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Der Aufteilungskampf für die Nach-IS-Ära und das Unabhängigkeitsreferendum

Yusuf KARATAŞ

Das für den 25. September angesetzte Unabhängigkeitsreferendum der Führung der Autonomieregion Kurdistan wird voraussichtlich in naher Zukunft die Agenda bestimmen, auch wenn es heute von der Katar-Krise in den Hintergrund gerückt wurde. Zunächst ist festzuhalten, dass die Kurden im Nahen Osten das haben wollen, was seit 200 Jahren Gegenstand der Aufteilungskämpfe zwischen Imperialisten und der regionalen Reaktion war. Offensichtlich ist aber auch, dass in der Region nicht alles nach Recht geschieht. In diesem Sinne kann das Referendum einer frühzeitigen Anmeldung von Ansprüchen für die Nach-IS-Ära ausgelegt werden. Die weitere Entwicklung wird sicherlich wesentlich von den in der Region agierenden Kräften bestimmt. Zu unterstreichen wäre aber auch, dass das verkündete Referendum ein Ausdruck dafür ist, dass die Kurden im Rahmen der Entwicklungen in der Region nach 2011 eine wichtige Bedeutung erlangen konnten.

Schauen wir uns zunächst die Reaktionen der Kräfte an, die in der Region um die Herrschaft ringen: Der Sprecher des US-Außenministeriums, Nauert, erklärte zunächst, man habe „Verständnis für den legitimen Wunsch des kurdischen Volkes“. Für die USA habe jedoch der Sieg über den IS Priorität vor allem anderen. Das Referendum werde dieser Prioritätensetzung widersprechen. D.h. die USA beharren an ihrer Haltung für die territoriale Integrität des Iraks.

Russland als der wichtigste Konkurrent der USA im Kampf um die Vorherrschaft hatte in den letzten Jahren seine politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zur Führung der Autonomen Region Kurdistan rasant ausgebaut. Nach Gesprächen mit dem Chef der kurdischen Führung, Nadschirwan Barzani in St. Petersburg, erklärte Russland, es sei nicht gegen das Referendum. Diese Haltung von Russland zeigt, dass sie wie in Syrien auch im Irak eine Strategie verfolgt, die nicht auf Konfrontation mit den Kurden gerichtet ist.

Erwartungsgemäß legten die Türkei und der Iran – wie immer, wenn es um Kurden geht – eine ähnliche Haltung an den Tag. Weil beide Länder befürchten, dass ein solches Referendum unweigerlich Auswirkungen auf Kurden im Inland hätte, kann man in den nächsten Tagen mit einer ähnlichen Stellungnahme aus beiden Ländern rechnen.

Hier sollte man festhalten, dass die schärfste Reaktion aus Deutschland kam, dessen Einfluss in der Region begrenzt ist. Es bezeichnete das geplante Referendum als „Spiel mit dem Feuer“. Das Land hatte sich auch gegen die von Trump angestoßene Belagerung vom Katar ausgesprochen. Seine Außenpolitik könnte man als einen Widerspruch gegen die Gestaltung der Region mithilfe von Saudi Arabien und Israel einordnen. Apropos Israel: die beiden letztgenannten Länder hatten in ihren Erklärungen das kurdische Unabhängigkeitsreferendum unterstützt.

Was bedeutet dieser Zug aus der Sicht der Kurden und für Barzani?

Die jüngste Erklärung von Nadschirwan Barzani bietet für die Beantwortung dieser Frage reichlich Anhaltspunkte. Er zeigte Verständnis für die Reaktionen aus verschiedenen Ländern: „Unser Ziel ist es, die ganze Welt über die Wünsche der Kurden zu informieren.“ Dies zeigt, dass das angekündigte Referendum als ein taktischer Schritt in Richtung der strategischen Ziele der Kurden zu verstehen ist. Denn die Urheber des geplanten Referendums wissen besser als alle anderen, dass die Ankündigung noch lange nicht die Ausrufung der Unabhängigkeit Kurdistans bedeutet. Es liegt allerdings auf der Hand, dass die Führung um Barzani mit ihrem geplanten Referendum und mit der Unterstützung der kurdischen Bevölkerung am Verhandlungstisch bei den Verhandlungen über die Unabhängigkeit Kurdistans eine starke Position haben werden.

Am 6. November, also wenige Wochen nach dem geplanten Referendum werden in der Autonomieregion Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stattfinden. Das geplante Referendum soll offensichtlich auch zum Wahlerfolg Barzanis führen. Denn seit dem Ende der Amtszeit Barzanis im Jahr 2015 steckt die Autonome Region Kurdistan in einer schweren politischen Krise. Auch wenn Barzani seinen Verzicht auf eine Kandidatur erklärt hat, rechnet er sich aus, dass kurz nach dem Referendum er und seine Partei KDP gestärkt aus den Wahlen hervorgehen werden.

Das Unabhängigkeitsreferendum wird also nicht nur eine vorgezogene Anmeldung von Ansprüchen im Hegemoniekampf bleiben. Es wird auch einen besonderen Platz in diesem Kampf einnehmen. Angesichts dieser Entwicklungen steht den Kräften der Demokratie- und Arbeiterbewegung in unserem Land die wichtige Aufgabe bevor, sich stärker gegen die imperialistischen Interventionen und für das Selbstbestimmungsrecht der Völker in der Region einzusetzen. Dafür ist es unumgänglich, dass sie sich gegen die expansionistische Kriegspolitik der türkischen Reaktion positionieren, die ihre Kriegstreiberei mit dem Beharren auf dem Krieg gegen die kurdische Bevölkerung fest verwoben hat.

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