geben. Arme Länder bilden aus, das deutsche Kapital beutet aus!

War erwartet die Arbeiterklasse?

Dieses Kapital steht erneut unter den Sinnsprüchen „Wettbewerbsfähigkeit“, „Unternehmertum“, „neue Geschäftsmodelle“ (S.64). Dazu braucht man selbstverständlich аrivates Kapital, das durch „öfffentliche Förderbanken zur Risikoabsicherung“ unterstützt werden soll. Da ist das Unternehmerrisiko nicht allzu groß, wenn die Gesellschaft das finanziell absichert. Damit dieser Raubzug in den öffentlichen Kassen nicht so auffällt, will man den „Dialog mit Wirtschaft, Gewerkschaften und Verbänden“ in einer ‚Allianz für Transformation‘. Die Co-Manager in den Gewerkschaften sollen mithelfen, diese Allianz für mehr Profit zu bemänteln und zu verschleiern. Dafür wird ein „Transformationsfonds“ geschaffen, der „Anreize für Leitmärkte“ schaffen soll. (S.64)

Мoderne Arbeitswelt – Billiglohn und Minijobs

Hier wird es mit den konkreten Maßnahmen sparsam. Angestrebt ist „eine möglichst sichere Beschäftigungsbiografie“; also wird sie oftmals unsicher sein. Sie „wollen eine Ausbildungsgarantie.

Da das Kapital wenig Lust verspürt, solche „Garantien zu erfüllen, soll es staatlich finanzierte „außerbetriebliche Ausbildungsangebote“ geben. Flexibilisiert werden soll ebenfalls zu mehr „Ausbildungsmobilität“ (S-66), ohne dass verraten wird, was damit gemeint ist. Was Gutes bestimmt nicht, denn sonst hätte man es laut verkündet.

Im Unterkapitel „Arbeitszeit und Arbeitsort“ wird mehrfach von „flexiblerer Arbeitszeitgestaltung“, „Arbeitszeit flexibler“ gesprochen. Also Aufweichung fester Arbeitszeiten und Einsatz nach dem Bedarf des Kapitals. Zudem soll eine Мöglichkeit zur Abweichung von den derzeit bestehenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes hinsichtlich der Tageshöchstarbeitszeit“ geschaffen werden. Also Mehrarbeit über den jetzt schon möglichen 10-Stunden-Tag hinaus!

Groß heraus gestellt wurde die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro/Stunde (S.69). Bei einer 40-Stunden-Woche sind das 2088 Euro brutto monatlich. Nach Abzug von Sozialversicherung und Steuern bleiben davon je nach Steuerklasse netto ca. 1500 bis 1600 Euro. Bei einer Arbeitszeit von 35-Stunden pro Woche sind es nur noch 1820 Euro brutto und entsprechend weniger netto. Das sind Einkommen, von denen man vor allem in den Städten keine Miete zahlen und dann auch noch leben kann. Der einzige Effekt: Weniger Aufstocker und damit Entlastung der staatlichen Sozialleistungen. Die Betroffenen werden weiterhin gezwungen sein, mit Minijobs ihre Haushaltskasse aufzubessern. Das Geld, das der Staat da spart, kann für die vielen Subventionen zu Gunsten der Wirtschaft verwendet werden. Auch Altersarmut wird damit nicht verhindert.

Rente wird abgebaut und für Spekulationsgeschäfte geöffnet

Bei den Renten wird mit schönen Worten deren Abbau vorbereitet. Ein Teil der Beiträge soll künftig „in eine teilweise Kapitaldeckung… einsteigen“. Dazu gibt es einen „dauerhaften Fonds“, den man „global anlegen“ will. Also ran an die Börse! Dazu soll auch die Rentenversicherung ihre „Reserven am Kapitalmarkt“ anlegen. Nochmal ran an die Börse! Was passiert dann, wenn diese Beiträge bei AGs wie Wirecard angelegt werden und eine Pleite hingelegt wird? Dann sind Milliarden verbrannt.

Darüber hinaus sollen die Renten gekürzt werden. Verschämt wird verkündet, dass der „Nachholfaktor“ wieder aktiviert wird (S.73), garniert mit Blahblah wie „Haltelinien“, „Generationengerechtigkeit“, „Stabilität“. Dahinter verbirgt sich eine Kürzung der angekündigten Rentenerhöhung um ca. 0,8%! Doch das verschweigt man lieber.

Bei der betrieblichen Altersvorsorge, die für viele Kolleg/innen eine wichtige Ergänzung zur mageren Rente ist, will man „Anlagemöglichkeiten mit höheren Renditen“ erlauben. Das klingt nett, bedeutet aber Spekulation mit hochriskanten Aktien und Anleihen – siehe Wirecard!

Die Rentenbeiträge werden also für Spekulation eingesetzt und dafür die Renten gekürzt! Klar dass man dann mit der „Flexi-Rente“ „Wünsche nach einem längeren Verbleib im Arbeitsleben“ (S.74/5) erfüllt? Wünsche? Wer träumt den schon davon, länger arbeiten zu müssen? Das ist bei vielen nur nackter finanzieller Zwang!

