Written by 08:00 DEUTSCH

„NSU – Auch Deutsche unter den Opfern” im Ballhaus Prinzenallee

Eren Gültekin

Der NSU-Prozess zählt zu den bedeutendsten und zugleich erschütterndsten Prozessen der jüngeren deutschen Geschichte. Mit dem Theaterstück NSU – Auch Deutsche unter den Opfern, inszeniert von Övül und Mustafa Avkıran, bekannt aus der Türkei unter anderem aus der Serie Kuzey Güney, bringt das Ensemble im Ballhaus Prinzenallee diese bittere Realität eindrucksvoll auf die Bühne. Die Inszenierung basiert auf einem Text von Tuğsal Moğul, der die tragische Thematik mit intensiven und eindrucksvollen Szenen lebendig macht. Das Theaterhaus liegt im Berliner Stadtteil Wedding, einem Viertel mit einer großen türkeistämmigen Community, was der Inszenierung eine besondere Relevanz verleiht.

Das Stück setzt sich mit den Opfern des rechtsterorristischen „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU), der zwischen 2000 und 2011 zehn Menschen ermordete, Bombenanschläge und Bankraube beging, auseinander. Es beleuchtet das Münchener Gerichtsverfahren und hinterfragt kritisch die Rolle der Sicherheitsbehörden. Bereits die Bühne selbst wirkt symbolträchtig: In der Mitte des Raums liegen kreisförmig Blätter – Gerichtsdokumente, Beweise, Spuren – mit einem stetig tropfenden Blutfleck darüber. Eine eindrucksvolle Metapher für die unaufgearbeitete Gewalt, die fortwährend nachwirkt. Zugleich schweben weitere Blätter an Schnüren von der Decke herab, verstreut im gesamten Saal, als stumme Zeugen einer Vergangenheit, die nicht vergeht. Die Inszenierung wechselt gekonnt zwischen sachlicher Darstellung, bedrückenden Momenten und musikalischen Elementen. Dialoge und Klavierbegleitung verleihen der Erzählung eine emotionale Tiefe, die das Publikum zugleich aufwühlt und informiert.

Drei zentrale Aspekte stehen im Fokus: die Opfer des NSU, der Rassismus in den Behörden und die Erkenntnis, dass rechter Terror weit über migrantische Communitys hinausreicht. Die Aufzählung der Opfer bis hin zu den Anschlägen von Hanau erinnert eindringlich daran, dass der rechte Terror keine abgeschlossene Vergangenheit, sondern eine gegenwärtige Bedrohung ist. Besonders bewegend ist die Frage: “Was wäre gewesen, wenn die Opfer deutsche Namen und die Täter nichtdeutsche Namen getragen hätten?” – eine schmerzhafte, aber notwendige Konfrontation mit den Realitäten rassistischer Strukturen in Deutschland.

Was dieses Stück besonders macht, ist seine Balance: Es verfällt nicht in reine Trauer, sondern vermittelt Fakten mit theatralischer Klarheit. Der Fokus liegt nicht nur auf der emotionalen Betroffenheit des Publikums, sondern auch auf dem bewussten Wachrütteln. Wer sich bisher wenig mit dem NSU-Komplex beschäftigt hat, erhält hier einen eindrucksvollen Einblick. Doch auch Kenner der Thematik können neue Details und Zusammenhänge mitnehmen. Das Stück zeigt eindrücklich, dass rechte Strukturen nicht isoliert existieren, sondern über Jahre hinweg staatlich finanziert und gedeckt wurden.

Im Gespräch erwähnte der Geschäftsführer des Ballhaus Prinzenallee, dass das Stück nicht nur in Deutschland aufgeführt wurde, sondern auch international Beachtung findet. Demnächst wird es beispielsweise in der Schwarzmeerregion der Türkei mit Untertiteln gezeigt – und es ist nicht das erste Mal, dass es in der Türkei aufgeführt wird.

Letztlich ist „NSU – Auch Deutsche unter den Opfern“ eine Bestärkung für ein gemeinsames Leben in einer offenen Gesellschaft. Es macht deutlich, dass rechter Terror nicht nur Migranten trifft, sondern jeden, der nicht ins Weltbild der Rechtsradikalen passt – von Walter Lübcke bis hin zu Menschen, die sich für eine vielfältige Gesellschaft einsetzen. Die Inszenierung im Ballhaus Prinzenallee ist ein Weckruf: Erinnern, aufklären und handeln – denn dieser Terror ist noch immer real.

Close