Dilan Baran
Anfang November trafen sich in Hamburg die Bündnisse „für mehr Personal in der Pflege“, um sich über eine bundesweite Vernetzung der regionalen Initiativen und wie diese aussehen könnte, zu einigen.
Von den bisher deutschlandweit existierenden ca. 20 Bündnissen waren 11 anwesend (Kiel, Hamburg, Bayern, Köln, Düsseldorf, Essen, Leipzig, Brandenburg, Berlin, Bremen, Essen). Die vom Hamburger Bündnis initiierte Vernetzungskonferenz fand mit ca. 50 Teilnehmern in der Aula einer Schule statt. Im Eingangsreferat wurde erläutert, warum das vom Bundestag beschlossene neue Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) den Personalmangel nicht beheben wird, sondern sogar gefährlich ist. Denn die Personalplanung orientiert sich demnach weiterhin nicht am Bedarf der Menschen, sondern an sehr willkürlichen Untergrenzen. Untergrenzen bestimmen, dass nur in den allerschlimmsten Fällen – den schlechtesten 25 Prozent – in lediglich vier Bereichen (Geriatrie, Unfallchirurgie, Intensivstationen, Kardiologie) und nur durchschnittlich mehr Personal eingesetzt werden muss. Es steht zu befürchten, dass in Bereichen, die momentan noch über dieser Grenze liegen, Personal sogar reduziert wird.
Auch der als Koryphäe geltende Pflegewissenschaftler Michael Simon ist sicher, dass die oberen 75 Prozent sich nach unten anpassen, also Personal sogar abbauen werden.
Erste Geschäftsleitungen haben genau dies auch schon signalisiert, wie vor wenigen Wochen auf dem Stuttgarter Kongress “Krankenhaus statt Fabrik” berichtet wurde. Sozial- und Berufsverbände, aber auch Pflegewissenschaftler und die Gewerkschaft ver.di haben deshalb immer wieder vor der Einführung dieses Gesetzes gewarnt.
Pflegebedarf muss gedeckt werden
Neue Stellen sind zu begrüßen, so der Aktivist aus Hamburg, dass jedoch weiterhin keine Ermittlung des tatsächlichen Pflegebedarfs gesetzlich festgeschrieben ist, sei nicht akzeptabel. Eine Bedarfsermittlung aber lehnen sowohl Bundesgesundheitsminister Jens Spahn als auch die Hamburger Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks einhellig und strikt ab. Der Hamburger Senat klagt jetzt sogar gegen den Hamburger Volksentscheid des Bündnisses, der eine solche Bedarfsermittlung zum Inhalt hat.
Das Bündnis hatte am 05. Oktober seine zweite Stufe (von drei) im Verfahren zur Volksgesetzgebung angemeldet. Seit dem herrscht Eiszeit zwischen der Initiative und der Rot-Grünen-Regierungs-Fraktionen. Die Klage ist ein „durchsichtiges Manöver“ sagt Gesundheitspolitiker der Linken in der Bürgerschaft, Deniz Celik, und fordert den Senat auf, die Gespräche mit der Pflege-Initiative wieder aufzunehmen. Von denen hatte es ohnehin erst eins am 20. September gegeben, was Celiks Vorwurf nur unterstützt, denn der Verlaufsplan des Verfahrens ist mit der Klage nun für mindestens 6 Monate verzögert. Eigentlich wollte die Initiative im Winter 2019/2020 parallel zur nächsten Hamburg-Wahl abstimmen lassen. Sollte sie auch vor Gericht gewinnen, ist das kaum noch zu schaffen.
