Written by 12:00 HABERLER

Nichts zu danken: Helmut Kohl war nicht nur zufällig korrupt

Lügen, Gedächtnislücken und leere Versprechungen. Der Altkanzler verstand sich als Dienstleister für Konzerne und Investoren: In der Pfalz, Deutschland und Europa. Er diente den USA und sie halfen ihm

Erinnernde Anmerkungen von Werner Rügemer

In den Würdigungen zum Tod des Alt-Bundeskanzlers taucht „die Spendenaffäre“ routinemäßig als missliches Vergehen Helmut Kohls zum Ende der Amtszeit auf. Die Angelegenheit soll durch die angeblich historischen, ja welthistorischen Verdienste Kohls für die Wiedervereinigung und den Aufbau der Europäischen Union relativiert werden.

Dabei wird mit der “Flick-Affäre” ein wesentlich größerer Skandal ausgeblendet, der schon am Anfang seiner Amtszeit für Wirbel sorgte. Bei näherer Betrachtung zeigt sich: Korruption, Lobbyismus und Klientel-Politik für die Reichen und Mächtigen sind keine Ausrutscher sondern gehören seit ihrer Gründung zum System der CDU.

Unternehmensbespendung der CDU von Anfang an

Kohls letzte „Spenden-Affäre“ war eine Ansammlung harter facts. Sie kamen ans Licht, als Kohl 1998 die Wahl verloren hatte und die Loyalitäten nach vier Regierungsperioden sich auflösten. Über mindestens ein Jahrzehnt hatte der CDU-Vorsitzende und Bundeskanzler, so hatte sich herausgestellt, schwarze Kassen mit Unternehmensspenden gefüllt und mit Zahlungen daraus innerparteiliche Machtkämpfe geregelt. Briefkastenfirmen und Nummernkonten in der Schweiz gehörten zum „System Kohl“. Wegen eines von Kohl behaupteten „Ehrenwortes“, das er den Spendern gegeben habe, nannte er deren Namen nicht. Die CDU musste dafür Strafe zahlen, Kohl blieb straffrei. Mafia auf deutsch-christlich.

Flick: Die viel größere „Spenden-Affäre“

In den jetzigen Würdigungen wurde zwar pflichtgemäß und zugleich großherzig verzeihend auf „die Spenden-Affäre“ hingewiesen, als ob es nur diese eine gegeben hätte. Vergessen wurde ebenso großherzig eine viel größere Spenden-„Affäre“. Sie erschütterte mit Beginn der Kanzlerschaft Kohls ab 1982 das politische Leben der Bundesrepublik. Es war die Flick-„Affäre“. Tatsächlich ist der Begriff verharmlosend: Es ging um knallharte Wirtschaftskriminalität und Kohl erwies sich als unbelehrbarer Wiederholungstäter mit hoher krimineller Energie.

Es stellte sich heraus, dass der Flick-Konzern seinen Verkauf von Daimler-Benz-Aktien an die Deutsche Bank von der Bundesregierung gern als „volkswirtschaftlich förderlich“ eingestuft sehen wollte. Das bedeutete einen Steuervorteil von 986 Millionen DM. Dafür zahlte Flick heimlich und illegal an Mitglieder der Bundesregierung, aber auch an Kohl als Vorsitzenden der CDU.

Gegen Streiks der IG Metall: kalte Aussperrung

Einen zentralen Angriff auf die Gewerkschaften wagte Kohl nicht, obwohl seine geschätzten Freunde Ronald Reagan und Margret Thatcher in den USA und in Großbritannien erfolgreich mit einer kriegerischen Kahlschlagspolitik gegen Streiks und kampferprobte Gewerkschaften zu Felde gezogen waren. Die Kohl-Regierung ließ 1986 lediglich durch das „Gesetz zur Sicherung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen“ absichern, dass „kalt“ ausgesperrte Beschäftigte – deren Arbeitgeber durch Streiks in Zuliefer-Unternehmen betroffen waren – kein Kurzarbeiter-Geld mehr bekommen durften.