„Bürgergeld“ statt Hartz IV

Was so ein neuer Name alles verändert? Nichts! Mehr Geld soll es nicht geben. Weiterhin gibt es „Teilhabevereinbarung und Мitwirkungspflicht“ (S.75/76). Das bedeutet weiterhin enge Kontrolle und Sanktionen. Dazu soll „aufsuchende Sozialarbeit“ ein „Regelinstrument“ werden. Viele ALG II-Empfänger kennen das bereits, wenn jemand vom Jobcenter vor der Tür steht, um zu kontrollieren, ob die Betreffenden einen Freund oder Freundin haben, die man mit zur Finanzierung heranziehen kann. Oder wenn geprüft wird, was man so alles noch an Verwertbarem hat. Die Schikanen werden nun „Sozialarbeit“ genannt. Tolle Verpackung, alter fauler Inhalt! Wenn es schon nicht mehr Geld gibt, gibt es dafür mehr „Zuverdienstmöglichkeiten“ – das heißt mehr Minijobs und mehr Ausbeutung. Zudem sollen beim Bürgergeld verschiedene Sozialleistungen wie ALG II, Wohngeld usw. zusammengefasst werden (S.77). Damit gibt es auch mehr Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten. Zum Problem der Obdachlosigkeit von EU-Bürgern wird eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet, ganz nach dem Motto: Wenn ich nicht mehr weiter weiß, dann gründe ich einen Arbeitskreis! Keine Lösung, dafür eine nette Diskussionsrunde, die fleißig Spesen produziert.

Pflege und Gesundheit – weitere Einsparungsorgien

Ganz im Sinne der „Gesundheitswirtschaft“ (S.29) „Vereinfachen und beschleunigen (sie) die notwendige Gewinnung von ausländischen Fachkräften“ (S.82). Da kann man als reiches Land die Ausbildungskosten zu Lasten ärmerer Länder sparen. Zudem soll „die Ambulantisierung bislang unnötig stationär erbrachter Leistungen“ (S.84) erfolgen. Übersetzt man dieses Ungetüm in verständliche Worte, dann heißt das: Abbau von Krankenhauskapazitäten! Die Krankenkassen sollen „Spielraum für Verträge“ bekommen, um innovative Versorgungsformen zu stärken.“ Das heißt weitere Einsparungen. Damit die ländlichen Regionen bei dieser Kürzungsorgie überhaupt noch etwas medizinische Versorgung bekommen, sollen „Gemeindeschwestern und Gesundheitslotsen“ geschaffen werden. Nette Worte für eine Verschlechterung der gesundheitlichen Versorgung!

Verantwortung und „Frieden“ meint mehr Rüstung und Kriegseinsätze

Im Kapitel „Deutschlands Verantwortung für Europa und die Welt“ wird „das historische Friedens- und Freiheitsprojekt der Europäischen Union“ präsentiert. Hinter viel Blahblah von „Frieden und Wohlstand“ wird eine „strategisch souveräne EU“ angestrebt, also eine neue eigenständige Großmacht. Daher wird auch betont, dass Deutschland „größter Mitgliedsstaat“ und „Viertgrößte Volkswirtschaft der Welt“ ist (S.130). Der Großmachtanspruch wird nur mühsam verborgen.

Sie wollen die ЕU im Bereich Sicherheit und Verteidigung ambitioniert ausgestalten (S.135). Sie wollen „eine verstärkte Zusammenarbeit nationaler Armeen“, also eine starke europäische Armee, eingebettet in die NATO. Sie fordern ausdrücklich „zivile und militärische Missionen der EU“ (S.136).

Selbstverständlich soll die „Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik“ (S.143) „wertebasiert“ sein. Verschämt heißt es: „Dabei leiten uns unsere Werte und Interessen.“ Welche Interessen wird allerdings nicht gesagt. Exporte? Rohstoffe? Macht? Einflusszonen? Dass es nicht um Menschen geht, wird kurz vorher klar gemacht. Bei den Flüchtlingen will man eine „Rückführungsoffensive“ (S.140), weil „nicht jeder Mensch, der zu uns kommt, kann bleiben“ und die „Aufnahmefähigkeit der Gesellschaft“ begrenzt sei. Das hört sich an wie AfD-Propaganda. Daher wollen sie „irreguläre Migration wirksam reduzieren“ (S.141). Das wird dann so laufen, wie gerade an der Grenze Polens zu Weißrussland. Man fragt sich darüber hinaus, wo reguläre Migration überhaupt möglich ist? Ja dann, wenn man billige Arbeitskräfte für die Pflege oder dringend benötigte Fachkräfte für die Konzerne braucht. Die Opfer von Krieg und Ausbeutung hingegen sollen draußen bleiben. Das sind die „Werte“!

Und damit Kriege und Elend in der Welt auch zunehmen können, strebt man eine ЕU-Rüstungsexportverordnung“ an, angeblich für eine „Restriktive Rüstungsexportpolitik“ (S.146). Was so nett und „friedensliebend“ formuliert ist, ist das Gegenteil: Mehr Rüstungsexporte!

Für die Ausweitung der Großmachtpolitik soll die Bundeswehr für „Auslandseinsätze… bestmöglich personell, materiell sowie finanziell verlässlich ausgestattet werden.“ (S.148) Also mehr Aufrüstung und mehr Kriegseinsätze!

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