In Bayern, wo im Juli bundesweit die dritte Volksinitiative startete, wird die Initiative hingegen von Grünen und SPD unterstützt, „allerdings“ so ein Krankenpfleger aus München, der bei der Konferenz den Stand der Dinge vom bayrischen Bündnis vorstellt: „Demokratie in Bayern ist echt anstrengend […] und die Wege, die wir zurücklegen müssen, sind natürlich auch irgendwie was anderes, als wie bei den Hamburgern.“
Bündnisse
In Berlin ist die erste Runde mit rund. 40.000 gültigen Unterschriften bereits geschafft und die Gespräche mit dem Senat laufen bereits. Kiel und Köln befinden sich noch im Bündnisaufbau. Essen und Düsseldorf versuchen sich gerade für eine NRW-Initiative zu vernetzen. So zeichnet sich langsam das Bild bei der Vorstellungsrunde der Bündnisse in der Schulaula.
Allen ist unterschiedslos klar, dass die „Spahn-Gesetzte“ Augenwischerei sind und dass das allen, sowohl Pflegern als auch Patienten klar gemacht werden muss. Dafür wollen sie sich jetzt vernetzen und bundesweit aktiv werden. „Meine Kollegen im Krankenhaus denken wirklich, dass mit dem neuen Gesetz alles besser wird“, so eine Pflegerin aus Berlin.
In den anschließenden Arbeitsgruppen werden kreative Ideen gesammelt, die die Aufmerksamkeit sowohl der Presse als auch der Betroffenen auf sich ziehen sollen. In einer anderen Gruppe tauscht man sich über das Vorgehen zum Volksentscheid aus. „Die Bayern sind ja eher der Meinung sie wissen eh alles besser, die werden sich kaum um das Ergebnis scheren“, bringt eine Rechtsanwältin in die Diskussion um die Auswirkungen der Verfassungsklage in Hamburg ein, „aber auf Bremen könnte das durchaus Auswirkungen haben“.
Krankmachende Verhältnisse
Bis zum Abend wird gearbeitet und diskutiert. Abgerundet wird der fleißige Aktivismus von Leslie Franke. Sie stellt ihren Film „Der marktgerechte Patient“ vor. „Der Antrieb zu diesem Film ist der gleiche wie der zu euren Initiativen. Ich denke, er kann euch bei der Arbeit helfen. Filme können den Sachverhalt in einer anderen Sprache, vielleicht anschaulicher darstellen“, so Franke. Und das tut er in der Tat. Der Film zeigt auf, was Personalmangel und unternehmerische Profitorientierung mit der Pflege macht: krankmachende Verhältnisse für Personal und Patienten, und das in einem reichen Land wie Deutschland mit der besten Ausstattung. Filmvorführungen dieser eindrücklichen Doku werden von allen Bündnissen geplant.
Am nächsten Tag treffen sich die Aktivisten für eine letzte Arbeitsphase in den Räumlichkeiten der DIDF Hamburg. Der Verein ist seit Beginn der Volksinitiative im Bündnis vertreten, „denn der Arbeitskampf des Pflegepersonals und die Verbesserung der Patientenversorgung ist uns ein besonderes Anliegen“, so der Vertreter der DIDF. „Überall, wo die Arbeitsbedingungen besonders hart sind, wie in der Pflege, ist der Anteil der Arbeitenden mit Migrationshintergrund besonders hoch. Sie sind es zudem gewohnt, von gesellschaftlichen Entscheidungen ausgeschlossen und ungefragt zu bleiben. Das dürfen wir nicht hinnehmen. Wir möchten möglichst viele türkeistämmige Pfleger und Patienten aufklären und ermutigen, sich an den Initiativen zu beteiligen.“
Die Arbeitsphase am Sonntag Vormittag richtet sich vollständig auf die Zukunft. Wie vernetzten wir uns? Wie tauschen wir weiterhin Erfahrung und Wissen aus? Welche Aktivitäten setzten wir gemeinsam um? Am Ende haben alle viel Arbeit, die ansteht im Gepäck, aber die Motivation ist groß, denn dieses Thema betrifft in der Gesellschaft ausschließlich alle und der erste Stein für eine bundesweite Bewegung ist gelegt.