Zerschlagung der Bundespost

In Absprache mit erfahrenen Investmentbanken der Wall Street ging die Kohl-Regierung erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik große zentralstaatliche Privatisierungen an. Die Bundespost wurde in die drei Aktiengesellschaften Deutsche Post, Deutsche Telekom und die Deutsche Postbank AG aufgespalten und schrittweise für internationale Investoren geöffnet. Diesen langwierigen Prozess führte die SPD-Nachfolgeregierung unter Gerhard Schröder teilweise zu Ende.

Die Wende”: Privatisierung von Staatsvermögen im Osten

Der Verkauf von 40.000 ehemaligen DDR-Betrieben auf dem freien westlichen Markt brachte 270 Mrd. DM Verluste ein – Sie haben richtig gehört. Die Käufer waren so frei und die mit dem Verkauf betraute Treuhandanstalt war auch so frei: Sie verkaufte die staatlichen Unternehmen vielfach für eine symbolische DM, wobei die ach so staatskritischen Vertreter der freien westlichen Marktwirtschaft zur Bedingung machten, dass sie die Grundstücke, Patente, Guthaben und Belegschaften nur dann kräftig ausbeuten, wenn sie dafür noch staatliche Zuschüsse bekommen. So wurde die freie Marktwirtschaft, die sich vom Staat möglichst fernhält, angeblich, aus dem Staatshaushalt finanziert und trug zu dessen nicht mehr rückzahlbaren Überschuldung bei.

Verdienste? Historisch? Für wen?

Die aufwendigsten und häufigsten Staatsbesuche des Bundeskanzlers Kohl mit zahlreichem Personal auf beiden Seiten führten ihn nach Washington D.C. zu US-Präsident Ronald Reagan. Die Kohl-Regierung folgte den Vorgaben der Supermacht millimetergenau, sei es in der Frage der US-Militärbasen in der Bundesrepublik oder sonst in der NATO und weltweit. Kein Krieg und keine völkerrechtswidrige Intervention, die die Supermacht anzettelte, kein Diktator, den sie einsetzte, wurden von Kohl kritisiert. Überall sprangen dabei ja auch Vorteile für Siemens, VW, Daimler, Deutsche Bank, BASF, Bayer und so weiter heraus.

2+4 = Deutschlands Aufstieg zur dominierenden Macht Europas

Den Beschluss zur Stationierung modernisierter Mittelstrecken-Raketen 1983, die gegen die Sowjetunion gerichtet waren, trug Kohl verbissen mit.

Der allseits gelobte national- und gar welthistorische Verdienst um die „Deutsche Einheit“ verbunden mit dem 2+4-Vertrag unter Protektion des Großen Bruders, war der letzte und größte Dienst Kohls am Kapital, am deutschen und US-amerikanischen besonders, aber auch aus anderen reichen Regionen. Der 2+4-Vertrag war nicht, wie seit Jahrzehnten demagogisch in Aussicht gestellt, ein Friedensvertrag.

Der große Staatsmann: Nach dem Abgesang folgt nun die Verklärung

Sofort nach Ende seiner Kanzlerschaft 1999 wurde Kohl erneut mit offenen Armen von Sponsoren empfangen. Der Medienunternehmer Leo Kirch (Sat.1) stattete ihn mit einem „Вeratervertrag“ über 50.000 DM pro Monat aus, also 600.000 DM im Jahr.

Sein Freund Reinhard Pohl von der Deutschen Vermögensberatung berief den Ex-Kanzler in den Beirat seines Konzerns, in dem übrigens auch Theo Waigel und Kohl-Berater Horst Teltschik landeten. Und die Schweizer Grobank Credit Suisse fand vermutlich ebenfalls nicht grundlos, dass der Ex-Kanzler ihren internationalen Beirat gut schmücken würde.

Mit der letzten der „Spenden-Affären“ musste das nun den Sponsoren doch peinlich sein und Kohl wurde ein gutes Jahr später hinaus komplimentiert.

Sein Ende hatte begonnen.

Und nun beginnt die Verklärung. Wir sind schließlich ein christliches, barmherziges Land. Systemrelevante Blackouts eingeschlossen.

(Vielen Dank an Werner Rügemer, der uns erlaubte seinen Artikel in gekürzte Fassung zu drucken. Weitere Infos auf www.werner-ruegemer.de )

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